Israel ist einer der Vorreiter beim medizinischen Einsatz von Cannabis

Koscher kiffen

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Bis zu 30 000 Patienten werden derzeit in Israel mit medizinischem Cannabis versorgt. Seit Produktion und Vertrieb von therapeutischem Marihuana vor über einer Dekade von der israelischen Regierung genehmigt wurde, nimmt die Produktion ständig zu. Der Staat hat Dutzende Millionen US-­Dollar in die Forschung investiert und Israel gehört heute in dieser Branche weltweit zu den Spitzenreitern. In Fachkreisen wird Israel sogar als »das ­Mekka der medizinischen Marihuanaforschung« betrachtet.

Seit den frühen sechziger Jahren hat die israelische Regierung die Cannabisforschung gefördert. Alles begann an der Hebräischen Universität von Jerusalem. Damals war es der israelische ­Wissenschaftler Dr. Raphael Mechoulam, der konfisziertes libanesisches ­Haschisch verwendete, das er von der Polizei erhalten hatte. Er war einer der ersten Forscher, der 1963 aus den rund 1 000 Substanzen der Pflanze das ­medizinisch wichtige Cannabidiol (CBD) identifizierte und isolierte. CBD wirkt unter anderem entzündungshemmend und angstlösend und ist dabei kaum psychoaktiv. Kurz danach isolierte er Tetrahydrocannabinol (THC), das ­bewusstseinsverändernd wirkt. Mechoulam überzeugte das israelische Gesundheitsministerium, ein medizinisches Cannabisprogramm zu etablieren, das schließlich 1992 genehmigt wurde. ­Daraufhin entwickelte er die heute in Israel angewandte medizinische ­Marihuanabehandlung.

Im Rahmen eines Testprogramms entschied die israelische Regierung 2017 einstimmig, dass Patienten seit dem 20. April dieses Jahres in 25 israelischen Apotheken medizinisches Can­nabis auf Rezept kaufen können. Dort ist das Medikament in Blätterform in einem Beutel erhältlich oder der Wirkstoff wird aufgelöst in Öl, Salben oder Tabletten verkauft.

Das Gesundheitsministerium hat einheitliche Standards für die Bestand­teile, die Verwendung und den Verkauf von medizinischem Cannabis fest­gelegt. Die Apotheken müssen eine Genehmigung des Gesundheitsminis­teriums beantragen, sich zu strikten Aufbewahrungs- und Sicherheitsverfahren verpflichten und die Pharmazeuten entsprechend ausbilden. Das erste Unternehmen, das das Good-Manufacturing-Practice-Zertifikat (GMP) des Gesundheitsministeriums erhalten hat, ist die israelische Cannabisfirma Panaxia. Sie darf nun medizinisches Marihuana an Apotheken verkaufen. Andere Unternehmen befinden sich in verschiedenen Phasen der Zertifizierung.

Der Apothekerverband Israels hatte in der Vergangenheit bereits darauf beharrt, dass Apotheken der richtige Ort seien, an dem medizinisches Marihuana sowie andere Rauschmittel erhältlich sein sollten. Die Apotheker sehen Cannabis auch als ein Mittel, um ihre Umsätze zu erhöhen, und schätzen, dass in ein paar Jahren über 100 000 Genehmigungen für dessen Verteilung beantragt sein werden.

Da es unter den Marihuanapatienten in Israel natürlich auch einige religiöse Juden gibt, mussten die Unternehmen präzise darauf achten, dass auch in ­dieser Branche alles den Gesetzen der Halacha folgt. Da man am Sabbat kein Feuer anzünden darf und es auch verboten ist zu rauchen, wurde der Wirkstoff auch in Form von Tabletten, Öl oder Salben ausgegeben. Bereits früh gab es in Israel eine kontroverse Debatte darüber, ob Cannabis und Judentum überhaupt zusammenpassen. Efraim Zalmonovich, ein orthodoxer jüdischer Rabbiner, erklärte im Jahr 2013 medizinisches Cannabis für koscher. Zur Entspannung sei Marihuana nicht erlaubt, als Medizin aber schon, erklärt er: »In der Thora gibt es ein Gesetz, das besagt, dass der Mensch nicht leiden und traurig sein soll. Es muss einem wohl ergehen, und wenn den Einzelnen nichts anderes hilft als Cannabis, um glücklich zu sein, selbst wenn es sie davon abhängig macht, dann soll es so sein.« Zalmonovich sprach aus eigener Erfahrung. Bei seiner Mutter und später auch seiner Schwester wurde Krebs diagnostiziert und sie litten lange unter schrecklichen Schmerzen.

Auf der Cannatech 2018 in Tel Aviv, ­einer jährlich stattfindenden internationalen medizinischen Cannabis­konferenz, trafen sich im März mehr als 800 Branchenvertreter aus verschiedenen Ländern, um die Zukunft dieses aufstrebenden Zweigs der Pharmaindustrie zu diskutieren. Der Leiter dieser Veranstaltung, Saul Kaye, ein Apotheker und Geschäftsführer von Ican, einem israelischen-Cannabis-Risikofonds, sieht in Israel so etwas wie das Gelobte Land des Cannabis und sagt, es sei bei Inno­vationen in der Cannabisindustrie den anderen Nationen bis zu zehn Jahre voraus. Israel stehe wegen seines gut entwickelten Netz von ­Cannabisforschern, Landwirten, Unternehmern, Pharmaindustrie und Regierungspolitik so weit vorne: »In unserem Land wird das alles weniger stigmatisiert als anderswo.«

Auch Lior, der sich dank des medizinischen Marihuanas langsam aber ­sicher von seinen posttraumatischen Belastungsstörungen erholt, will in den Markt investieren. Nach dem Gaza-Krieg 2014 wurde er von Psychologen der israelischen Streitkräfte als vorübergehend erwerbsunfähig eingestuft und bekommt jeden Monat eine Art Rente ausbezahlt. »In den letzten vier Jahren habe ich mir einiges zusammengespart und werde mein Geld in medizinischem Cannabis anlegen«, sagt er und lacht dabei: »Koscher kiffen kann bestimmt noch lukrativ werden.«