Flüchtlinge kämpfen in Göttingen für menschenwürdigen Wohnraum

Wohnraum statt Lagerhalle

Raucherecke Von

Fridtjof-Nansen-Weg 1, Göttinger Ostviertel, Montagmorgen. Kurz vor sieben Uhr dröhnt der Alarmton eines Megaphons durch die Flure und weckt die 27 temporären Bewohner unsanft. Das Signal soll sie vor den anrückenden Polizeikräften warnen. Die »Nansen 1« ist an diesem Tag seit genau einer Woche besetzt. Mittlerweile hatte das angrenzende Goethe-Institut, das das Gebäude von der Stadt gemietet hat, Anzeige erstattet. Wenig später ist es mit der Besetzung vorbei.

In der städtischen Flüchtlingsunterkunft auf der Siekhöhe, am westlichen Stadtrand Göttingens, wird man jeden Morgen unsanft geweckt. Spätestens wenn das Licht in der ehemaligen Lagerhalle angeschaltet wird, ist es mit der Nachtruhe vorbei. Wahrscheinlich ist man zu diesem Zeitpunkt aber ohnehin schon vom permanenten Lärm aufgewacht. Freiwillig tut sich das niemand an, aber derzeit sind etwa hundert Personen gezwungen, ihre Nächte in der Flüchtlingsunterkunft zu verbringen.

Um gegen die dortigen Zustände zu protestieren, waren die Besetzer vor zweieinhalb Wochen in den Wohnkomplex des Goethe-Instituts eingedrungen, der bereits seit Monaten leer stand. In Kürze wird das Institut aus dem gesamten Gebäude ausziehen. Dann verfügt darüber wieder die Stadt Göttingen, die es für einige Millionen an einen privaten Investor verkaufen möchte.

Für Felix Bluhm von der Initiative »Our House Nansen 1« ist das ein Unding: »In der Siekhöhe leben die Leute unter katastrophalen Bedingungen, und die Stadt behauptet, es gebe keine Alternativen. Die Besetzung hat gezeigt, dass das nicht stimmt.« Als die Besetzer in die »Nansen 1« einzogen, stellten sie deshalb nicht nur die For­derung, die Unterkunft Siekhöhe zu schließen. Vielmehr wollen sie, dass die Stadt Göttingen vom Verkauf des leer stehenden Gebäudes absieht und stattdessen dort Wohnraum für Flüchtlinge schafft.

Das würde vor allem die Menschen in der Siekhöhe freuen. Einer der dort lebenden Flüchtlinge erzählt: »Es geht zu wie auf einem Markt. Wir werden mit vielen Leuten in ein Zimmer gesteckt. Es gibt keine Privatsphäre, du schläfst dort, du ziehst dich dort um.«

Besonders viel Mühe haben sich die Verantwortlichen wirklich nicht gemacht, die Tristesse der Lagerhalle zu kaschieren. Die Zimmerwände wirken wie Regalwände in einem Baumarkt: nach oben offen und höchst provisorisch. Selbst in einem Hostel-Schlafsaal hätte man wohl mehr Ruhe – und zusätzlich eine Kochnische. In der Siekhöhe dagegen wird den Flüchtlingen nicht einmal diese zugestanden. Die Essensausgabe ist ebenso zentral geregelt wie das morgend­liche Lichtan- und das abendliche Lichtausschalten.

Was bei einer kurzfristigen Unterbringung vielleicht noch hinnehmbar wäre, ist mittlerweile seit zwei Jahren Normalität für die Siekhöhen-Bewohner. Die Stadt Göttingen möchte den Betrieb dennoch ein weiteres Jahr fortführen. Der sozialdemokratische Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler verteidigte seinen Standpunkt während eines Gesprächs im besetzten Haus: Alternativen seien zu teuer. Das sehen die Besetzer aus der »Nansen 1« anders – und sie werden dabei von vielen Menschen unterstützt. Auf einer Demonstration am Samstag unter dem Motto »Sozialer Wohnraum statt Lagerunterbringung« erinnerten die 300 Teilnehmer an die Ziele der Besetzung. Sie forderten, die Unterkunft auf der Siekhöhe endlich zu schließen.