Der Irak-Krieg begann vor 15 Jahren, seine Auswirkungen sind weiterhin erheblich

Den Tyrannen beseitigen

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Aber die Sanktionen und die staatliche Politik verschärften eine Entwicklung, die bereits in den siebziger Jahren eingesetzt hatte: die Konfessionalisierung und Ethnisierung der irakischen Politik. Insbesondere durch den Erfolg der »islamischen Revolution« im Iran 1979 und durch den immensen Bedeutungsverlust des arabischen Nationalismus und Sozialismus gewann ein ­explizit schiitischer Aktivismus immer mehr Einfluss in der irakischen Oppo­sition. Diese Entwicklung wurde durch die Repression des Ba’ath-Regimes ­gegen den schiitisch und kurdisch dominierten Aufstand von 1991 und die wachsende Bedeutung des iranischen Regimes als Patron bestimmter Parteien weiter verschärft. Die durch die Sanktionen verschärfte soziale Not wiederum führte zu einem Rückzug vieler in ihre Herkunftsgemeinschaften, sei es die Konfession oder der Stamm.

Was die US-geführte Koalition 2003 im Irak vorfand, war also ein bereits weitgehend dysfunktionaler Staat, in dem die Konfessionsfrage stetig an Wichtigkeit gewann und dessen drangsalierte Gesellschaft wegen der ex­tremen Gewalt des Ba’ath-Regimes zerrüttet war. Diesen Staat schwächte die US-geführte Übergangsverwaltung weiter, indem sie die irakische Armee ­auflöste und über Nacht 250 000 wütende junge Männer arbeitslos machte. Die 2004 angestoßene »Entba’athi­fi­zie­rung« traf Zigtausende Menschen und schwächte die staatlichen Institutionen weiter – und hinterließ viele weitere wütende Menschen, die vor den Trümmern ihrer Existenzen standen.

Der Sturz der Diktatur führte zu einer von den schiitischen Organisationen dominierten Herrschaft – weil ihre Konfession die Bevölkerungsmehrheit stellt. Wegen der engen Verbindungen vieler schiitischer Entscheidungsträger zum Regime der Islamischen Republik Iran wurde deren Einfluss auf die Geschicke des Irak in der Folgezeit immer stärker. Das von der Übergangsverwaltung erdachte politische System setzte zudem auf ethnische und konfessionelle Quoten. Es institutionalisierte diese Trennlinien, anstatt der Konfessionalisierung entgegenzuwirken. Und nicht wenigen der letztlich an die Macht gelangten Politiker lag viel daran, alte Rechnungen zu begleichen – viele von ihnen, wie der spätere autoritäre Ministerpräsident Nuri al-Maliki, hatten ihr ganzes Leben mit dem Kampf gegen das Ba’ath-Regime zu­gebracht.

Das Machtvakuum nach 2003 zog Extremisten aller Couleur an. Sunnitische Jihadisten aus aller Welt kamen in den Irak, um Amerikaner und Schiiten zu töten, und verbündeten sich mit auf Rache sinnenden ehemaligen Ba’athisten. Schiitische Milizen unterwanderten den neuen Staat. Als der der  Islamischen Republik Iran nahestehende Oberste Islamische Rat im Irak (SCIRI) 2006 die Kontrolle über das ­Innenministerium übernahm, konnten die vom Iran gesteuerten Badr-Brigaden die Polizei infiltrieren und einzelne Einheiten zu Todesschwadronen ­umbauen. Auch die Nachbarländer beschleunigten den schwelenden Bürgerkrieg und förderten den Aufstand ­gegen die Amerikaner. Das syrische Assad-Regime ließ Jihadisten in Scharen über die eigene Grenze ins Nachbarland. Die iranischen Revolutionsgarden unterstützten Milizen, die die Dominanz ihnen wohlgesonnener schiitischer Kräfte garantieren sollten. Wohlhabende Saudis finanzierten höchstwahrscheinlich deren Gegner, um den wachsenden Einfluss Teherans zu kontern. Die deutliche Truppenverstärkung der USA im Jahr 2007 kam zu spät – der von Obama verordnete Abzug 2011 zu früh.

15 Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins müssen sich viele Iraker noch immer mit dem Erbe des Tyrannen, korrupten Eliten und zahlreichen Extremisten herumschlagen. Mit der Unberechenbarkeit der Trump-Regierung, der Aufkündigung des Iran-Deals, dem iranischen Mullah-Regime zwischen existentieller Krise und ­Expansion, einem neuen aggressiven saudischen Herrscher, der dem gestiegenen Einfluss Russlands im Nahen ­Osten und einem weiterhin instabilen Nachbarn Syrien ist die Zukunft des Irak weniger vorhersehbar denn je.