Beim 11-mm-Fußballfilmfestival in Berlin gab es Filme über den russischen Fußball

Vorkriegsegoisten und verliebte Hooligans

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So wie bei »Teacher«, dem Anführer und Professor, der im wahren Leben bei seinen Eltern wohnt und noch nie eine Freundin mit nach Hause gebracht hat. So wie bei Wolodja, einem nicht ganz so smarten, aber im Grunde liebenswerten Typen, der in der Gruppe den Macho geben will und außerhalb seine neue Freundin Taisia vergöttert. Taisia ist es auch, die stellvertretend für den Zuschauer immer wieder eine Frage stellt: Warum macht ihr das eigentlich? Im echten Leben, sagt einer, gebe es so viele Widersprüche und Komplikationen. Hier sei dagegen alles ganz einfach, schwarz und weiß. So einfach ist es natürlich nicht, und ­irgendwann bricht die bürgerliche Fassade zusammen. Selbst zum Zeitpunkt der großen Eskalation kann eigentlich keiner der Hools eine befriedigende

Antwort auf die Frage geben, warum sie tun, was sie tun.
Fußball in Russland ist auch das Thema des zweiten Films, aber auf sehr viel ruhigere, poetischere Weise. »Garpastum« porträtiert die Brüder Nikolai und Andrej, die im Sankt Petersburg zu Beginn des Ersten Weltkriegs den Fußball für sich entdeckt haben. Sie sind mehr oder minder auf sich allein gestellt; die Mutter ist gestorben, der Vater ist geistig verwirrt (der Auslöser, stellt sich später heraus, war das legendäre 16:0 von Deutschland gegen Russland, bei dem der Vater dummerweise alles Geld der Familie auf einen russischen Sieg gesetzt hatte). Auch die Jungs haben nicht viel außer Fußball im Kopf. Der Film zeichnet die Situation widersprüchlich. Onkel und Tante, bei ­denen die Brüder leben und sich versorgen lassen, werfen ihnen gern vor, nur an sich zu denken. Ist unsere Generation wirklich eine von selbstverliebten Egoisten, fragen sich auch die Jugendlichen immer wieder. Und was bedeutet das, wenn es stimmen sollte?

»Garpastum« ist ein kluger, reflektierter, optisch schöner Film. Die langsamen Bilder und die vielen Minuten, in denen kaum etwas passiert, strapazieren die Geduld des Zuschauers manchmal über Gebühr – ein bisschen mehr Handlung hätte gut getan. Aber das zähe Dahinziehen der Tage gibt ein Gefühl für das Leben, das die beiden Brüder führen. Im Hintergrund droht der Kriegsbeginn: Teamkameraden werden in die Armee eingezogen, Ausländer werden zum Feindbild, Flüchtlinge kommen, und beständig liegt das drückende Gefühl einer nahenden Katastrophe in der Luft. Es nahe eine neue Epoche, glaubt eine Protagonistin. Und vielleicht ist die neue Epoche unbemerkt schon da, während Nikolai und Andrej sich an dem festhalten, was immer Bestand hat: Straßenfußball.
Das Sankt Petersburg, das der Film zeigt, hat nichts zu tun mit der herausgeputzten schillernden Stadt von heute. Es ist eine Stadt der hölzernen Baracken und der Armut, der schlammigen Straßen voller Pfützen und der schmutzigen, vernachlässigten Kinder. In fast jeder Szene liegt Nebel in der Luft, es regnet dauernd. Die Atmosphäre ist die große Stärke von »Garpastum«: Der Film nimmt den Zuschauer mit in eine sepiafarben eingetauchte, matschige Welt, wo Fußball der einzige Lichtblick ist.

Nikolai und Andrej haben es da vergleichsweise gut: Sie sind reiche Kinder, die keine Sorgen haben außer der, dass ihnen ein geeigneter Fußballplatz fehlt. Einer ihrer Teamkameraden nimmt sie mit in das Ghetto, in dem er aufgewachsen ist. In einer rohen, zwielichtigen Welt, in der die beiden Brüder nicht zurechtkommen, handelt er mit einem Kaufmann, um ein Fußballfeld zu erstehen. Die Brüder wollen dort ein Stadion bauen. Aber erst kommt ­einiges dazwischen und dann der Krieg. Nikolai wird eingezogen. Als er zurückkehrt, trifft er in einer hungernden Stadt den Bruder Andrej wieder, der mittlerweile Frau und Kinder hat und immer noch ein Egoist ist. Sie haben sich voneinander entfernt, und auch die Welt um sie herum ist fremd geworden. Also tun sie das, was sie immer zusammenhielt: Sie spielen Fußball.


Garpastum, Russland 2005, 116 Minuten, Regie: Aleksei Alekseivich German Kicking Off – Anstoss zur 3. Halbzeit, ­Russland 2013, 100 Minuten, Regie: Anton Bormatov