Homestory

Homestory #27

Heitere Euphorie herrschte am Montagmittag auf dem diesjährigen Fusion-Festival im mecklenburgischen Lärz beim informellen Austausch zwischen Taz und Jungle World. Und es hatte noch nicht einmal mit den unzähligen kleinen bunten Pillen zu tun, die unter den etwa 70 000 Besucherinnen und Besuchern fröhlich bei Sonnenschein, Techno und aller Art alternativer Musik auf dem ehemaligen sowjetischen Militärflugplatz konsumiert wurden. Die Nachricht, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer seinen Rücktritt angekündigt habe, löste bei so manchen ähnlich verzückte Gesichtsausdrücke aus. Zunächst ließ sich die frohe Kunde mangels stabiler Internetverbindungen auf dem Zeltplatz schlecht verifizieren. Mehrere voneinander unabhängige Quellen, nicht weiter identifizier­bare Personen an der zumeist für laute punkige Musik zuständigen Festivalbühne »Triebwerk« sowie am nahegelegenen Haupttresen hätten behauptet, der Rücktritt habe bereits stattgefunden, hieß es zunächst noch.

Ein paar Tage nahezu abgeschnitten von Nachrichten und Internet unter lauter feiernden, berauschten und oft etwas verpeilten, von einem mal mehr, mal minder fulminanten Bühnenakt zum nächsten ziehenden Menschen – und die extrem weit weg wirkende fiese Weltpolitik jenseits des nach seinen etwas eigenwilligen Regeln funktionierenden Festivalgeländes soll sich ausgerechnet dann einmal zum Besseren gewendet haben?

Schon malte man sich in psychedelischen Farben aus, was nun zwingend folgen müsse, wo sich doch»Heimat-Horst« offensichtlich endgültig zum Hanswurst gemacht hatte. Erst Rücktrittsankündigung, wenig später schon revidiert – ganz als habe er sich den Liedtext des alten Hits der Punkband The Clash, »Should I Stay or Should I Go«, zu eigen gemacht. Sein Schicksal schien zur unverhohlenen Schadenfreude des kleinen linken Meinungskartells besiegelt, sein baldiger Rauswurf durch die Kanzlerin unumgänglich. Und was dann erst käme: das Ende der Union von CDU und CSU – natürlich. Ade, Große Koalition, hallo, schwarz-rot-grüne Afghanistan-Koalition. Mal was Neues. Es folgt – selbstverständlich unweigerlich – ein Fiasko für die deutsche Rechte: Bundesweit prügeln sich CSU und AfD um die Stimmen von Angstbürgern und faschistischem Mob, während in Bayern die neue Konkurrenz zwischen CSU und CDU Jahrzehnte erzkonservativer Hegemonie auf einen Schlag zerstört.

Abends bei der Heimfahrt in der Regionalbahn zehn nach zehn kommt dann die Ernüchterung per Eilmeldung auf Spiegel Online: »Merkel und Seehofer finden Kompromiss.« Ach, nö. Es wäre ja auch zu schön gewesen. Aber hätte man es nicht eigentlich schon ahnen müssen? Auch wenn es bei mehreren Tagen ungezügeltem Hedonismus und weitgehendem Realitätsverlust nicht unbedingt besonders schwer fällt, einem solchen Trugschluss aufzusitzen: Die Weltpolitik ist eben kein Hippiefestival – und die deutsche schon gar nicht. Leider.