Auf russischen WM-Baustellen herrschen miserable Arbeitsbedingungen

Schuften wie ein Weltmeister

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Bei der WM 2014 in Brasilien gab es zwar weit weniger Baustellentote als in Katar (mindestens acht), zugleich sorgten aber Bauarbeiterstreiks international für Sorgen, ob die Spiele pünktlich beginnen könnten, wodurch wenigstens nebenbei die sozialen Folgen der Spiele zum Thema wurden.

Die Lage der russischen Arbeiter ist, an den Todesopfern gemessen, noch deutlich schlechter, als sie in Brasilien war, wenn auch wesentlich besser als in Katar. Bis April 2018 hat die Internationale Gewerkschaft der Bau- und Holzarbeiter (BWI) 21 Tode von Bauarbeitern beim WM-Stadionbau erfasst. Die Sicherheits- und Gesundheitsstandards würden »anhaltend und ernsthaft« unterlaufen, so die Gewerkschaft. Sogar das Thema der modernen Sklaverei auf WM-Baustellen ist Russland nicht fremd. In einer investigativen Recherche vom Frühjahr 2017 berichtete das norwegische Magazin Josimar von 110 nordkoreanischen Arbeitern, die in sklavenartiger Beschäftigung für neun Euro am Tag auf der Stadionbaustelle in Sankt Petersburg gearbeitet hätten. Sie waren laut der Recherche in Wohncontainern hinter Stacheldraht untergebracht, ihre Pässe wurden eingezogen, ein Großteil ihres Lohns soll angeblich an die nordkoreanische Regierung ausbezahlt worden sein.

Die skandinavischen Fußballverbände stellten nach den Enthüllungen eine Anfrage an die Fifa. Präsident Gianni Infantino betonte in einem Antwortschreiben, dass die »Fifa die oft entsetzlichen Arbeitsbedingungen verurteilt«. Der Verband werde sich kümmern. Anschließend wurde es still um das Thema. Die Nordkoreaner sollen, so Josimar, auf eine andere Baustelle gebracht worden sein. Mehrere Anfragen von Menschenrechtsorganisationen hat der Verband bislang nicht beantwortet.

Die Fifa könnte, wenn sie wollte, durchaus etwas bewegen. In Katar zwang die öffentliche Diskussion über den Stadionbau das Land zu einer zumindest geringfügigen Verbesserung des Kafala-Systems. Reformen, die im Dezember 2016 in Katar eingeführt worden waren, wurden allerdings von Amnesty International als unzureichend kritisiert. Nach den olympischen Spielen in Sotschi wurden Arbeitern auf Druck nachträglich Löhne ausgezahlt. Langfristig ist der Einfluss der Sportverbände jedoch begrenzt. Eine durchgehende Kontrolle der Zustände im Gastgeberland können sie nicht leisten; so bleiben nur Mahnungen, Forderungen und politischer Druck.

Im Mai 2017 hatte der Weltfußballverband erstmals eigene Richtlinien für Menschenrechte eingeführt. Die Verantwortung für Menschenrechte steht seither in den Fifa-Statuten und ein unabhängiges Gremium für Menschenrechte soll die Organisation künftig beraten. Diese Entwicklung zeigt, dass mittlerweile auch ein Weltkonzern wie die Fifa gezwungen ist, das Thema zumindest in der Theorie zu berücksichtigen. In der Praxis ändert das bislang allerdings nicht viel. »Die Fifa hat die russische Regierung in öffentlichen Stellungnahmen zur WM-Vorbereitung ständig gelobt, trotz der dauerhaften Bedenken wegen der Menschenrechtslage«, schrieb Human Rights Watch im Mai.

Seit April 2016 hat der Weltfußballverband ein Monitoring-System, das die Situation auf den russischen WM-Baustellen überwachen soll. Nach Fifa-Angaben besuchten Abgesandte vierteljährlich die Stadionbaustellen und interviewten je mindestens 25 zufällig ausgewählte Arbeiter. Die Inspektionen sind angekündigt. Was nicht gesehen werden soll, lässt sich also gut aufräumen. Die Baufirmen erhielten nach den Besuchen Berichte mit Verbesserungsvorschlägen. Sollten sie diese nicht befolgen, werde man das Thema »auf höchster Ebene staatlicher Autoritäten« vorbringen, hieß es seitens der Fifa. Viel Handhabe, die einen russischen Bauunternehmer das Fürchten lehren, bedeuten die Ermahnungen freilich nicht.

Informationen darüber, was genau die Abgesandten beanstandeten oder bewirkten, hat die Fifa bislang nicht veröffentlicht. Vor allem hat der Verband ein Interesse, dass die Stadien pünktlich fertig werden. Die Sklavenarbeit der Nordkoreaner fiel den Abgesandten hingegen offenbar nicht auf. Die dauerte nämlich bis mindestens 2017 an. Aber wie schon Franz Beckenbauer über die Arbeitsbedingungen auf WM-Baustellen in Katar sagte: »Also, ich habe noch keinen einzigen Sklaven gesehen.«