In Brasilien werden Agrargifte von internationalen Konzernen eingesetzt, die in der EU verboten sind

Gift für den Süden

Brasilien ist weltweit führend im Einsatz von Agrargiften. Das Unternehmen Bayer AG wird nach der Übernahme von Monsanto zu einem der wichtigsten Lieferanten – auch von Stoffen, die in der EU verboten sind.

»Wir steigen zu einem führenden Unternehmen der Landwirtschaft auf«, verkündete der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann am Freitag vergangener Woche auf der Hauptversammlung der Bayer AG in Bonn. Die bevorstehende Übernahme des umstrittenen Saatgut- und Herbizidkonzerns Mon­santo pries er als ein nach wie vor »sehr attraktives Geschäft« an, das das »Portfolio« des Gesundheits- und »Life-Science«-Konzerns strategisch erweitere. Eine zum achten Mal in Folge steigende Dividende spreche für sich, so Baumann, und das bei »höchsten ethischen, ökologischen und sozialen Standards«.

Der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre nutzte sein Rederecht für fundamentale Kritik dieser blumigen Geschichte vom nachhaltigen Chemieriesen. Der Vorwurf: Bayer vertreibe im globalen Süden Pestizide, die in der EU »nicht oder nicht mehr genehmigt sind«. Alan Tygel, der Koordinator der brasilianischen Kampagne gegen Agrargifte, der ebenfalls zur Bayer-Aktionärsversammlung gekommen war, formulierte drastisch: »Wir sind Europas Müllhalde für Agrargifte.«

Tatsächlich ist Brasilien heute der weltweit größte Konsument von Pesti-, Herbi- und Fungiziden. Jede Einwohnerin und jeder Einwohner nimmt jährlich 7,3 Liter der Chemikalien über die Nahrung zu sich. 22 von 50 – also fast die Hälfte – der in Brasilien meistgenutzten Agrargifte sind in der EU verboten. Weil an deren Herstellung auch global agierende Konzerne wie Syngenta, die BASF und eben Bayer beteiligt waren oder sind, fragte Tygel den Bayer-Vorstand, wie diese Geschäftspraxis denn mit dem Selbstbild des »Corporate Citizen« zusammenpasse.

Bayer weist solche Kritik von sich. Man messe nicht mit zweierlei Maß, sondern es gebe viele nationale Gesetze, und an die halte man sich. Doch »Voraussetzung ist eine sachgemäße Anwendung«, gibt Bayer bereits seit vier Jahren in einer Social-Media-Kampagne mit dem Untertitel »Pflanzenschutzmittel – Viel besser als ihr Ruf« zu bedenken. In dem Werbevideo heißt es zudem, die Behörden überwachten penibel, »wer Pflanzenschutzmittel erhält und wie er sie einsetzt«.

Im internationalen Vergleich schneidet die brasilianische Pflanzenschutzmittelverordnung eigentlich recht gut ab – auf dem Papier. 1989 gelang es, dem bis dato völlig unregulierten Einsatz von Pestiziden, der in Zeit der Diktatur vom Staat stark gefördert wurde, Grenzen zu setzen. Das Gesundheits- und das Umweltministerium bekamen Vetorechte bei der Zulassung neuer Stoffe und aus gesundheitspolitischen Bedenken wurde bis heute mehr als 50 Produkten die Zulassung entzogen. Doch aktuelle Studien der NGO Reporter Brasil zeigen auch, dass beispielsweise der zulässige Grenzwert des Herbizids Glyphosat in Lebensmitteln in Brasilien 200 Mal höher liegt als in der EU.

Der konstante Einsatz von jährlich bis zu 19 Kilogramm Glyphosat auf einem Hektar Agrarfläche habe nichts mit einer sachgemäßen Anwendung zu tun, sagt Ceres Hadich von der brasilianischen Landlosenorganisation MST, die im April auf einer Informationsreise in Deutschland unterwegs war. Sie beklagt zudem den kriminellen Einsatz von Pestiziden, spricht »von einer Offensive gegen die kleinbäuerliche Landwirtschaft« im Allgemeinen und gegen die Agrarflächen des MST im Besonderen. »Viele unserer Siedlungen und Äcker sind heute von der Agrarindustrie umzingelt.« Sprühflugzeuge machten keinen Bogen um ihre Flächen. Der Staat und die lokalen Behörden schauten weg, sagt Hadich und fügt hinzu: »Je nachdem, wie der Wind weht, geht der Giftregen auch auf unsere Häuser nieder. Es gibt Orte, wo Familien nicht länger Obst und Gemüse anbauen können, wo Tiere sterben.«

»Leider gibt es zu viele Wissenschaftler, die sich vor den Karren der Industrie spannen lassen und beständig Zweifel säen, damit der Einsatz der Agrargifte weiterläuft wie bisher.« Alan Tygel, brasilianische Kampagne gegen Agrargifte

Auch die Landarbeiter und -arbeiterinnen, die im Großflächenanbau von Soja, Baumwolle, Zuckerrohr und Tabak schuften, sind Opfer des exzessiven Einsatzes von Agrargiften. Der brasilianischen Nationalen Behörde für Gesundheitsüberwachung (ANVISA) zufolge werden täglich acht Menschen durch den Kontakt mit den Stoffen kontaminiert, Reporter Brasil schätzt die Dunkelziffer auf 400. Die Folgen, sagt Wolfgang Hees von der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft, der deutschen Sektion von Via Campesina, seien in Brasilien inzwischen deutlich spürbar: »Jedes Jahr gibt es in Brasilien 600 000 neue Fälle von Krebs, bei denen nachgewiesen ist, dass sie mit dem Einsatz der Agrargifte zusammenhängen.«

 

Eine »sachgemäße Anwendung«, wie sie Bayer beschreibt, sei in Brasilien zudem nahezu unmöglich, kritisiert Tygel im Gespräch mit der Jungle World: »Die vorgeschlagene Schutzkleidung für die Arbeiter ist völlig ungeeignet für das Klima. In der gleißenden Sonne mit der kompletten Montur, wie soll das gehen?« Auch die Entsorgung der Verpackungen, in denen die Chemikalien verkauft werden, ist ein ungelöstes Problem, da die Hersteller keiner Rücknahmepflicht unterliegen und vor allem Kleinproduzenten den anfallenden Müll lieber verbrennen oder vergraben, anstatt ihn kostenpflichtig zu recyceln. »Das alles ist offensichtlich und gut dokumentiert«, sagt Tygel. »Doch leider gibt es zu viele Wissenschaftler, die sich vor den Karren der Industrie spannen lassen und beständig Zweifel säen, damit der Einsatz der Agrargifte weiterläuft wie bisher.«

Auch nach dem Ende der Diktatur verhielt sich der Staat keineswegs passiv, als die Menge der eingesetzten Chemikalien in Brasilien ständig wuchs – zwischen 2000 und 2014 um 300 Prozent. Die am Export von Agrarprodukten orientierte Entwicklungspolitik ging zu Lasten einer nachhaltigen Produktion gesunder Grundnahrungsmittel für die Bevölkerung. Devisen auf internationalen Märkten zu erwirtschaften, war auch für die Agrarpolitik der von 2003 bis 2016 regierenden Arbeiterpartei (PT) stets eine Priorität. Die programmatische Hinwendung des MST zur ökologischen Landwirtschaft im Jahr 2000 fiel mit einem Kompromiss zwischen der Agrarindustrie und der Linken zusammen, die drei Jahre später so erstmalig das Präsidentenamt erringen konnte.

Seit 2016 ist der PT wieder in der Opposition und die Agrarindustrie tritt seitdem noch forscher auf. Die bancada ruralista, ein parteiübergreifendes Bündnis aus parlamentarischen Abgeordneten, die der industriellen Landwirtschaft nahestehen, versucht derzeit eine als »Giftpaket« bekannt gewordene Gesetzesänderung durchzusetzen. Gelingt das Vorhaben, wird es künftig legal sein, noch größere Mengen an Pestiziden einzusetzen. Das Agrarministerium soll das letzte Wort bei der Zulassung von Produkten erhalten und der Nachweis, dass Chemikalien genetische Veränderungen verursachen, nur noch bei »nicht akzeptablen Risiken« zu einem Verbot führen.

Ob dieses politische Vorhaben finanziell auch von Herstellern von Agrargiften unterstützt wird, ist nicht belegt. »Die Unternehmen sind sehr vorsichtig, sie spenden nicht direkt für politische Kampagnen«, sagt Tygel. »Aber sie sind in Industrieverbänden organisiert, mit einer starken Lobby.« Auch Bayer ist in solchen Verbänden in Brasilien vertreten, so zum Beispiel im Nationalen Verband der Pflanzenschutzmittelindustrie (Sindiveg), und hat großes Interesse, seine in Brasilien zugelassene Produktpalette zu erweitern. Zum landwirtschaftlichen Angebot gehören längst auch genetisch modifizierte Pflanzen. »Bayer versuchte vor einiger Zeit, eine Zulassung für Genreis zu bekommen, blitzte damit aber erst einmal ab«, erinnert sich Tygel. »Aber nach der Fusion mit Monsanto wird die Lobbymacht weiter steigen.« Einen kleinen Vorgeschmack darauf, was zu erwarten sein könnte, gab im Februar die brasilianische Antikartellbehörde, die der Übernahme ohne weitere Auflagen zustimmte.