Der Streit über das Museum Synagoge Gröbzig in Sachsen-Anhalt

Shtetl statt Shoah

In der Stadt Südliches Anhalt sorgt die Zukunft des Museums Synagoge Gröbzig für Streit. Ein örtlicher Mythos besagt, in der Reichspogrom­nacht hätten die damaligen Einwohner die Synagoge vor der Zerstörung bewahrt.

Das Museum Synagoge Gröbzig blieb Anfang des Jahres vorübergehend für den Besucherverkehr geschlossen. Die größte Attraktion des Ortsteils der Stadt Südliches Anhalt hatte im Lauf der vergangenen beiden Jahre für Streit gesorgt. Grund dafür ist die inhaltliche Ausrichtung der vom Land Sachsen-Anhalt, vom Landkreis und von der Kommune finanzierten Bildungsstätte. Der stellvertretende Landrat des Landkreises Anhalt-Bitterfeld, Bernhard Böddeker (CDU), warf dem bisherigen Trägerverein »Freunde und Förderer des Museums Synagoge Gröbzig« vor, die angebotenen Veranstaltungen seien kaum von Menschen aus der Region besucht worden. Es sei »ja auch schön«, dass Gäste aus ganz Deutschland das Museum besuchten, aber nicht der Grund, weshalb man »so viel Geld ausgeben« wolle, sagte Böddeker dem MDR vor einigen Wochen. Er selbst gründete deshalb mit einigen Mitstreitern den neuen »Museumsverein Gröb­ziger Synagoge«, dessen Vorsitzender er auch ist. Der Fördervertrag des Landes, Landkreises und der Stadt mit dem alten Trägerverein lief im vergangenen Jahr aus, weshalb es zur vorübergehenden Schließung kam.

Die Veränderungen kommen nicht überall gut an. Der Parlamentarische Geschäftsführer von »Die Linke« im sachsen-anhaltinischen Landtag, Stefan Gebhardt, bemängelte kürzlich, dass »die neue Ausrichtung der Museumsarbeit keinerlei Hinweise zum Themenbereich Juden im Nationalsozialismus« mehr beinhalte. Die »Initiative gegen antisemitische Propaganda« (Igap) aus Halle bezeichnete die Vorwürfe Böddekers in einem offenen Brief Anfang März als unwahr. Die Kritik, das Museum habe nicht genügend Zuspruch aus der Region erhalten, hätten die bisherige Museumsleiterin Marion Mendez und der alte Trägerverein bereits in Stadtratssitzungen widerlegt, so die Igap. Nach Ansicht der Initiative geht es dem neuen Verein um eine Änderung des inhaltlichen Konzepts. »Die Shoah soll in der Zukunft nicht mehr im Fokus stehen«, sagte die Sprecherin der Igap, Nadja Schladitz, der Jungle World. Stattdessen gehöre zum neuen Konzept »die Verklärung des historischen Gröbziger Gemeindelebens« und Shtetl-­Romantik. Jüdische Folklore lasse sich weitaus besser vermarkten als »eine kritische und reflektierte Auseinandersetzung mit der Rolle Gröbzigs zur Zeit der Shoah«, so Schladitz.

Angesichts der Kritik schob Böddeker erklärende Worte nach. Sein neuer Verein habe umgehend die Unterstützung jüdischer Organisationen gesucht, gab er in der vergangenen Woche der Mitteldeutschen Zeitung zu Protokoll. Die Igap will die weitere Entwicklung nach eigenen Angaben dennoch weiter im Auge behalten.

Die Geschichte der Synagoge Gröbzig ist ungewöhnlich: Im 19. Jahrhundert waren zwischen 15 und 20 Prozent der Gröbziger Bevölkerung jüdischen Glaubens. Nach der Gründung des Deutschen Reichs 1871 zog es viele Juden in größere Städte, so dass Anfang der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts nicht mehr genügend Gemeindemitglieder für den Unterhalt der Synagoge sorgen konnten. Deshalb verhandelte die jü­dische Gemeinde damals mit der Stadt über eine temporäre Übertragung des gesamten Gebäudekomplexes an die Kommune. In der endgültigen Fassung des Vertragstextes für die Überlassung, die zwischen Mai und August 1934 entstand, wurde der Synagogenkomplex der Stadt für die Dauer von 30 Jahren zur Nutzung als Museum überlassen. Ein in früheren Entwürfen enthaltener Passus, wonach das Gebäude unter Wahrung des »bisherigen Charakters als Gotteshaus« zu erhalten sei, fehlte allerdings. Nach der Übergabe wurde der Komplex als Heimatmuseum hergerichtet, alle Zeichen der vorherigen Nutzung wurden entfernt.

Dass die Synagoge als eine der wenigen in Deutschland die Reichspogromnacht 1938 überstand, liegt schlicht an dieser Umwidmung ihres Zweckes einige Jahre zuvor. Doch nicht nur in der Gröbziger Lokalpolitik wird regelmäßig mit Stolz auf den Erhalt der Synagoge hingewiesen. In dem Buch »Geschichte der Stadt Gröbzig« aus dem Jahr 2000, verlegt vom Heimatverein Gröbzig, weisen Fritz Jahrmarkt und Otto Kappes beispielsweise auf die »anständig menschlich denkenden Nazis in Gröbzig« hin. Die Autoren kritisieren zudem die »Erfindungen von Misse­taten der Nazis, um Judenfeindlichkeit in Gröbzig nachzuweisen«. Jahrmarkt war Mitglied der NSDAP und unterzeichnete am 18. November 1938 als Vermieter die Wohnungskündigungen für die verbliebenen Juden in der Stadt.