In der italienischen Stadt ­Livorno unterstützt die Mietergewerkschaft Asia Wohnungslose

Ein Platz im Turm

Seit der Wirtschaftskrise 2008 häufen sich in Italien die Zwangsräumungen von Wohnungen. In Livorno, das besonders von der Krise getroffen wurde, unterstützt die Mieter­gewerkschaft Asia Wohnungslose und hat unter anderem ein leer­stehendes Hochhaus besetzt.

»Ich hatte eine kleine Firma mit einem Dutzend Beschäftigten«, erzählt Gianfranco. »Während der Krise fehlte es an Geld, das Unternehmen musste schließen. Die anderen Partner und ich hatten sehr hohe Schulden.« Gianfranco habe seine Miete nicht länger zahlen können und sei schließlich aus dem Haus ­geworfen worden. »Zu dieser Zeit traf ich auf die Gewerkschaft Asia, ich kam hierher und wurde ein einfacher Bewohner. Heute bin ich ein Gewerkschafter in Vollzeit.« Seine Geschichte erzählt er während eines der Plenen in seinem neuen Zuhause, bei denen die Bewohnerinnen und Bewohner gemeinsam über Instandhaltungsarbeiten, Putzpläne für die Gemeinschaftsräume und sonstige organisatorische Fragen entscheiden.

Gianfranco gehört zu den Menschen, die im »Turm von Cigna« leben, einem 19stöckigen Hochhaus in einem nördlichen Vorort von Livorno. 2016 wurde das Gebäude, das seit Jahren leerstand, von 20 Familien besetzt. Eines der Vorzeigeprojekte für Immobilienspekulation in Livorno wurde so zum größten Wohnprojekt für Menschen, die ihr Zuhause verloren hatten; das Projekt steht unter kompletter Selbstverwaltung. Unterstützt wurden die Besetzer von der Basisgewerkschaft Associazioni Inquilini e Abitanti (Asia), der sich ein in Livorno bereits länger existierendes Komitee für das Recht auf Wohnen angeschlossen hatte. Über die Monate wuchs die Zahl der Besetzerinnen und Besetzer. Mittlerweile gibt es dort 50 Haushalte, Italiener und Migranten, meist aus Afrika, die die ersten sechs Stockwerke des Turms besetzt halten.

Gianfranco ist eines der aktivsten Mitglieder von Asia. »Ich tue dies alles, weil ich verstanden habe, dass Solida­rität eine wichtige Waffe ist. Wir werden angetrieben von einem Geist und ­einem Gemeinschaftsgefühl, die man schwer unterdrücken kann. Wir wissen, wen wir auf unserer Seite haben, auf wen wir uns verlassen können, und wir haben nicht aus bloßem Eigeninteresse besetzt, sondern für die ­Menschen, die in der gleichen Situation sind«, sagt er.

»Die erste Besetzung wurde auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise organisiert.« Giovanni, Delegierter der Gewerkschaft Asia

In Italien gibt es zu viele Wohnungslose und zu viele leerstehende Häuser, wie Gewerkschaften und Organisationen für das Recht auf Wohnen immer wieder betonen. Nach Daten des nationalen Statistikinstituts Istat steht etwa ein Fünftel der Häuser in Italien leer. Trotz des hohen Leerstands lebt rund ein Viertel der Bevölkerung in überbelegten Wohnungen und fast jeder Zehnte braucht dringend eine veränderte Wohnsituation. Zudem gibt es zahlreiche Zwangsräumungen, so wurden im Jahr 2016 dem Innenministerium zufolge über 60 000 Woh­nungen geräumt. Diese »Wohnungsnot« geht vor allem auf die Wirtschaftskrise von 2008 zurück. Sie hatte zu einem drastischen Rückgang von Einkommen und Beschäftigung geführt. Tausende Menschen ohne festen ­Arbeitsplatz konnten Mieten und Kredite nicht mehr bedienen, zahlreiche Unternehmen gingen in Konkurs. Organisationen für das Recht auf Wohnen weisen darauf hin, dass 90 Prozent der Zwangsräumungen zwischen 2011 und 2016 auf ausstehende Mietzahlungen zurückzuführen waren.

Die Region Livorno gilt in Italien als eine der Gegenden, die von der Wirtschaftskrise am schlimmsten getroffen wurden. 2015 registrierte die Mieter­gewerkschaft Sunia (Sindacato Unitario Nazionale Inquilini ed Assegnatari) hier eine Räumung pro 30 Familien, im nationalen Durchschnitt ist es eine Räumung pro 80 Familien. Das trug der Stadt den von Sunia geprägten ­Beinamen »italienische Hauptstadt der Räumungen« ein.