Die Biographien von Sally Kaufmann und Mordechai Tadmor

Im Kampf um Israel

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Sally Kaufmann: Herausgeber, Patriot, Zionist und Nazigegner

Mordechai Tadmors Vater, Sally Kaufmann, wurde 1890 als Sohn des Lehrers Markus Kaufmann und ­seiner Frau Bettina (geb. Katzenberg) in Ungedanken, einem kleinen Dorf in Hessen, geboren. Sally Kaufmann erlernte den Beruf des Kaufmanns. 1915 wurde er als Soldat eingezogen und im Juni 1916 an der Somme als Unteroffizier in die Schlacht gegen englische Truppen geschickt. Er hatte Glück im Unglück und überlebte schwerverletzt und als Träger des Eisernen Kreuzes das Gemetzel.

Nach längeren Lazarettaufenthalten und Tätigkeiten in verschiedenen Läden eröffnete er seinen eigenen Kolonialwarenladen in der Innenstadt Kassels. »Ich war nie im Geschäft meines Vaters, ich kannte auch nicht das Sortiment oder die Kunden«, erzählt Mordechai Tadmor, »oft, wenn viel Betrieb im Geschäft war, rief mein Vater meine Mutter zu Hilfe und sie ließ mich dann allein zurück. Sie sah oft sehr verbittert aus, lächelte nie und umarmte mich nicht. Ich glaube, es passte ihr nicht, die Frau eines Kolonialwarenhändlers zu sein. Später, als mein Vater die Jüdische Wochenzeitung herausgab und wir in die Kölnische Straße ­zogen, änderte sich die Lage. Wir waren irgendwie Prominenz. In der Gemeinde wurden wir respektiert.«

Tadmor erzählte, dass das Rollenverständnis des Vaters in der Familie stark von der Kaiserzeit und vom Soldatentum geprägt war. »Er war durch und durch Unteroffizier. Dass ich ihm zu gehorchen habe, war sein ständiges Credo.« Mit den Kindern redete der Vater nicht viel. Über seine politischen Ansichten und Tätigkeiten schon gar nicht. »Mein Vater war einfach da, ohne viele Worte zu verlieren. Sein ganzes Wesen drückte einen für ihn selbstverständlichen Patriotismus aus.

Seine Erinnerungen an das ›Feld‹, das Eiserne Kreuz, sein Silbernes Verwundetenabzeichen ­prägten sein Auftreten in der Familie.« Doch hinter dieser Fassade ­verbarg sich offensichtlich ein anderer Mensch. Sally Kaufmann war nach dem Krieg in der Kasseler Gruppe des Reichsbunds jüdischer Frontsoldaten (RjF) aktiv. Die hessische Gruppe des RjF sah ihre Aufgabe darin, im »antisemitisch verseuchten Kurhessen« die völkische Bewegung zurückzudrängen. In der zur Pogromen »aufreizenden Zeit« 1923 wurde auch ein Selbstschutz gegründet, der sich durch sein ener­gisches Auftreten Achtung bei den Gegnern verschaffte. 1927 wurde Sally Kaufmann als Beisitzer in den Vorstand des RjF Kassel gewählt. Die Treffen der Kasseler RjF-Gruppe fanden, so erinnert sich Tadmor, auch in der eigenen Wohnung statt. Auch in der Kasseler Zionistischen Gruppe war Sally Kaufmann aktiv. Am 24. Oktober 1925 wurde Kaufmann in den Vorstand der Kasseler Gruppe gewählt. Die Zionistische Gruppe trat dafür ein, eine jüdische Identität auszubilden und diese auch nach außen zu vertreten. Sie kritisierte die von vielen deutschen ­Juden vertretene Strategie der Assimilation. Eine wichtige Forderung der Zionistischen Gruppe war die »Erziehung eines von jüdischem Geiste und jüdischem Bewusstsein durchdrungenen Geschlechts«. Eine weitere Aktivität der Zionistischen Ortsgruppe bestand darin, junge Kasseler Juden für die Übersiedlung nach ­Palästina vorzubereiten, indem sie diese handwerklichen und land­wirtschaftlichen Berufen zuführte. So wird in einer Notiz in der Jüdischen Wochenzeitung am 30. Oktober 1925 darüber berichtet, dass fünf jü­dische Mädchen auf einem Gut der Firma Henschel in der Geflügelzucht ausgebildet werden konnten.

Die Autoren der Zeitung mischten sich mit ihren Beiträgen in die zeitgenössischen politischen Debatten ein. Die »Jüdische Wochenzeitung« ergriff dabei klar Partei für den Zionismus und bezog immer häufiger Stellung gegen den Nationalsozialismus.

Die wichtigste Tätigkeit Kaufmanns war jedoch das Herausgeben der Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Hessen und Waldeck. Zunächst im Auftrag der Jüdischen Gemeinde, erschien sie erstmals am 4. April 1924. Später gründete Kaufmanns seinen eigenen Verlag; die Jüdische Wochenzeitung erschien dann in ­eigener Regie auch in anderen Städten, so unter anderem in Hannover, Braunschweig und Chemnitz. Die Publikation der Zeitung führte Anfang der dreißiger Jahre dazu, dass die Kaufmanns einen bescheidenen Wohlstand erlangen konnten, ein Haus kauften und dort eine gut eingerichtete große Wohnung bezogen. In der ersten Nummer der Zeitung umriss Dr. Joseph Prager, Sohn des damals prominenten Rabbiners Isaac Prager, die Programmatik der Zeitung. Vor dem Hintergrund des allgemeinen Zusammenbruchs und Niedergangs, in den er auch das jü­dische Leben in Deutschland mit einbezogen sah, sei ein Neuaufbau nötig sei. Die Zeitung solle dem Judentum dienen, für seine äußere Würde und Sicherheit eintreten und an der Vertiefung aller jüdischen ­Interessen mitarbeiten. Prager betonte, dass die Zeitung keiner Partei im Judentum dienstbar sein solle, vielmehr sollten alle Fragen behandelt und alle Nachrichten vermittelt werden, »die zu kennen für Juden jeglicher Partei wichtig sind«. Der Fokus sei auf die heimatlichen Ange­legenheiten, die Geschichte und das Wirken der örtlichen Gemeinden zu richten. Prager plädierte dafür, den Kampf gegen Interesselosigkeit und Gleichgültigkeit aufzunehmen, und hoffte darauf, für diesen Kampf alle Parteien des Judentums zu gewinnen.