Ist Nikotin Doping?

Fit mit Nikotin

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Regelmäßig zugeführtes Nikotin ­erhöhte nicht nur die Konzentrationsfähigkeit, sondern die Denkfähigkeit insgesamt, weswegen im Zeitraum zwischen ungefähr 1800 bis 1985 Intellektuelle und Tabakqualm zusammengehörten wie katholischer Gottesdienst und Weihrauch. Sigmund Freud und Karl Marx rauchten bis zu 20 Zigarren täglich. Wenn Freud versuchte, weniger oder nichts zu rauchen, wurde er unproduktiv und depressiv. Der Philosoph Emil Cioran schrieb sechs Jahre, nachdem er mit dem Rauchen auf­gehört hatte, in seine cahiers: »Seitdem kann ich nicht mehr schreiben, außer mit Mühe, Überlegung, Ekel.« Der Kettenraucher Robert Musil bezeichnete das Leben als »etwas Unangenehmes, über das man durch Rauchen hinwegkommen kann«. Thomas Mann qualmte auch nach einer Lungenkrebsdiagnose weiter und Mark Twain sagte, falls im Himmel Rauchverbot herrsche, wolle er nicht dort hin.

Berühmte Athleten wie der italienische Radfahrer und »Gerechte ­unter den Völkern« Gino Bartali rauchten zwar Kette, doch taten sie dies nicht, um schneller oder stärker zu werden, sondern weil sie gerne qualmten. Im Sport wird Nikotin erst seit wenigen Jahren gezielt zur Leistungssteigerung eingesetzt. Seit aber mit immer genaueren Bluttests immer mehr Substanzen ermittelt werden können, deren Einnahme gegen die Dopingregeln verstößt, setzen Sportler und Trainer verstärkt auf Nikotin. Die Universität von Lausanne und das Schweizer Labor für Dopinganalyse untersuchten vor fünf Jahren die Urinproben von mehr als 2000 Athletinnen und Athleten. Das überraschende Resultat: 19 Prozent der Proben enthielten hohe Rückstände von Nikotin. Nun könnte man zwar anmerken, das sei angesichts der rund 25 Prozent Raucher an der Gesamtbevölkerung ein geringer Schnitt. Aber die Forscher schlüsselten die Ergebnisse auch nach einzelnen Sportarten auf, und da zeigte sich ein ganz anderes Bild: Zwischen 50 und 60 Prozent der Athleten aus den Sportarten Fußball, Eishockey, American Football, Baseball, Basketball, Curling und Wasserball wiesen einen hohen Nikotinpegel auf. Bei Skisportlerinnen lag der Prozentsatz immerhin noch bei 36 Prozent. Tendenziell, so der Rückschluss, kommt Nikotin in jenen Sportarten häufiger zum Einsatz, die eine hohe Konzentration und ein schnelles Reaktionsvermögen erfordern. Kraft- und Ausdauersportler greifen seltener zum Nikotin.

Zwar gibt es mehr Berufssportler, die auch zum Privatvergnügen rauchen, als Gesundheitspolitikern lieb sein dürfte, doch nehmen die meisten Athleten das Nikotin in Form von Snus, Schnupftabak oder Kaugummi zu sich. Snus wurde in Skandinavien entwickelt und ist eine Mischung aus getrocknetem Tabak, Wasser, Salz und Aromen, die meist, in kleine Stoffbeutelchen verpackt, zwischen Zahnfleisch und Oberlippe geklemmt wird und für eine rasche Aufnahme des Nikotins in den Blutkreislauf sorgt. Obwohl eine WHO-Studie im Jahr 2003 darauf verwies, dass die Verbreitung von Snus in Skandinavien wohl zum relativ niedrigen Raucheranteil an der Gesamtbevölkerung beiträgt, wurde der Verkauf des Produkts in der gesamten EU ver­boten – nur in Schweden nicht.

Die Welt-Antidoping-Agentur hat Nikotin bislang noch nicht auf ihre Liste der verbotenen Dopingmittel gesetzt. Das liegt ironischerweise nicht nur an der widersprüchlichen Studienlage, sondern auch am Kampf der westlichen Industrienationen, allen voran der USA, gegen den Tabak. In den Vereinigten Staaten findet sich keine Publikation mehr, die Nikotin auch nur einen einzigen guten Nebenaspekt zugestehen würde. Dem Stoff soll auch keine leistungsfördernde Wirkung mehr zugesprochen werden. Seriöse Sportmediziner weisen darauf hin, dass Nikotin erstens süchtig mache und zweitens nur in geringer Do­sierung eine aufputschende Wirkung habe. Wer nach dem Motto »viel hilft viel« immer höhere Dosen Nikotin einnimmt, mag zwar seine Konzentrationsfähigkeit erhöhen, doch statt einer antreibenden Wirkung tritt eine beruhigende ein – und sei es nur, weil das Suchtbedürfnis gestillt wird.