Ein Besuch beim gemischtgeschlechtlichen Bataillon »Caracal« der israelischen Armee in der Wüste Negev

Frauen an die Front

Seite 3 – Einsatz mit Tradition
Reportage Von

Seit 2010 dient auch Elinor* bei Caracal. Sie ist die erste nichtjüdische Araberin in einer Kampfeinheit der israelischen Armee. »Wenn mir jemand sagen würde, in der IDF zu dienen bedeutet, Araber zu töten, dann würde ich die Person daran erinnern, dass es auf der Welt meistens Araber sind, die Araber töten«, sagt Elinor energisch. »Ich lebe in diesem Land und genieße als Christin alle Rechte und Pflichten. Mit meinem Wehrdienst wollte ich etwas zurückgeben. In unserem Dorf sehen das die meisten Menschen sehr positiv.«
»Ich habe mich für fast drei Jahre gemeldet«, sagt die 20jährige Noa*, die den Rang eines Leutnant bekleidet. »Nachdem ich eine sehr wichtige Person in meinem Leben während des letzten Gaza-Krieges 2014 verloren hatte, beschloss ich, ihre Rolle in der Armee fortzuführen.« Für Noa ist es sehr ­wichtig, als israelische Staatsbürgerin ­ihren Wehrdienst zu leisten und den ­jüdischen Staat zu beschützen: »Ich glaube, dass fast alle Juden auf der Welt spüren, dass Israel auch ihre Heimat ist.«

»Ich wusste, dass ich keinen Job machen wollte, bei dem man den ganzen Tag in einem Büro vor einem Bildschirm sitzen würde.« Stav*, Soldatin beim Bataillon Caracal

Dass Frauen sich in Israel an gefährlichen Kampfhandlungen beteiligen, ist aber nicht neu. Noch vor der Staatsgründung 1948 meldeten sich viele Frauen freiwillig für die paramilitärischen Untergrundorganisationen ­Etzel, Lechi und HaSchomer beziehungs­weise Hagana, um die jüdische Präsenz im heiligen Land zu verteidigen. In den damaligen Kampforganisationen lag die Frauenquote bei 20 Prozent. Aus ihnen gingen später die israelischen Streitkräfte hervor.

Als Israel 1948 direkt nach der Staatsgründung von mehreren arabischen Armeen angegriffen wurde, verabschiedete das Parlament ein Verteidigungsgesetz, das die allgemeine Wehrpflicht auch für Frauen festschrieb. Die Per­sonalknappheit hatte zur Folge, dass Frauen nicht nur unterstützende ­Auf­gaben wahrnahmen, sondern auch ­direkt am bewaffneten Kampf teil­nahmen. Gerade in der Palmach, der Elitekampftruppe der Hagana, die ­einen Frauenanteil von bis zu 30 Prozent erreichte, kämpften Frauen auch an vorderster Front. Zu ihnen gehörte die berühmte Soziologin und Sexualtherapeutin Ruth Westheimer, die während des israelischen Unabhängigkeitskrieges 1948 durch eine explodierende Granate schwer verletzt wurde.

Unter der Regierung von Israels erstem Ministerpräsidenten David Ben-Gurion beschloss das Parlament, die Knesset, Soldatinnen nicht mehr an Fronteinsätzen teilnehmen zu lassen. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war offiziell die Überlegung, dass verwundete oder gefallene Frauen der Truppenmoral abträglich seien und dass Frauen in der Kriegsgefangenschaft höheren Risiken als ihre männlichen Kameraden ausgesetzt wären, namentlich vergewaltigt zu werden. Soldatinnen sollten daher nicht an vorderster Front kämpfen, wo das Risiko, dem Feind in die Hände zu fallen, am höchsten ist.

1994 klagte Alice Miller, eine Offizierin der Luftstreitkräfte, gegen das ­Verbot der Pilotinnenausbildung und bekam zwei Jahre später Recht. Die Luftstreitkräfte mussten nun Kandidatinnen akzeptieren, die die Voraus­setzungen erfüllen. Danach verabschiedete die Knesset einen Gesetzentwurf zur völligen Gleichstellung von Soldatinnen in allen Teilstreitkräften der ­israelischen Armee.
Männlichkeitsideal a.D.

Heute stehen ungefähr 92 Prozent der Positionen in der IDF Soldatinnen ­offen und viele junge Frauen begrüßen diese Möglichkeiten. »Leider leben wir in einer sehr gewalttätigen Region und würde Israel kein Militär zur Selbstverteidigung haben, dann würde es unser Land nicht mehr geben«, so Stav. ­Eigentlich wollte die junge Frau aus Jerusalem in einer Einheit des Militär­geheimdienstes dienen, während der Musterung entschied sie sich aber für das Bataillon Caracal: »Ich suchte nach einer Rolle, die mich sowohl intellektuell als auch physisch herausfordern sollte. Ich wusste, dass ich keinen Job machen wollte, bei dem man den ganzen Tag in einem Büro vor einem Bildschirm sitzen würde« – auch wenn jede Tätigkeit beim Militär wichtig sei. »Die Armee gibt dir Einblicke in dein Leben. Du wirst hier erwachsen. Es ist ein Reifeprozess. Man gibt dem Staat durch seine Zeit bei der Armee etwas zurück. Meine Familie ist sehr unterstützend und stolz auf mich«, sagt sie.

Für die Offizierin Liora ist es wichtig, dass »die Menschen Bilder von den Soldaten sehen. Die Menschen in Israel sollten wissen, dass hinter all den negativen Gerüchten Soldaten und Soldatinnen stehen, die eine Mission erfüllen, eine heilige Mission: Das Volk Israel und den Staat Israel zu verteidigen.«

Der Oberbefehlshaber des Bataillons Caracal, Oberstleutnant Ido Sa’ad, sieht keinen wirklichen Unterschied zwischen seiner derzeitigen gemischten Kompanie und rein männlichen Einheiten, in denen er früher diente: »Rein männliche und gemischtgeschlechtliche Kompanien unterscheiden sind nicht in den Fähigkeiten, sondern im Zweck dieser Einheiten.« Sa’ad ist schon seit 16 Jahren beim Militär, aufgrund seiner Erfahrungen, die er in mehreren Kriegen gemacht hat, etwa im Libanon oder in Gaza, kennt er sich mit Infanteriebataillonen bestens aus: »Die Nahal-Brigade zum Beispiel ist eine ›Manövriereinheit‹ der Armee, die in Kriegszeiten Grenzen überschreitet und an Bodenkampagnen teilnimmt, während Caracal entwickelt wurde, um ortsgebunden zu sein, also seine Region zu verteidigen.«

Generell bleibt die IDF, gemessen an ihren Kampftruppen, allerdings eine »Männerarmee«. Der Gleichberechtigungsprozess ist noch nicht abgeschlossen. Zu sehr wird der Krieg noch immer als männliche Domäne wahrgenommen, denn die Beschützer und Verteidiger des Staates sind meistens immer noch Männer. Auch die Gedenkstätten, in denen in jedem Kibbuz, jedem Ort und jeder Stadt der gefallenen Soldaten und Soldatinnen gedacht wird, ­heißen Yad le’banim, »Haus der Söhne«.

Auch wenn Frauen beim israelischen Militär die meisten Türen offenstehen, sind einige, etwa die zu den obersten Offiziersränge, noch immer verschlossen. Um in den Generalstab aufzusteigen, sollte man auf jeden Fall eine ­ganze Brigade angeführt haben und dies wird für weibliche Armeeange­hörige höchstwahrscheinlich auch in nächster Zeit unerreichbar bleiben.
Zudem ist sexuelle Belästigung von Frauen weiterhin ein Problem, auch wenn die Zahl der Fälle in den vergangenen Jahren stetig zurückging. Das Thema wird mittlerweile in den Medien ausführlich behandelt und viele Soldaten sind in den vergangenen Jahren wegen Übergriffen auf ihre Kameradinnen verurteilt worden. Sie werden in Israel besonders hart bestraft.

Die Entwicklung hin zur vollständigen Gleichberechtigung wird zwar noch ihre Zeit brauchen, ist durch die Emanzipation von Frauen in der IDF aber weit vorangeschritten. Das klassische soldatische Männlichkeitsideal ­bröckelt an allen Ecken und Enden.

* Name geändert