Die Selbstinszenierung von sogenannten islamischen Feministinnen

Die Regression »reclaimen«

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Nach dem antisemitisch motivierten Angriff Mitte April auf einen 21jährigen israelischen Staatsbürger im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg vergingen nur wenige Tage bis zu einem Artikel in der Zeit von ­Khola Maryam Hübsch – das zentrale »feministische« Sprachrohr eben­jener Ahmadiyya. Sie monierte, Angriffe auf kippatragende Juden und kopftuchtragende Musliminnen würden mit zweierlei Maßstab bewertet werden. Hübsch, die schon für die Taz geschrieben hat und von Plattformen wie Edition F zu »islamischem Feminismus« interviewt wurde, betont, dass das Kopftuch nicht nur mit feministischen Anliegen vereinbar sei, sondern, wie sie in der Frankfurter Neuen Presse erklärte, sogar »Rahmenbedingungen für Geschlechtergerechtigkeit schaffen« und »Liebe vor Profanisierung schützen« würde.

Sie ist nicht die einzige, die von ­linken und feministischen Institutionen und Zeitungen als Dialogpartnerin geschätzt wird: Furat Abdulle, die an an der Uni Mainz stellvertretende AStA-Vorsitzende für die Linke Liste (LiLi) war, organisierte 2016 mit der Muslimischen Hochschulgruppe eine Spendenaktion namens »Free Cake for Free Palestine« und referierte Anfang 2018 in Heidelberg bei ­einer vom Studierendenverband der Linkspartei organisierten Vortragsreihe namens »Feminismus von links« zum Thema Intersektionalität. In Berlin veranstaltete die Junge ­Islamkonferenz Ende 2017 ein Event namens »Feminislam« mit islamischen wie queerfeministischen Teilnehmerinnen. Deren Übereinstimmungen sind kein Zufall. Kritisiert wurden die Organisation Terre des Femmes, Necla Kelek und auch Alice Schwarzer, die laut Missy Magazine-Mitbegründerin Stefanie Lohaus »viel zu universalistisch« argumentiere. Diesem Vorwurf liegt die Vorstellung zugrunde, dass die Frauenemanzi­pation als politisches Projekt und als Utopie immer nur für »weiße, west­liche, Mittelschichts-Cisfrauen« ­gesprochen habe, wie es heute res­sentimentbeladen heißt – ein ­Feminismus heimlicher Partikular­interessen also, der allen Frauen, die diesen Merkmalen nicht entsprechen, übergestülpt würde und Faktoren wie »race« und »class« ignoriert hätte. Als »Allheilmittel« hiergegen hat sich verstärkt in den vergangenen zehn Jahren auch in der deutschen Linken der aus den USA stammende und dem Genderparadigma entstammende »intersektionale« Feminismus inszeniert, der beansprucht, sämtliche Schnittachsen der Unterdrückung zu berücksichtigen.

Das intersektionale Denken argumentiert dabei selbst rassistisch – insbesondere dort, wo es den Islam rassifiziert, das heißt die Zugehörigkeit zu dieser Religion als unveränderliches und nicht zu kritisierendes Wesensmerkmal seiner Anhängerschaft interpretiert. Muslime und Musliminnen werden so zu Protegierten linker Feministinnen und das Kopftuch wird zum Zeichen des ­Widerstandes gegen die »weiße Mehrheitsgesellschaft« umgedeutet. Um ein solches Narrativ – von Analyse kann kaum die Rede sein –, das der globalen Geschichte islamischer Verschleierungspraxis vollständig ­zuwiderläuft, aufrechterhalten zu können, wird der Hijab »reclaimed«: Durch dessen »selbstbestimmtes« Anziehen und durch ein neues Islamverständnis seiner Trägerinnen ­werde ihm nicht nur das regressive Moment genommen, wie die Lin­guistin und Rapperin Reyhan Şahin (Lady Bitch Ray) betont, er werde sogar angeblich in ein selbstermächtigendes umgewandelt. Im Jargon wird dies als »empowered« bezeichnet. Ein solches »Reclaiming« lebt von der Vorstellung, dass das Individuum über Jahrhunderte etablierte gesellschaftliche Normen, Strukturen und Geschlechtervorstellungen durch bloße Gesten – ob sprachlich oder durch Mode vermittelt – verwerfen könne. Dieser Feminismus durch Wollen erlaubt es, jeden noch so regressiven Habitus zu über­nehmen. Eine solche bis zur Unkenntlichkeit verwässerte Feelgood-Pseudoemanzipation verkennt, dass solche »reclaimende« Akte mit den realen Verhältnissen kollidieren. Das Kopftuch ist und bleibt in der Außenwahrnehmung globales Zeichen einer ­Unterteilung von Frauen in gute, anständige einerseits und schlechte, unkeusche andererseits.

Die berechtigte Frage nach dem bisher ausbleibenden Kopftuch-Empo­werment von Männern bleibt deswegen unbeantwortet – wie so vieles andere auch. »Ich habe wenig Ahnung vom Islam« und weiter »die volle Privilegienkarte gezogen«, erklärte Stefanie Lohaus auf der besagten Veranstaltung »Feminislam«. Eine solche Koketterie mit der Ahnungs­losigkeit und die hervorgehobene eigene »Positionierung« stehen ­exemplarisch für das, was die intersektionale Haltung wesentlich auszeichnet: Nicht Erkenntnis, Wissen, Analyse und Kritik, sondern Gefühl steht im Mittelpunkt des eigenen ­politischen Anspruchs. Dem fortschreitenden Trend zum intellektuellen wie moralischen Verfall des ­Feminismus hin zu einem Sammelsurium aus Befindlichkeiten und ­kollektiver Selbstbemitleidung ist deshalb die Devise entgegenzuhalten, die in den späten siebziger Jahren von der iranischen Frauenbewegung wider den Verschleierungszwang formuliert wurde: »Freiheit ist nicht östlich und nicht westlich, sondern universell.« Diese Erkenntnis ist die Voraussetzung dafür, die Unterdrückung von Frauen überhaupt als solche benennen zu können, anstatt unter Berufung auf einige im Westen aufgewachsene Postergirls des ­Islam vorzugeben, Herrschaftsverhältnisse durch bloße Selbstinszenierung anzugreifen.