Lelya Troncoso Pérez, Sozialpsychologin, über die feministischen Proteste in Chile

»Das ist ohne Zweifel historisch«

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Interview Von

Was haben die feministischen Proteste bislang erreicht?
Die Mobilisierungen gehen weiter. In einigen Fakultäten gibt es runde Tische der Studierenden, des Lehrpersonals und der Universitätsangestellten, die gemeinsam Vorschläge für lokale Forderungen erarbeiten. Ich mache beim Tisch der sozialwissenschaftlichen ­Fakultät der Universidad de Chile in meiner Eigenschaft als Dozentin mit.

Außerdem wurde erreicht, die Diskussion in die Öffentlichkeit zu bringen: viele Menschen an vielen Orten diskutieren nun über Feminismus. Die ­Besetzungen sind wichtige Orte für die feministische Selbstbildung; Dozen­tinnen und verschiedenste Gruppen bieten dort Workshops und Seminare über feministische Themen an.

Beteiligen sich auch andere Bereiche der Gesellschaft an den Protesten? Wie sieht es mit der Solidarität anderer sozialer und politischer Gruppen aus?
Es haben sich verschiedene feministische Organisationen angeschlossen, so die Koordination der Proteste für den Frauentag und ältere Feministinnen, die in den achtziger Jahren gegen die Dik­tatur gekämpft haben, sowie linke politische Parteien und das neue links­liberale Bündnis Frente Amplio und sonstige Personen, die die Forderungen unterstützen.
Es geschieht gerade sehr viel und noch ist es schwierig, alle Entwicklungen auf den verschiedenen Ebenen und die ganzen Verbindungen zu erfassen, die zwischen Organisationen entstehen. Die Mehrheit bei den Protesten bilden aber noch die Studierenden und Schülerinnen und Schüler.

Es heißt, dies seien die größten feministischen Proteste der vergangenen 40 Jahre. Was unterscheidet sie von den vorherigen Protesten?
Die Proteste unter dem Motto »Nicht eine weniger« gegen Gewalt gegen Frauen waren auch sehr groß nach dem Fall von Nabila Riffo. (Riffo wurde 2016 von ihrem ehemaligen Partner brutal zusammengeschlagen, er riss ihr die Augen aus und sie überlebte nur knapp, Anm. d. Red.) Aber der explizit feministische Charakter der diesjährigen Proteste ist ohne Zweifel besonders. Viele der Menschen, die gegen Gewalt gegen Frauen demonstriert hatten, ­verstanden sich nicht notwendig als feministisch. Heute ist dies mehr und mehr der Fall, auch wenn der Begriff Feminismus, wie vorhin erwähnt, von manchen Rechten angeeignet wird – entpolitisiert und seines antisexistischen, antipatriarchalen und antikapitalistischen Gehalts beraubt.

Viele Besetzungen geschahen exklusiv durch Frauen, das ist ohne Zweifel historisch, da traditionell eher linke Besetzungen sowie deren Proteste meist von Männern angeführt wurden. Jetzt werden die Männer aufgerufen, Verbündete des feministischen Kampfs zu sein, nicht die Hauptprotagonisten dieser Bewegung.

Gibt es Forderungen anderer sozialer Kämpfe, die mit den feministischen Forderungen verbunden werden? Gibt es das Potential für eine größere soziale Protestbewegung in Chile?
Darüber gibt es einen Disput. Für viele Feministinnen, die wie ich eine eher intersektionale Perspektive auf die Bewegung haben, ist es wichtig, uns von liberaleren Strömungen des Feminismus zu unterscheiden, die die kapitalistische, koloniale und heteronormative Logik nicht problematisieren. Daher war ein Anliegen der Besetzungen der Frauen, diese Debatten aus den universitären Räumen zu holen, die letztlich privilegierte Räume sind.

Einige Frauen demonstrierten mit freiem Oberkörper, was die Medien ausschlachteten. Wie wurde das ­unter Feministinnen und in der Öffentlichkeit diskutiert?
Es ist sehr lästig, dass sich die Debatte so auf die nackten Brüste zentriert hat. Vielleicht fünf Prozent der Demons­trierenden zeigten ihre Brüste, aber in den Medien war das alles, was man sah. Das ließ den chilenischen Konservatismus nur noch deutlicher hervortreten und der Fokus auf die Nacktheit lenkte die Aufmerksamkeit vom ­­eigentlichen Problem ab. Es kamen auch viele Männer an, die meinten, den Frauen Lektionen darüber zu erteilen, welche »angemesseneren Formen« des Protests es gäbe. Sieht man sich das Niveau der Debatte und die Kritik an, kann man erkennen, dass es immer noch viele Personen gibt, die keine Ahnung haben, was Feminismus ist und was antisexistischer Kampf.

Was ist für die kommenden Tage und Woche geplant?
Weiterhin werden Proteste für eine nicht sexistische Bildung geplant, auf regionaler und nationaler Ebene gibt es Frauenversammlungen. Parallel dazu gibt es sehr viele Treffen im ganzen Land und Planungen, wie es mit der Bewegung und der Arbeit zum Erreichen der Forderungen weitergehen soll, wenn der Unterricht wieder aufgenommen wird, da die Abschaffung sexistischer Bildung sicher ein langfristiges Bemühen ist.