Die Kooperative Palo Alto in Mexiko-Stadt ist von Verdrängung bedroht

Das letzte Dorf von Santa Fe

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Reportage Von

Abschottung aus Angst

Für die Art Urbanisierung, wie sie eine am Neoliberalismus orientierte Stadtentwicklung vorsieht, stehen Wohnprojekte wie Agwa Bosques exemplarisch. Dort wird der Wohnraum zu ­einem von Kameras privater Sicherheitsfirmen überwachten Ort, wo Begegnungen in der Nachbarschaft und im Viertel verschwinden zugunsten ­eines individualistischen Rückzugs in sogenannte gated communities, in ­Mexiko barrios cerrados (geschlossene Viertel) genannt. Die geographische Nähe lässt die Unterschiede der verschiedenen Modelle des Lebens und Wohnens in der Stadt noch deutlicher vervortreten: Hier die Kooperative Palo Alto, die das solidarische Leben zu erhalten sucht, dort die exklusive gated community.

Die Angst vor Gewalt war das Schlüsselelement für die Entstehung solcher abgeschlossener Wohnkomplexe; Abschirmung und Befestigung sind ihre wesentlichen Charakteristika. Solche Wohnmodelle haben sich vor allem in Städten verbreitet, die einen hohen Grad an sozialer Ungleichheit aufweisen – wie auch Mexiko-Stadt. Es sind Städte, in denen illegale Praktiken fast schon die Norm darstellen und das Misstrauen gegen die Gemeindeverwaltung zur Privatisierung bestimmter ­öffentlicher Aufgaben führt. In solchen Wohnkomplexen obliegen bestimmte Dienstleistungen privaten Unternehmen, die diese gewinnorientiert anbieten, während deren Nutzerinnen und Nutzer sich in Kundinnen und Kunden verwandeln. Die wichtigste Dienstleistung ist die »Produktion von Sicherheit«, die nicht nur einen geschützten Raum für den Verkehr von Gütern und Personen schafft, sondern auch stofflich und symbolisch ausschließende Grenzen setzt.

»Wenn ich aus dem Haus gehe, bewege ich mich ausschließlich im Auto und normalerweise fahre ich damit ins Einkaufszentrum. Ich gehe nicht gern in die Stadt, das ist gefährlich«, sagt Cinthia, die im Club de Golf de Bosques de Las Lomas wohnt, einer der ausgedehnteren und exklusiveren geschlossenen Wohnanlagen der Hauptstadt, die im selben Viertel wie die Kooperative Palo Alto liegt. »Ich kann es mir erlauben, für meine Sicherheit zu zahlen. Falls ich es nicht tue, wer macht es dann für mich?« fragt Rita*, eine andere Bewohnerin des Club de Golf de Bosques de Las Lomas. »Hier im Club de Golf haben wir für alle Mitglieder einen Sicherheitsdienst engagiert und einen für die Verwaltung unserer Wohnanlage. Und dann haben wir noch unseren Wachmann, den wir selbst engagiert haben, da wir in einem Haus wohnen, nicht in einer Wohnung.«

 

Von Angesicht zu Angesicht

Die Kooperative Palo Alto ist von solchen exklusiven Wohnanlagen umzingelt. In Palo Alto wird der öffentliche Raum ganz anders genutzt – intensiver. Der Autoverkehr ist sehr reduziert und es gibt eine Solidarität, die auf Begegnungen von Angesicht zu Angesicht basiert, auf dem zentralen Platz, den Märkten oder dem Fußballfeld. Die Nachbarinnen in der Kooperative lassen die Türen ihrer Häuser fast die ganze Zeit offen.

Der Anwalt Luis Márquez und seine Frau Fabiola Cabrera laden zu sich ins Hause ein. Wie ihr Mann ist auch Fabiola Cabrera sehr aktiv in der Kooperative, sie ist eine der Sprecherinnen der Teilhaber, Kinder und Enkel der ehemaligen Sandgrubenarbeiter. Bevor sie sich um ihren Besuch kümmern können, müssen Cabrera und Márquez aber noch einmal kurz weg. Sie kämen gleich nach, zuerst müssen beide ihre Kinder zu einem Baseballspiel bringen.

Samstags und sonntags füllt sich die Kooperative, ihr zentraler Platz und das Fußballfeld sind voller Menschen. Essensstände und spielende Kinder prägen das Geschehen. »Die Feste sind sehr wichtig für die Gemeinde«, erklärt Márquez, »Geburstage und jegliche Veranstaltung feiern wir alle zusammen. Es ist Tradition und zudem eine Form, um den Gemeinschaftssinn zu stärken.«

»Wir kennen uns alle«, sagt Imelda, eines der ältesten Mitglieder der Kooperative. »Wir haben zusammen gelebt und vertrauen einander. Wir haben zusammen gekämpft!« Auf einer der alle zwei Wochen stattfindenden Gemeindeversammlungen waren es Imelda und ihre Freundinnen, die begeistert vorgeschlagen haben, ein »Haus des älteren Erwachsenen« zu gründen, in dem sie sich treffen, einen Garten pflegen, Yoga machen und zusammen Filme schauen können. »Dank der Hilfe der anderen haben wir das geschafft. Wir haben einen Kredit aufgenommen und das gekauft, was uns gefehlt hatte«, sagt Imelda.

»Sie üben ihre Rechte aus und sichern so den Verbleib künftiger Generationen, die sehr wahrscheinlich keine andere Möglichkeit haben werden, an würdigen Wohnraum zu kommen. Sie können auf Räume und praktischen Gemeinsinn zählen. Kollektive Gerechtigkeit wird in Palo Alto in gewisser Weise Wirklichkeit«, sagt Maria Silvia Emanuelli von der HIC. Welche Folgen das Megaprojekt Agwa Bosques für die Zukunft der Kooperative haben wird, ist allerdings noch ungewiss.
*Name von der Redaktion geändert