Im Irak wurde zum ersten Mal nach dem Sieg über den »Islamischen Staat« gewählt

Der Prediger und die Kommunisten

Seite 2 – Wahlfälschung in Kurdistan?

Auch in den kurdischen Gebieten des Nordirak dürfte das Wahlergebnis kaum zum Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die politischen Institu­tionen des Landes betragen. Erste Auszählungen deuteten auf einen klaren Erfolg der KDP in den Provinzen Dohuk und Erbil hin, während die PUK in ­Suleymaniah offiziell die meisten Stimmen erzielte. Das Ergebnis sorgte für Stirnrunzeln bei zahlreichen Be­obachtern. »Wahlen in Kurdistan sind ein bisschen wie in Ägypten unter Mubarak«, analysiert der Blogger Abdulla Hawez auf Twitter das Ergebnis. Die Machthaber gäben der Bevölkerung »etwas Hoffnung, aber sie holen sich ihre Sitze, wann immer sie sie brauchen«.

Sowohl die KDP als auch die PUK wurden in Kurdistan zuletzt heftig kritisiert. Noch im September hatte der KDP-Vorsitzende Massoud Barzani per Referendum für eine Unabhängigkeit der kurdischen Gebiete getrommelt und kurz darauf einen Rückschlag erlebt: Innerhalb nur weniger Tage ver­loren die kurdischen Peschmerga weite Landstriche an die vorrückende irakische Armee.
Die KDP wird zudem wegen korrupter Praktiken, Vetternwirtschaft und zurückgehaltener Beamtengehälter kritisiert. Seit Dezember protestierten Zehntausende in Erbil und Suleymaniah ­gegen die KDP – mindestens sechs Menschen kamen durch Sicherheitskräfte ums Leben. Dass die KDP in ­diesem politischen Klima einen deutlichen Sieg er­ringen würde, bezeichnet ein Kurde, der nicht namentlich ­genannt werden möchte, als »unwahrscheinlich«. Ein ähnliches Mysterium ist der Wahlerfolg der PUK in Suleymaniah.

Durch einen Deal mit dem Iran im Oktober soll ihr Führer Bafel Talabani die Landnahme der irakischen ­Armee in den Kurdengebieten erst ermöglicht haben. Die Nähe der PUK zu den Mullahs aus Teheran ist in den Kurdengebieten des Nordirak ein offenes Geheimnis.

Der Gouverneur von Suleymaniah, Haval Abubakir von der Gorran-Bewegung, prangerte am Tag nach der Wahl Wahlfälschungen durch die PUK an und forderte die Wahlkommission auf »alle Zweifel am Wahlergebnis ernst zunehmen«. Kurz darauf umstellten bewaffnete Peschmerga der PUK das Hauptquartier der Gorran-Bewegung. Auch in anderen Landesteilen wurden Vorwürfe der Wahlfälschung bekannt. In Kirkuk belagerte die Schiiten-Miliz Hashd al-Shaabi das Gebäude der Wahlkommission.

 

Zwischen Washington und Teheran

Wie kaum einem anderen gelang es dem bisherigen Ministerpräsidenten Haider al-Abadi, zwischen den Interessen des Iran und der USA im Land zu vermitteln. Dieses Kunststück wird nach dem gekündigten Atomabkommen mit dem Iran schwieriger. Abadi will die US-Truppen im Land behalten, ist aber zugleich auf ein gutes Verhältnis zum Iran angewiesen. Denn die Islamische Republik kontrolliert maßgeblich die rund 150 000 Milizionäre der Volksmobilisierungseinheiten. Es ist unklar, ob sie in die irakischen Sicherheitskräfte integriert werden können oder ­ihren autonomen Status beibehalten.

Noch im Wahlkampf mühten sich ­deren Kommandeure, die in den letzten Jahren zu mächtigen Warlords aufgestiegen sind, die Verbindungen ins Nachbarland kleinzureden. Auch ihnen war offenbar bewusst, dass den irakischen Wählern der wachsende iranische Einfluss im Land missfällt. »Einige glauben, dass die irakischen Schiiten loyal ­gegenüber dem Iran sind. Das ist jedoch falsch«, sagte Scheich Qais al-Khazali, Führer der PMF-Miliz Asaib Ahl al-Haq, im Gespräch mit dem britischen Guardian. »Was mit den PMF passiert, entscheiden die Iraker, nicht der Iran.« Die Einsicht kam jedoch zu spät. Denn mit Haidar al-Abadis Nasr-Allianz und Muqtada al-Sadrs Sayirun errangen zwei Wahllisten die meisten Sitze, die für eine Eindämmung des iranischen Einflusses im Irak stehen. Während Abadi nie einen Hehl daraus machte, weiter mit den Amerikanern kooperieren zu wollen, stellte sich der populäre Schiitenprediger al-Sadr im Wahlkampf offen gegen die Glaubensbrüder in Teheran. Er setzte sich im Wahlkampf auf eine Liste mit Säkularen und Kommunisten und propagierte eine nationalistische Agenda. Offenbar mit Erfolg. Denn es scheint, dass eine Mehrheit jener Iraker, die am Samstag den Weg ins Wahllokal wagten, die Nase voll hat von den Mullahs.