Die PKK ist eine autoritäre Sekte

Die Partei und die Berge

Wer die kurdische Arbeiterpartei PKK begreifen möchte, muss sich zunächst einmal die Mühe machen, ihre Kämpferinnen und Kämpfer aufzusuchen.
Von

Es ist nicht einfach zu verstehen, was die PKK eigentlich ist. Es reicht nicht aus, ihre Geschichte und ihre verquaste Propaganda zu studieren. Man muss Tee im Flüchtlingslager von Mexmûr trinken, muss Volleyball mit ihren Kadern in den Şinjar-Bergen spielen oder eben hier, in den Wäldern des Nordirak, mit den Guerillas am Lagerfeuer sitzen. Mich interessieren die kleinen Sachen, die sich nicht googeln lassen, die Sachen, die man sehen und erleben muss. Die beiläufigen und nebensächlichen Gesten und Bemerkungen, die mehr über die Menschen verraten als ihre sorgsam formulierten großen Worte. Am aufschlussreichsten ist jedoch das Selbstbild der Guerilla.

Das Leben in den Bergen wird vom Krieg gegen einen übermächtigen Feind geprägt. Dieser Krieg ist auch hier, in der »Medya-Verteidigungsregion« an der irakisch-türkischen Grenze, zu spüren. Lange waren die idyllischen Bergwälder ein sicheres Rückzugsgebiet. Doch inzwischen gerät die PKK auch im Nordirak immer mehr unter Druck. An manchen Tagen gibt es mehrfach Alarm, wenn türkische Aufklärungsdrohnen am Himmel auftauchen.

Dann erliegt sofort alles Leben im Camp. Alle verstecken sich in den Höhlen und unter den Tarnzelten. Manche nutzen die Zeit auch für einem kurzen Mittagsschlaf oder eine Partie Schach. Die Drohnen der Türkei sind nicht bewaffnet und stellen keine unmittelbare Gefahr da. Sie kundschaften aber die Ziele für spätere Angriffe von Kampfbombern und Spezialkommandos aus.

Die Guerilla in den Bergen ist nur eine von vielen Facetten der PKK, zugleich aber ihr wirkungsmächtigstes Propagandainstrument. Männer und Frauen in schlichten olivgrünen Uniformen, die vor der malerischer Naturkulisse gemeinsam singen und tanzen – so möchte die PKK gesehen werden und so sieht sie sich auch gerne selbst. Die Berglandschaft im Hintergrund ist für diese Selbstinszenierung ­essentiell. Denn die Berge gelten in der kurdischen Folklore als »spirituelle Volksheimat«. Die Kurden haben, so ein beliebtes Sprichwort, keine Freunde – außer den Bergen. Die Partei identifiziert sich mit diesen Bergen als einzigen wahren Verbündeten der Kurden.

»In die Berge gehen« bedeutet, sein bisheriges Leben hinter sich zu lassen und jeden Kontakt zur Familie abzubrechen. Die Partei ist von nun an die Familie; ganz wie schon die traditionelle kurdische Großfamilie bestimmt sie jeden Aspekt des Lebens ihrer Mitglieder. Allen basisdemokratischen Lippenbekenntnissen zum Trotz ist die PKK eine streng hierarchische Kaderpartei. Ihre Kader betrachtet sie als bewaffnete Aufklärer, und sie legt bei deren Ausbildung mehr Wert auf politische Bildung als auf militärischen Drill. Doch besteht diese Bildung weitgehend aus dem Auswendiglernen der Parteiideologie, theoretische Auseinandersetzungen und Analysen sind nicht vorgesehen. Emanzipatorische Ideen erstarren so zwangsläufig zum Dogma.

Folglich haftet PKK-Kadern stets etwas Religiöses, geradezu Missionarisches an. Liebesbeziehungen, Sex und Drogen sind bezeichnenderweise verboten. Sie sind Mönche und Nonnen der Revolution, asketische Ordenskrieger ohne jedes Privatleben. Sie opfern ihre persönliche Freiheit, die Perspektive auf ihr privates Glück und nicht selten ihr Leben für die Sache. Im Winter ziehen sie sich auf die verschneiten Bergfestungen zurück wie in eine Art Ideologie-Retreat. Im Gespräch begegnen einem letztlich Apostel der Lehre des Heiligen Abdullah Öcalan von İmralı. Dass eine derart autoritäre Glaubensgemeinschaft trotzdem die progressivste und bei aller Kritik einzige unterstützenswerte Kraft in der Region ist, belegt nur, wie deprimierend es dort eigentlich zugeht.