Karsten Rodemann, dem Betreiber des Videodrom, im Gespräch

Eine Auswahl, die sonst keiner hat

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Interview Von

Beide Kinos gingen 1994 in EYZ Media auf, die Andreas Wildfang gründete, und die später vom Vorführkino abließ und mit ihrem Streamingdienst Realeyz online ging.
Ja, Andreas war Super-8-Filmemacher und arbeitete später in Berliner Programmkinos. Als es durch die Digitalisierung des Films für kleine Kinos eng wurde, haben Betreiber nach Neuem gesucht. Manche gingen in die Filmproduktion, X-Filme ist die bekannteste davon. Wildfang war progressiver und ging 2009 ins Online-Geschäft. Realeyz ist eine sympathische Nische im Online-Betrieb.

Wie stehst du der ­Digitalisierung in der Filmbranche ­gegenüber?
Digitalisierung ist wichtig, um Filme zu erhalten. Wobei ich schon erlebt habe, dass Archive Originale digitalisieren und danach vernichten – sei es aus Platzgründen, oder im Falle von Nitrat-Filmen aus Sicherheitsgründen. Da wurden schon nachlässig rare Kunstwerke vernichtet.

Ich verteufele auch keineswegs Online-Anbieter. Nur werden sie niemals so viel anbieten können wie wir. Da braucht man unzählige Portale, Abos und Accounts, um sich privat das Netzwerk herzustellen, das kann, was wir können. Netzanbieter löschen außerdem Filme wieder, die sich nicht rentieren. Vor dem Hintergrund, das Netflix und Amazon hochverschuldete Konzerne sind, sehe ich wirklich eine Gefahr für die Zukunft. Rentabilität darf nie entscheiden, was Filmerbe bleiben oder werden darf und wie öffentlicher oder privater Zugriff darauf organisiert sind. Physische Medien bewahren den Film vor dieser Entwicklung und sichern der Filmkunst ihre Autonomie.

Seht ihr im Erhalt des Materials eure Aufgabe?
Ja. Wir wollen den Korpus dessen, was wir Film nennen, auch sehen können: seinen Verschleiß, seine Formatfülle – über 100 Jahre Filmgeschichte sichtbar als Video, Laser-Disc, DVD und Blu-Ray. Wir haben über 31 000 Filmkopien. Während andere notwendigerweise Filme ­digitalisieren, garantieren wir, dass Filme auffindbar bleiben und dass niemand ihren physischen Werdegang vergisst. Denn auch der ist wichtig, nicht nur für historische Arbeit am Film.

Da wären wir wieder bei Butt­gereit.
Genau. Sollten wir mal weg sein, wird es sehr mühsam und teuer werden, solche Bestände wieder auf­zubauen und öffentlich zu machen, wenn unrentable Klassiker im Netz erstmal verschwunden sind. Bisher sichert der Interessenverband des Video- und Medienfachhandels in Deutschland (IVD) noch den Vertrieb sperrigen Kunstkinos. Für Online-Anbieter gibt es Vergleichbares nicht. Niemand käme je darauf, einer Bibliothek ihre Wichtigkeit für journalis­tisches und wissenschaftliches Schreiben abzusprechen. Zu uns kommen Filmwissenschaftler, Kuratoren und bekannte Regisseure, wenn sie für ihre Arbeit recherchieren. Wir brauchen auch für Filmkritik und filmisches Denken eine räumliche Ordnung um uns, die in Wechselwirkung mit unseren Erinnerungen und Gedanken steht. Damit wir diese wiederum materialisieren können. Sonst würde bald auch eins der schlimmsten Bilder des Dokumentarfilms ­obsolet: Der Experte vor seiner Medienwand. Man wird ihn fragen müssen, ob er seine Terrabyte-Festplatte ins Bild halten kann.

Das wäre ja von allen Auswirkungen nicht die schlechteste.
Nein. Und wenn wir grade bei Filmbildern sind: Mir ist auch noch auf­gefallen, dass sich mittlerweile dank der Digitalisierung viel um Schärfe dreht. Alle Bilder sollen möglichst scharf sein, als ob es das höchste Kriterium an ein Filmbild wäre. Ich habe das Gefühl, je digitaler die Filmbranche und ihre Bildwelt werden, desto versessener wird ihr Interesse am Detailreichtum von Körpern, an penibler Darstellung von Materialien.