Kritische Astrologie - Der Sommer und seine Macht über unser Leben

Deutschland kann Kirsche

Kolumne Von

Was kann, was darf das noch für ein Sommer werden? Jetzt, nach dem »Untergang« (Express), nach der schmählichen Niederlage im Herrenfußball? Ein unsichtbarer Trauerflor hängt über den Straßen, seit klar ist, das »wir« (Bild, Zeit, Taz) nicht nur bei den Exporten und beim Breitbandausbau, sondern auch im Sport absolut mittelmäßig, sogar nur un­terer Durchschnitt sind. Die Wahrheit, dass all dieses Leistungs-, Performance- und Weltspitze-Gegacker halt auch bei diesem Thema Mumpitz war, immer schon war, sie treibt die Menschen in eine kollektive Schockstarre. Gelegentlich, ich war selbst Zeuge, schauen die Leute in den Straßencafés aus Verzweiflung sogar die WM weiter an, freuen sich für andere Mannschaften – wie tief kann dieses Land noch sinken?!

Wenn wir nicht aufpassen, wird noch eine große Ernüchterung über dieses Land kommen, werden basale deutsche Tugenden wie Hartz-Hatz, Diesel und Bescheidwissen in eine tiefe Legitimationskrise geraten. Am Ende könnte gar die Erkenntnis stehen, dass all dieser deutsche Bienenfleiß, dass auch das metrosexuell geläuterte Soldatentum eines Jogi Löw völlig für die Katz war und man nicht nur sportlerisch, sondern auch politisch und wirtschaftlich einfach mal fünfe gerade sein lassen könnte. Der Zusammenbruch der Nation stünde unmittelbar bevor.

Wie kann man den runtergekommenen Laden jetzt bloß noch zusammenhalten? Vielleicht mit einer Meldung aus der alten deutschen Hochleistungsdisziplin namens Landwirtschaft: Die Süßkirschenernte 2018 war weltspitze! »Das warme und trockene Frühjahr beschert eine der besten Kirschenernten seit Jahren«, meldete etwa die Waiblinger Kreiszeitung. Deutschland kann Kirsche! Wir sind Kirschmeister! So mögen nun in Cafés und Kneipen Übertragungen von der Kirschernte stattfinden, mögen Sortierung und Verarbeitung kritischen Beifall von Millionen finden! Die Leute sollen sich Kirschen ins Haar flechten und Kriek-Bier saufen und die mickrigen Ernten der Türken verlachen, auf dass auch dieses Ressentiment bedient werde und Deutschland endlich, endlich wieder bei sich selbst sei. Denn anderswo will es keiner haben.