Im Iran gibt es Massenproteste gegen Preissteigerungen

Proteste im Bazar und auf den Straßen

Angesichts steigender sozialer Spannungen finden im Iran im Wochenrhythmus Proteste statt. Nach landesweiten Streiks von Lastwagenfahrern kam es am Montag zu Ausschreitungen in Teheran.

Geschäfte wurden geschlossen und Tausende Menschen gingen am ­Montag in Teheran auf die Straße. Iranische ­Ordnungskräfte setzten Tränengas ein, um die Menge aufzulösen, als die ­Demonstrierenden vor das ­Parlament ­zogen. Videos in den sozialen Netz­werken zeigen, dass bei den Protesten auch Motorräder der Ordnungskräfte in Brand gesetzt wurden. Berichten des Nachrichtendiensts BBC zufolge waren es die größten Proteste in Teheran seit 2012. Ausgegangen ­waren sie von den Bazarhändlern. Sie gelten traditionell als loyale Unterstützer des Regimes.

In den vergangenen Monaten kam es bereits zu einer Reihe von Streiks und Protesten im ganzen Land – nach denen von Lehrern, Rentnern und Studierenden auch von Lastwagenfahrern, von denen es über eine halbe Million im Iran gibt. Morteza Sadeghi, ein iranischer Oppositioneller im Exil, arbeitete vor 22 Jahren selbst als Lastwagenfahrer in Shahreza im Iran. Shahreza liegt in der Provinz Isfahan und ist eine der rund 160 Städte, in denen in den vergangenen Wochen Lastwagenfahrer in den Streik traten. Aus den Niederlanden verfolgt Sadeghi seither die Nachrichten über die Streikenden, deren Arbeitsbedingungen er aus eigener Erfahrung kennt: »Viele Fahrer müssen bis zu 18 Stunden am Tag arbeiten. Die Arbeit ist hart und gefährlich.«

Die Fahrerproteste begannen am 22. Mai. Am 28. Mai berichteten iranische Staatsmedien, dass der Streik beendet worden sei. Bilder und Videos, die in sozialen Netzwerken kursieren, deuten jedoch auf ein Andauern der Streiks in verschiedenen iranischen Städten hin. Die Proteste richten sich gegen die niedrigen Frachtpreise, hohe Frachtkommissionen und steigende Kosten wie die LKW-Maut und die Preise von Ersatzteilen. Der Preis von LKW-Reifen etwa hat sich in jüngster Zeit verdoppelt. Staatliche Hilfen gibt es keine und die Subventionen für Frachtversicherungsprämien wurden abgeschafft.

Die studentische Nachrichtenagentur Isna berichtete Mitte Juni von Preis­steigerungen bis zu 21 Prozent bei Nahrungsmitteln wie Fleisch, Reis und Öl. Auch die Preise für Weizen und damit für Brot stiegen in den vergangenen Monaten um knapp 24 Prozent. Die Inflation trifft die Lastwagenfahrer hart, weil sie nicht angestellt sind, sondern selbständig arbeiten. Sie tragen das ­Risiko und die steigenden Kosten.

Schon mit der Ankündigung des im Mai von US-Präsident Donald Trump vollzogenen Austritts der USA aus dem Atomabkommen begann der iranische Rial stark zu fallen und verlor ein Viertel seines Werts gegenüber dem US-Dollar. Die Regierung geht zwar noch immer von einem Kurs von 42 000 Rial pro US-Dollar aus, die wenigen noch offenen Wechselstuben verlangen jedoch mittlerweile bis zu 90 000 Rial.

Nach den jüngsten Streiks hat die ­Regierung einige Forderungen der Lastwagenfahrer akzeptiert. Lastkraftfahren soll nun als »besonders harte Arbeit« anerkannt werden, wodurch die selbständig arbeitenden Fahrer steuerlich begünstigt wären, und die Frachtpreise sollen um 20 Prozent erhöht werden. Während der iranische Frachtfahrerverband daraufhin ein Ende des Streiks bekanntgab, streikten einige Fahrer weiter. Sie fordern eine Steigerung des Frachtpreises um 40 Prozent.

Vergangene Arbeitskämpfe im Iran zeigen, dass staatliche Versprechungen oft nicht verlässlich sind. »Auch wenn der Staat die 20prozentige Frachtpreiserhöhung umsetzt, bringt es für die ­Betroffenen nicht viel,« sagt Sadeghi. Auf einigen Bildern, die im Internet kursieren, tragen die Fahrer neben Schildern mit Parolen und Forderungen das Bild des religiösen Führers Ali Khamenei, des geistlich-­politischen Oberhaupts der Islamischen Republik. Die Arbeiter betonten damit ihre »unpoli­tische« und »rein ökonomische« Motivation, sie wollten damit, so Sadeghi, der zu erwartenden Repression entgegenwirken. Die Machtfrage sei für viele Protestierende ohnehin nicht entscheidend: »Für einen hungrigen Menschen spielt es keine Rolle, wer an der Macht ist, er will sich erst satt essen.«

Neben den Lastwagenfahrern traten seit Mai auch Beschäftigte der Öl- und Stahlindustrie in den Streik. Sie fordern die Auszahlung ihrer Löhne. Die Verschlechterung der Lebensbedingungen trifft immer mehr Menschen im Iran. Das Regime investiert viel in Militärausgaben und Auslandsinterventionen, Geld für die Verbesserung der sozialen Lage auszugeben, ist demgegenüber zweitrangig.

Die Jerusalem Post zitierte am Montag einen Bazarhändler, der anonym bleiben möchte: »Wir sind alle wütend über die wirtschaftliche Situation. Wir können auf diese Weise nicht weiter unsere Geschäfte machen. Aber wir sind nicht gegen das ­Regime.« Doch bei den Protesten wird neben der wirtschaft­lichen Lage immer wieder auch die Außenpolitik des Regimes kritisiert. Auf dem Weg zum Parlament in Teheran ­skandierten Protestierende am Montag: »Helft uns, nicht Gaza« und »Verlasst Syrien, kümmert euch um den Iran«. Im vergangenen Winter (Jungle World 2/2018) waren bei den Protesten bereits Slogans zu hören, die einen Schritt ­weiter gingen und die velayat-e faqih (Herrschaft der Rechtsgelehrten), die Grundlage der religiösen Diktatur der Islamischen Republik, in Frage stellten.