Wegen hoher Mieten suchen immer mehr Israelis nach alternativen Wohnmöglichkeiten

Zurück zum Kibbuz

Die hohen Lebenshaltungskosten und steigende Immobilienpreise in den großen Städten veranlassen immer mehr Israelis, alternative Wohnmöglichkeiten zu suchen.
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»Wir sind wirklich glücklich«, sagt Ifat Ben-Zvi. Vor ungefähr zwei Jahren ist sie in den Kibbuz Nir-Am in Grenznähe zum Gaza-Streifen zurückgekehrt, wo sie aufgewachsen ist. Über 20 Jahre hatte sie in Tel Aviv gelebt, der Großstadt, aus der ihr Mann Or kommt. »Es ist eine der besten Entscheidungen, die ich jemals getroffen habe. In Tel Aviv stiegen die Mietpreise ins Unermessliche. Für eine hässliche, nicht renovierte Dreizimmerwohnung in einer lauten und nicht eben schönen Gegend mussten wir umgerechnet bis zu 1 600 Euro bezahlen. Und das ohne Parkplatz«, erzählt sie. »Im Kibbuz bewohnen wir ein erschwingliches Häuschen mit Garten. Vor allem freut es mich für unsere Tochter, dass sie in dieser Atmosphäre aufwächst.«

Die israelische Wirtschaft wächst, vor allem der Technologiesektor ist seit rund zwei Jahrzehnten eine der wichtigsten Wachstumsbranchen des Landes.

Die Arbeitslosenquote beträgt nur 4,3 Prozent, die Inflationsrate liegt fast bei null. Dennoch lebt ein großer Teil der Bevölkerung in Armut. Betroffen sind davon hauptsächlich kinderreiche, orthodoxe jüdische Familien sowie weite Teile der arabischen Bevölkerung, die zusammen rund ein Viertel der Gesamtbevölkerung ausmachen. Doch auch ein großer Teil der säkularen Israelis mit relativ guten Arbeitsplätzen und Gehältern leidet unter den sehr hohen Lebenshaltungskosten.

 

»Man kennt sich untereinander, so dass jeder jedem hilft. Die Werte im Kibbuz sind andere als in der Stadt.« Vered Silberman, Kibbuzbewohnerin

 

Diese sind in Israel zum Teil um 25 bis 50 Prozent höher als in den USA oder Europa. Auch die Mietpreise machen vielen Israelis zu schaffen. Die Wohnungsnot wird immer größer. Seit 2007 haben sich die Immobilienpreise verdoppelt und einem aktuellen Bericht des Internationalen Währungsfonds (IWF) zufolge sind sie 2017 nochmals um 7,5 Prozent gestiegen. Die Wohnkosten sind im Verhältnis zum Einkommen in Israel höher als in den meisten anderen Ländern, im Durchschnitt betragen sie über 51 Prozent der Einkünfte eines Haushalts.

Vor allem in Tel Aviv ist die Situation besorgniserregend. Schon vor einigen Jahren entwickelte sich die »weiße Stadt« zum beliebtesten Wohnort in ­Israel. Die Stadt ist lebendig, jung, weltoffen und schläft niemals. Doch eine bezahlbare Wohnung in der Mittelmeermetropole finden immer weniger Israelis. Dies ist einer der Gründe, ­warum immer mehr von ihnen sich nach alternativen Wohnmöglichkeiten umsehen.

 

Beliebter Klassiker

Nicht wenige Israelis aus der Mittelschicht haben wie Ifat Ben-Zvi den Kibbuz für sich neu entdeckt. Die Warte­listen sind lang. »Die Wiederbelebung der Kibbuzim in Israel ist eine unerwartete Überraschung, zumal viele noch vor zehn Jahren bezweifelt haben, dass die Bewegung überhaupt überleben wird«, erzählt Ben-Zvi.

Eine landesweite Wirtschaftskrise seit den achtziger Jahren, die um das Jahr 2000 ihren Höhepunkt erreichte, habe einen großen Teil der Kibbuzim »an den Rand des Bankrotts« gebracht, sagt Eli Ben-Rafael, ein Soziologie­professor an der Universität Tel Aviv. Im Jahr 2002 leitete Ben-Rafael eine Regierungskommission, die Reformen in den Kibbuzim förderte und es neuen Bewohnern erlaubte, ihre Häuser als Privateigentum zu besitzen, individuelle Gehälter zu verdienen, außerhalb des Kibbuz zu arbeiten und ein eher privat orientiertes Leben zu führen.

Auch Gil Silberman, 33, ein freiberuflicher Fotograf für Reisemagazine in ­Israel, und seine Frau Vered, 31, eine Restaurantbetreiberin, zogen vor ein paar Jahren von Tel Aviv nach Ortal, ein Kibbuz auf den Golanhöhen. Hier wird das Vogelgezwitscher zwar manchmal vom Raketendonner des nahen syrischen Bürgerkriegs gestört, ansonsten ist die Atmosphäre aber recht idyllisch. »In Tel Aviv mussten wir beide sehr viel arbeiten, hauptsächlich um die Miete zu zahlen. Da die Lebenshaltungskosten generell hoch sind, bleibt dir nicht viel vom Gehalt. Irgendwann wirkte alles total sinnlos«, sagt Vered. Sie betreibt ein erstklassiges Restaurant, das in der Region einen sehr guten Namen hat.

 

Kibbutz, Foto

Idylle in Grenzlage. Der Kibbuz Ortal im Norden Israels

Bild:
Tal Leder

 

»Wir haben uns auch wegen unserer zwei kleinen Kinder entschieden, in einen Kibbuz zu gehen. Hier werden sie nicht zu Konsumenten der Großstadt«, erzählt Gil. »Sie werden die Natur entdecken und lieben, dazu noch Gemeinschaftswerte und gegenseitige Hilfe.« Vered ergänzt: »Eine Familie zu gründen und auch ein Haus zu bauen, ist hier viel einfacher als im Zentrum. Es gibt weniger Stress. Auch kennt man sich untereinander, so dass jeder jedem hilft. Die Werte im Kibbuz sind andere als in der Stadt.«

 

»Wir sind ganz normal beim Einwohnermeldeamt registriert und haben eine offizielle Adresse.« Micky Rubinstein, Hausbootbewohner

 

Viele Kibbuzim könnten die Nachfrage nicht mehr bedienen, sagt Nir Me’ir, der Generalsekretär der Kibbuzbewegung. »Das Wachstum hat mit ­einigen Faktoren zu tun. Einer davon ist, dass die Zeiten vorbei sind, in denen Kibbuzim es Nichtmitgliedern erlaubten, einzuziehen und in Neubauvierteln zu leben, die aber nicht vollständig Teil der Kibbuzgemeinschaft waren. Gleichzeitig haben sich die Kibbuzim von ihrer früheren Finanzkrise erholt und verschiedene Veränderungen haben diese Kollektive wieder attraktiv gemacht.«

In den vergangenen Jahren haben sich viele Kibbuzim vom Ideal des kollektiven Lebens entfernt, wurden mehr und mehr privatisiert und führten unterschied­liche Löhne ein. »Trotzdem haben die Kibbuzim eine Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft und gegenseitige Verantwortung aufrechterhalten«, so Nir Me’ir. »Der Kibbuz erlebt so etwas wie eine Renaissance. Viele junge Israelis haben die Lebensqualität des Kibbuz wiederentdeckt. Und es werden immer mehr.«

Wohnraum auf dem Wasser

Doch einige wollen ihr geliebtes Tel Aviv nicht für ein Leben in einem Kibbuz auf dem Land verlassen. Eine Möglichkeit, die Annehmlichkeiten der Großstadt nicht zu missen und dennoch wenig Miete zu zahlen, ist das Leben auf einem Boot im Hafen. »Die Miete, die wir an der ›Marina‹ zahlen, ist sehr viel geringer, als wenn wir uns eine alte, hässliche Bruchbude zulegen würden«, sagt Micky Rubinstein. »Wir haben unser eigenes Zuhause auf unserem schönen Boot, und wenn wir Lust haben, dann machen wir einen Abstecher nach Zypern oder Griechenland.« Vor zwei Jahren entschieden sich Micky Rubinstein und seine Frau Daniela, mit ihrem zweijährigen Labradorhund auf ein Boot zu ziehen. Jahrelang hatten sie in verschiedenen Mietwohnungen im Zentrum Tel Avivs gelebt und mussten miterleben, wie die Miete immer weiter stieg.

»Das ist nicht mehr normal«, beklagt sich Daniela. »Man zahlt in Tel Aviv für wirklich durchschnitt­liche Zwei- bis Dreizimmerwohnungen umgerechnet 1 500 Euro und mehr. ­Dafür kann man in jeder europäischen Metropole eine schöne, geräumige Wohnung bekommen. Als es uns am Ende zu viel wurde, entschieden wir uns, ein Boot zu kaufen. Micky leistete seinen Wehrdienst bei der Marine und war schon immer von Schiffen begeistert.«

Das schöne Boot bietet eine gemüt­liche Badewanne, eine richtige Küche und ein Doppelbett mit Blick auf den Sternenhimmel. Selbst einen Internetanschluss gibt es. Ein moderner Wohnraum auf dem Wasser. Das Zuhause der Rubinsteins bietet einiges, von dem viele Menschen träumen.

»Wir sind ganz normal beim Einwohnermeldeamt registriert und haben eine offizielle Adresse«, sagt Micky und zeigt stolz seinen Personalausweis. Er deutet auf die vielen anderen unterschiedlichen Boote, die im Hafen von Tel Aviv liegen: »Wir haben sehr viele Nachbarn. Ältere Leute, aber auch Familien mit Kindern.«

Für Tausende in Tel Aviv ist das Leben auf dem Wasser eine beliebte ­Alternative zu teuren Mietwohnungen geworden. »Bei den meisten hier spielten die hohen Immobilienpreise eine wesentliche Rolle für die Entscheidung, auf ein Hausboot zu ziehen«, sagt Da­niela. Sie holt einen Bericht der Stadt Tel Aviv über die Entwicklung der Marina hervor und liest vor: »Zwischen 2012 und 2017 ist die Zahl der Bootsbesitzer um 60 Prozent gestiegen.«

Auch das Rentnerehepaar Tamar und Moshe Levi ist vor drei Jahren in die Marina von Tel Aviv gezogen. Beide hatten zwar eine Eigentumswohnung im Norden der Stadt, doch die haben sie ihrer Tochter überlassen, die jetzt dort mit ihrer neugegründeten Familie lebt. »Unsere einzige Tochter, Shir, ist 29 Jahre alt und hat jetzt selbst ein Kind«, erzählt Moshe. »Sie und ihr Mann haben zwar einen guten Job, doch die Miete in ihrer alten Wohnung war sehr hoch. Am Ende des Monats blieb ihnen kaum etwas übrig.«

Tamar setzt sich mit frischem Kaffee dazu und fügt hinzu: »Wir mochten ­Segeln und das alles schon früher und konnten uns immer ein Leben auf dem Boot vorstellen. So haben wir unsere Wohnung unserer Tochter überlassen und jetzt sind alle glücklich.« Während des Gesprächs erzählen die Levis, dass sie des Öfteren mit dem Boot Freunde auf Zypern besucht haben.

Eine andere Möglichkeit, den hohen Mieten in der Großstadt zu entgehen, ist der Umzug in kleine Vororte. Doch selbst dort ist es nicht mehr so günstig. Auch Wohngemeinschaften werden wieder beliebter. Auf die Frage, was die Rubinsteins machen, sollten sie Kinder bekommen, antwortet Micky mit einem breiten Grinsen im Gesicht: »Dann müssen wir uns eben ein größeres Boot kaufen.«