In keinem westdeutschen Bundesland ist die Tarifbindung niedriger als in Bayern

Arbeitgeberparadies ohne Tarifbindung

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Auch im Gastgewerbe liegt die Tarifbindung in Bayern weit unter dem Niveau der anderen westdeutschen Bundesländer. Wegen der Dominanz von Kleinbetrieben ohne starke Interessenvertretungen, der hohen Personalfluktuation und der prekären Beschäftigungsstruktur in der Branche – knapp die Hälfte der 375 000 Beschäftigungsverhältnisse im bayerischen Gastgewerbe sind Minijobs – ist die Branche für Tarifverhandlungen traditionell ein schwieriger Sektor. Der­zeit unterliegt in Bayern gerade noch jeder fünfte Beschäftigte einem Tarifvertrag. Im westdeutschen Schnitt sind es doppelt so viele und selbst in Ostdeutschland ist die Tarifbindung im Gastgewerbe höher als im Freistaat.

Doch nicht nur Beschäftigte im prekären Dienstleistungsbereich sind von der Erosion der Tarifbindung betroffen. Auch im Sozial- und Gesundheitswesen, in der Bauindustrie und im Verkehrs- und Logistiksektor sind nur noch etwas mehr als die Hälfte der Beschäftigten von Tarifverträgen erfasst und selbst in den klassischen Indus­trie­branchen der Produktions-, Investitions- und Gebrauchsgüter sank die Tarifbindung in den vergangenen Jahren rapide. Eine der Ursachen sehen die Forscher des WSI in den OT-Mitglied­schaften der Arbeitgeberverbände vieler Branchen. So seien etwa beim bayerischen Metallarbeitgeberverband tariflose Mitgliedschaften weitaus häu­figer als in anderen Bundesländern.

Für die Betroffenen macht sich die sinkende Tarifbindung bei den Löhnen und den Arbeitsbedingungen negativ bemerkbar. »Beschäftigte in Betrieben ohne Tarifvertrag leben in einem ständigen Zustand der Verunsicherung. Denn der Arbeitgeber bestimmt Arbeitszeit und Gehalt willkürlich. Daher arbeiten die Beschäftigten dort länger und verdienen zugleich deutlich weniger als Beschäftigte in Betrieben mit Tarifvertrag«, sagte Matthias Jena, der Vorsitzende des DGB Bayern, anlässlich der Vorstellung der Studie. Neun Prozent weniger als Arbeitnehmer in ­Betrieben mit Tarifvertrag verdienen dem WSI-Bericht zufolge Beschäftigte in nicht tarifgebundenen Unternehmen. Außerdem arbeiten sie durchschnittlich eine Stunde länger.

Die Verantwortung für die Tarifflucht sehen die bayerischen Gewerkschaften sowohl bei den Arbeitgebern als auch bei der CSU-Staats­regierung, wie die Landesregierung in Bayern heißt. Die großen Wirtschaftsverbände hätten mit der Einführung von OT-Mitgliedschaften die Tarifflucht über Jahre systematisch gefördert. Zudem wurde das bayerische Tariftreue- und Vergabegesetz, das die Vergabe öffentlicher Aufträge an die Einhaltung tariflicher Standards knüpft, 2009 abgeschafft. Derzeit sind Bayern und Sachsen die einzigen Bundesländer, in denen es keine Regelungen zur Einhaltung von Tarifverträgen bei Aufträgen der öffentlichen Hand gibt.
»Es kann nicht sein, dass die Staats­regierung Tarifflucht fördert, indem staatliche Aufträge prinzipiell immer an den bil­ligsten Anbieter vergeben werden«, kritisiert Jena und fordert von der Staatsregierung, »die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen zu erleichtern und endlich ein bayerisches Tariftreue- und Vergabegesetz auf den Weg zu bringen«.

Die Vorstellung des Berichts fällt kurz vor den Beginn des bayerischen Landtagswahlkampfs. Die Gewerkschaften wollen so die Arbeits- und Lohnbedingungen in Bayern ins ­Zentrum der Debatte rücken und den Druck auf die Staatsregierung erhöhen.