Waffenhändler vor Gericht
Ein pensionierter Landgerichtspräsident auf der Anklagebank, ein mexikanischer Armeegeneral und nicht thematisierte Menschenrechtsverletzungen – es sind recht ungewöhnliche Aspekte, die dieser Strafprozess aufweist: Am Dienstag vergangener Woche begann vor dem Landgericht Stuttgart die lang erwartete Verhandlung wegen illegaler Waffengeschäfte. Angeklagt sind sechs ehemalige Mitarbeiter der schwäbischen Rüstungsfirma Heckler & Koch (H & K), die am Export von mehr als 4 700 Sturmgewehren vom Typ G36 in 16 Tranchen in vier mexikanische Bundesstaaten zwischen 2006 und 2009 beteiligt gewesen sein sollen. Das Unternehmen besaß für die Lieferungen keine Exportgenehmigung. Vier der sechs Angeklagten sollen in 16 Fällen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Außenwirtschaftsgesetz verstoßen haben. Drei von ihnen gehörten zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Geschäftsführung des Unternehmens an.
Dass es von der Strafanzeige bis zum Prozessauftakt insgesamt acht Jahre dauerte, begründete der Vorsitzende Richter Frank Maurer mit der Arbeitsauslastung der Kammer. Kritiker hingegen vermuten eine bewusste Prozessverzögerung. Bestärkt werden sie in ihrem Verdacht dadurch, dass auf der Anklagebank statt sechs eigentlich 15 Personen sitzen müssten. Es fehlen die involvierten Behördenmitarbeiter aus dem Bundesausfuhramt (BAFA) und dem Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi), ohne die die Rüstungsexportgeschäfte nicht ausführbar gewesen wären. Da der damals zuständige Staatsanwalt Peter Vobiller die Akte kurz nach Aufnahme der Ermittlungen wieder schloss, trat eine Verjährungsfrist in Kraft, die die neun Beamten nun vor einer Anklage schützt.
Prominentester Angeklagter ist Peter Beyerle. Der 77jährige ehemalige Landgerichtspräsident wechselte nach seiner Pensionierung im Jahr 2005 zu dem Rüstungshersteller in Oberndorf am Neckar. Zunächst war er in der Rechtsabteilung tätig, später stieg er in die Geschäftsführung auf. In der Verhandlung zeigte er sich bissig und belehrend gegenüber dem Richter, als dieser sich anders ausdrückte, als es Beyerle gerne gehört hätte.
»Wer bestimmt hier eigentlich?« Diese Frage stellte nach dem Verhandlungstag der Rüstungskritiker Jürgen Grässlin im Gespräch mit der Jungle World. »Beyerle ist doch derjenige, der mit den Waffen gedealt hat.« Grässlin hatte Strafanzeige erstattet. Die Beweise bekam er von einem Whistleblower, einem ehemaligen Angestellten von H & K, zugesteckt. Zwei Jahre später folgte eine weitere Strafanzeige – diesmal durch den Rechtsanwalt Holger Rothbauer, der die erwähnten neun Beamten anzeigte.
Obwohl also sechs Personen angeklagt sind, erschienen am ersten Prozesstag nur fünf. Der sechste Angeklagte, der in Mexiko tätige Verkaufsrepräsentant Markus B., war nicht erschienen. Er sei erkrankt und deshalb nicht in der Lage, aus Mexiko anzureisen, ließ er mitteilen. Das Gericht trennte daraufhin das Verfahren gegen ihn ab. Außerdem ordnete es an, zu klären, ob die Krankmeldung den Tatsachen entspricht. Sollte das nicht der Fall sein, könnte ein internationaler Haftbefehl gegen B. erlassen werden. Ob Mexiko dem nachkommen würde, ist jedoch unklar.
Zumindest scheint ein Geschäftspartner von H & K in Mexiko keine juristischen Konsequenzen befürchten zu müssen.
Das berichtete kürzlich die mexikanische Tageszeitung Reforma. Dem Armeegeneral Humberto Aguilar, der in den neunziger Jahren im Bundesstaat Chiapas stationiert war, um dort gegen die zapatistische Bewegung vorzugehen, soll H & K Grässlins Unterlagen zufolge bis zu 25 US-Dollar pro dorthin verkauftem Sturmgewehr angeboten haben.
Grässlin gewann eigenen Angaben zufolge bei der Verhandlung in Stuttgart den Eindruck, dass die Staatsanwaltschaft eher defensiv und zurückhaltend agiert. Da zudem drei Angeklagte sich für nicht schuldig erklärten, befürchtet der Waffenexportgegner, dass »die Strategie von H & K aufgehen wird und am Ende nicht einmal Haft-, sondern lediglich Bewährungsstrafen dabei rumkommen werden«. Die Verantwortung werde auf die beteiligten Behörden abgewälzt, weil die Verteidigung behauptet, dass es keine Endverbleibsklausel und auch keine Liste von Regionen mit Exportverbot gegeben habe. »Vielleicht sind ja auch wir von der Friedensbewegung schuld«, sagt Grässlin sarkastisch.
Vor dem Gerichtsgebäude fand bereits morgens um acht Uhr eine Mahnwache statt. Rote Farbe, Plastikwaffen und Plakate mit den Gesichtern der 43 im September 2014 entführten und verschwundenen Studenten aus Ayotzinapa waren zu sehen. Carola Hausotter von der »Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko« sagte der Jungle World, solche Kundgebungen seien wichtig, »um die Auswirkungen der Waffengeschäfte aufzuzeigen«. Letztlich gehe es sich nicht nur um den illegalen Export von Tötungsinstrumenten in Tausenden Fällen, sondern auch um die Menschenrechtsverletzungen, die damit ermöglicht worden seien. Die Waffen seien auch in der Nacht von Iguala zum Einsatz gekommen, als die 43 Studenten vor vier Jahren verschwanden und sechs weitere Menschen ermordet wurden.
Vor Protestierenden und Reportern verlas Hausotter einen Brief der Eltern der Studenten. Noch immer sei ungeklärt, so die Eltern, wie die Waffen in den Bundesstaat Guerrero gelangt seien, in den keine deutschen Waffenexporte zugelassen sind, und warum die örtliche Polizei über die Waffen verfügte. In dem Brief formulieren die Eltern der verschwundenen Studenten eine Forderung an das deutsche Gericht: »Zeigen Sie der Regierung in Mexiko, dass es Gerechtigkeit sehr wohl auch für Personen gibt, die keine Macht und kein Geld haben. Zeigen Sie ihr, dass Sie in Deutschland sehr wohl wissen, dass das Gesetz, im Gegensatz zu Mexiko, den verwundbarsten Personen dienen soll.«
Mexikanische Opfer der Menschenrechtsverletzungen werden im Gericht wohl nicht als Zeugen aufgerufen. Deshalb organisiert die Menschenrechtskoordination zusammen mit dem mexikanischen Menschenrechtszentrum »Centro Pro DH« einen Besuch von Familienangehörigen von Aldo Gutiérrez. Seit in der Nacht von Iguala eine Kugel seinen Kopf durchschlagen hatte, liegt der junge Student im Koma. Der Besuch ist für den 26. September geplant – genau vier Jahre nach der schrecklichen Nacht. Für den Tag ist ein Verhandlungstermin angesetzt.