Wie Lieferdienste die Gastronomie verändern

Wie wir schlemmen wollen

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Der ideale Koch des 21. Jahrhunderts muss also gleich drei Abnehmer im Blick haben: Für den Gast muss das Gericht gut aussehen und schmackhaft sein, für seine Internet-Freunde muss es gut inszeniert werden und für den Foodora-Fahrer muss es außerdem so verpackt sein, dass es den Transport heiß und ohne äußeren Schaden zu nehmen übersteht.

So, wie die Lieferindustrie die ­Küchen verändert, ist auch das Berufsbild der gastronomischen Fahrradkuriere, im Branchenjargon Rider genannt, ein neues. Mit den alten Sprintern, die wichtige Dokumente von A nach B bringen, haben sie nur wenig zu tun. Durch die die Arbeitsabläufe steuernde App wird der einzelne Rider zum Rädchen im Getriebe. Ohne Smartphone mit mobilem ­Datenvolumen ist die Mitarbeit nicht möglich. Gerät und Verbindungskosten zahlen die Fahrer selbst. Nach dem Einloggen an einem zentralen Checkpoint werden dann von einem Algorithmus automatisch die Arbeitsaufträge verteilt. Dabei bekommt der einzelne Rider immer nur so viel Informationen, wie er dringend ­benötigt. Erst, wenn die Speisen am Restaurant abgeholt sind, verrät die App das Lieferziel. Im Gegenzug misst die mobile Software Geschwindigkeit, gefahrene Kilometer und Anzahl der bearbeiteten Bestellungen. Die­jenigen, die im Monat die meisten Lieferungen schaffen, bekommen einen Bonus auf den Stundenlohn ­gezahlt. Ein großer Teil der Fahrer arbeitet auf Mini- und Midijobbasis oder ist Werkstudent. Nur wenige liefern ausschließlich Essen aus und können allein davon leben.

Das markanteste Erkennungszeichen der Rider, die scheinbar kubikmetergroßen Rucksäcke, scheinen ein Meisterwerk der Ingenieurskunst zu sein. Fahrer loben das niedrige Leergewicht, der Pressesprecher von Foodora, Vincent Pfeifer, schwärmt davon, wie warm die Gerichte darin bleiben. Weniger großartig scheinen Helme, Trikots und Regenjacken zu sein, berichtet Theresa Ingendaay. »Sie sind von sehr schlechter Qualität. Die Jacken saugen sich schnell mit Wasser voll und sind dann schwer und nass.« Ingendaay hat in Leipzig die Deliverunion mitgegründet, eine Fahrradkurier-Gewerkschaft unter dem Dach der FAU. Ingendaay war über ein Jobportal im Internet zu Foodora gekommen. »Da hieß es noch, es gäbe zwölf Euro die Stunde.« Die erste Ernüchterung kam schnell. Der tatsächliche Stundenlohn betrug neun Euro. Auf zwölf Euro kommen nur die, die den Bonus für Schnelligkeit abgreifen und pro Stunde zwei Euro Trinkgeld zusammenbekommen. Wer länger dabei ist, kann für ­einen Euro mehr die Stunde zum ­Rider Captain aufsteigen. »Das mit dem Trinkgeld klappt in der Regel aber ganz gut. Samstagabend gibt es am meisten, um die Mittagszeit am wenigsten. Dabei ist die Fahrt da auch nicht einfacher«, sagt Ingendaay. Üblicherweise beläuft sich das Trinkgeld auf einen Euro.

In Berlin und Leipzig haben sich FAU-Gruppen gebildet, die die Interessen der Fahrer gegenüber Foodora vertreten wollen. Zentrale Forderungen sind die Anhebung des Stundenlohnes auf zehn Euro, eine Reparaturpauschale von 35 Cent pro gefahrenem Kilometer und besseres Equipment. Zumindest bei der Reparaturpauschale gab es ­einen kleinen Erfolg: Seit Januar 2018 bekommen Foodora-Fahrer pro gefahrener Stunde einen Gutschein über 25 Cent für den Fahrradservice Livecycle.

In Köln ist es sogar gelungen, einen Betriebsrat bei Foodora zu gründen. Die Fahrer von Deliveroo haben dort ähnliche Pläne, das Unternehmen wehrt sich jedoch. »Seit wir planen, den ersten Deliveroo-Betriebsrat Deutschland zu gründen, lässt das Unternehmen alle befristeten Ver­träge auslaufen«, sagte Mohamed Boudih von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten der Kölnischen Rundschau. Ingendaay fährt in Leipzig ebenfalls nicht mehr für Foodora. »Ich wurde grundlos gekündigt. Keiner konnte mir verraten warum und sie haben mir hinterher den Job zwar wieder angeboten, aber dazwischen war ich drei Wochen ohne. Nachdem mir als Entschädigung nur Mehrarbeit angeboten wurde, habe ich nach ein paar Monaten selbst gekündigt.«

So leicht werde Foodora sie aber nicht los, denn in der Deliverunion engagiert sich die Auszubildende weiterhin.

Obwohl alleine Foodora mittlerweile 2600 Angestellte hat – der größte Teil der Menschen, die damit Geld verdienen, Essen auszuliefern, dürfte von diesen Kämpfen bisher wenig haben. Noch sind die Fahr­radkuriere insgesamt gesehen die Ausnahme unter den Liefernden. Der klapprige Opel Corsa mit den Pizza­kartons im Kofferraum ist ­immer noch die Regel. Die Hälfte aller Essensbestellungen werden auch 2018 über das Telefon und ohne App abgewickelt. Dass die problematischen Arbeitsbedingungen in diesem Gewerbe endlich öffentlich debattiert werden, mag auch damit zu tun haben, dass der Job als Rider auf das urbane, progressive Milieu deutlich attraktiver wirkt als der altmodische Job eines Pizzajungen.

Ein Glücksfall für die Branche: Denn wer langfristig bessere Arbeitsbedingungen für die Fahrenden bei Foodora und Deliveroo will, wird auch für den Corsa-Fahrer der Pizzeria an der Ecke streiten müssen. Der ist die Konkurrenz für den Fahrradkurier und solange er prekär bezahlt wird, kann der Rider nur schwer besser ­bezahlt werden, ohne dass das ganze Geschäftsmodell bedroht wäre.

Aus den Jahren unmittelbar vor Einführung des Mindestlohns gibt es Berichte von Menschen, die für das Rollerfahren bei Joey’s Pizza 4,10 Euro die Stunde verdient haben. Wenn die, die andern ihre Lebens­mittel fahren, davon selbst nicht leben können, dann ist das System grundsätzlich kaputt. Wenn wir dem gastronomischen Großkritiker Jürgen Dollase glauben dürfen, dann sind aber nicht Pizzabäcker oder Pizza­bote schuld. Im Interview erklärte er der FAZ vor einem Jahr kämpferisch: »Nichts ist nicht politisch. Das gilt natürlich auch fürs Essen. Als Konsumenten sind wir verantwortlich für die kulinarische Landschaft. Wir sind Täter mit unserem Handeln – und mit unserem Unterlassen. Wenn Menschen nur Mist kaufen, wird auch nur Mist produziert. Wenn man in Deutschland jedoch der Frage nachgeht, warum oft schlechte Produkte angeboten werden, ist es Usus, dem Handel und den Produzenten die Schuld zu geben. Für meine Begriffe sollte jedoch auch eine kuli­narische Publikumskritik ein Dauerthema werden. Vor allem der Konsument ist ­neben der Spur. Der Handel würde schon die guten Sachen ­herbeischaffen müssen, wenn er den Mist nicht verkaufen kann.«

Im Kampf um bessere Produkte in der Gastronomie sind Foodora und Deliveroo fast schon ein Etappensieg. Die Lieferdienste werben offensiv damit, gutes Essen aus richtigen Restaurants zu liefern. In der Regel sind sie etwas teurer als der Asia-Imbiss an der Ecke. »Theoretisch ist bei uns fast alles lieferbar«, sagt Pfeifer. »Aber die Big Five sind Pizza, Burger, Pasta, Sushi und Bowls.« In andern Ländern hat Deliveroo es sogar geschafft, Sterne-Restaurants zu gewinnen. Auch umwelttechnisch tut sich was: »Wir wollen wegkommen vom ­Aluminium und Plastikgeschirr der neunziger Jahre und empfehlen nachhaltiges Verpackungsmaterial aus Bagasse«, sagt Pfeifer. Diese ­neuen Verpackungen hat aber noch niemand zu Gesicht bekommen.

Von klassischen Alukistchen bis zu modernen Plastikschüsseln brachten die Radler einiges, was Speisen zwar gut warm hält, aber leider Unmengen an Müll verursacht. Dagegen hilft auch keine kulinarische Publikumskritik.