Das Berliner Theatertreffen spiegelt die Krise des Theater

Wenn der Nazi »Beeep« sagt

Die Gentrifizierung der Berliner Volksbühne ist mit dem Rücktritt von Chris Dercon aufgehalten. Die Krise des Theaters ist damit aber nicht beendet.

Das Bühnenbild lagerte schon in Einzelteilen im Depot, doch für das Berliner Theatertreffen wurde es wieder aufgebaut. Mit Frank Castorfs »Faust« wurde das diesjährige Theatertreffen am 4. Mai eröffnet. »Faust« war Castorfs letzte große Arbeit an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, danach hatte der Kurator Chris Dercon die Intendanz übernommen, die am 13. April, mitten in der laufenden Spielzeit, endete. Die Volksbühne bekam innerhalb kürzester Zeit so große finanzielle Probleme, dass der Betrieb nur mit einer Er­höhung der Schließtage und dem Verschieben von Produktionen ins nächste Geschäftsjahr hätte aufrechterhalten werden können. Zuletzt sollte der Jugendclub des Hauses im großen Haus spielen, das selbst eine Regisseurin wie Susanne Kennedy nicht zu füllen vermochte. Innerhalb von wenigen Monaten war die größte Theaterbühne Berlins auf das Niveau eines Laientheaters heruntergewirtschaftet worden.

Erstaunlich allerdings, dass in den Diskussionen über Castorfs »Faust« weder die ästhetische Gestalt noch der Inhalt ernstlich debattiert wurden. Dafür wurde, den Vorstellungen der Me-Too-Kampagne folgend, kritisiert, dass die Frauen knapp bekleidet seien.

Das Publikum hatte das Haus am Rosa-Luxemburg-Platz immer stärker gemieden; jede Premiere unterbot noch die ohnehin nicht besonders hohen Erwartungen. Dercon war offensichtlich nicht in der Lage, ein Theater zu leiten, er war mit grundlegenden Abläufen nicht vertraut. Nach der misslungenen Premiere von »Liberté« mit den Altstars Ingrid Caven und Helmut Berger, bei dessen Auftritt im »Dschungelcamp« man schon fürchtete, dass dies jenseits des Zumutbaren sei, teilte Dercon der Presse mit, auch er sei derart unzufrieden, dass er gemeinsam mit dem Regisseur Albert Serra überlege, wie man die Inszenierung verbessern könne. Das alles geschah wohlgemerkt nach der Premiere – üblicher- und logischerweise sollte das vorher passieren. Aber das wäre noch verzeihbar gewesen, wenn ein überzeugendes Konzept für die Leitung eines Hauses vor­gelegt worden wäre, das den Gegebenheiten einer großen Theaterbühne mit eigenen Gewerken entsprochen hätte. Das war bis zuletzt nicht zu ­erkennen und hätte somit notwendig zur Zerstörung der Volksbühne geführt. Dem ist Dercon mit seinem Rückzug zuvorgekommen, die Leitung hat kommissarisch der designierte Geschäftsführer Klaus Dörr übernommen.

Die Recherchen der Journalisten Peter Laudenbach und John Goetz, die die Süddeutsche Zeitung online veröffentlichte, zeigen, welche politischen Ambitionen mit der Berufung Dercons verbunden waren. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller und der damalige Kulturstaatssekretär Tim Renner, beide SPD, ließen sich von Matthias Lilienthal beraten, der inzwischen an den Münchner Kammerspielen als Intendant tätig ist, mit überaus mäßigem Erfolg. Die »Neuen Volksbühnen« sollten als Dachmarke für eine intermediale Plattform fungieren, zu der auch die Spielstätte Tempelhof gehören sollte. Eine Hinwendung zur Kreativwirtschaft zwischen Berlin-Mitte und Neukölln war beabsichtigt. Dercon bezeichnete den Umbau des Theaters zu einer »Projektgesellschaft« als »sehr spannend: Kunst als soziale Arbeit und City-Making«. Dercons Programmdirektorin Marietta Piekenbrock immerhin ahnte wohl – und schrieb in einer internen Mail –, dass dieser Funktionswechsel, der vor der Öffentlichkeit geheimgehalten wurde, für Unmut sorgen würde.