Freundschaft als Collage: Eine Ausstellung zu Elfi Mikesch, Rosa von Praunheim und Werner Schroeter

That’s What Friends Are For

Die Filmemacher Elfi Mikesch, Rosa von Praunheim und Werner Schroeter verband über Jahrzehnte hinweg eine intensive Freundschaft, die sich auch in ihrer künstlerischen Produktion niederschlug. Die Akademie der Künste in Berlin widmet dem Dreigespann nun eine Schau. Ein Spaziergang durch die Ausstellung.

Als hätte jemand einen Sarkophag geraubt und die dadurch entstandene Leerstelle mit Rosenblättern bestreut – so wirkt eine Installation im ersten Raum des Max-Liebermann-Saals der Akademie der Künste in Berlin: ein rot leuchtendes Rosenbett, es ist verstorbenen Freunden gewidmet. Dahinter schwebt überlebensgroß ein Portrait von Werner Schroeter auf halbdurchsichtigem Stoff. Zur Rechten fallen blasse Ausschnitte aus dem Frühwerk Schroeters und zweier anderer Filmemacher auf die Wand. Vom Tageslicht etwas gedämpft, schwingen Damen unterm Hakenkreuz ihre Beine. Dann leckt ein Mann den Boden.

Zur Linken sind sie auf Tafeln zu sehen: Elfi Mikesch, Werner Schroeter und Holger Mischwitzky, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Rosa von Praunheim, biographische Daten zum Vergleichen dazu. Dass diese drei sehr vieles seit bereits fünf Jahrzehnten verbindet, zeigt sich nicht auf den ersten Blick.

Hinter Schroeters Konterfei widmet sich der zweite Raum musikalischen Aspekten seines Schaffens und seiner Leidenschaft für die Oper. In einer Ecke läuft sein Film über große Opernstimmen des 20. Jahrhunderts. Eine Hommage an Diven und ihr Können; die Bilder dazu stammen von der Kamerafrau Elfi Mikesch. Der Titel dieses Films lieh auch der Ausstellung den Namen: »Abfallprodukte der Liebe«. Die Musik klingt aus, die schon heisere Stimme des gealterten Schroeter spricht. Ein großformatiger Druck einer alten Fotografie von Maria ­Callas, Schroeters »geistiger Mutter«, hängt über Notenständern, auf ­denen Textblätter das Gehörte erklären: Der Komponist Eberhard Kloke hat Schroeters Lieblingsmusik mit Interviewausschnitten zu einer Klang­installation verarbeitet.

Gerade Schroeters Frühwerk ist ohne Kenntnis der verwendeten Arien oder klassischen Stücke schwer zugänglich. Der junge Dandy des Undergroundfilms brach mit dem Kanon filmischer Mittel und ließ sich von Opern inspirieren: lange Einstellungen, große Gesten, Überhöhung, der Vorrang schöner Bilder von tragischen Momenten vor linearer Erzählung und cineastischer Illusion. Er pfiff auf traditionelle Montage und Synchronität, was seine Filme radikaler als die seiner Zeitgenossen machte.

Von der Münchner Filmakademie nach kurzer Zeit abgehauen, bot ihm Susan Sontags Essay »Notes on Camp« eine neue Basis. Während aber die US-amerikanische Intellektuelle Camp unter anderem als Zufallsprodukt ernsten Kunstschaffens darstellt, das übers Ziel hinausschieße, in Ironie abgleite und dadurch versehentlich ästhetisch interessant werde, ist für den schwulen Schroeter Camp mitunter Ausdruck der künstlerischen Absicht, die Trennung zwischen Trivial- und Hochkultur aufzuheben. Fürs ZDF verfilmt er 1971 im Libanon Oscar Wildes »Salome«, für dessen Vertonung er Schlager, Walzer, Opernauszüge und Flugzeuggeräusche nutzte. Zwei seiner Schauspielerinnen kamen vom Set des »Schulmädchenreport«. Hier ist auch Elfi Mikesch als Kostüm- und Maskenbildnerin erstmals mit von der Partie;  sie wurde später seine bevorzugte ­Kamerafrau.

Schroeters Arbeiten, ob Film, Theater oder Foto, kreisen um die archaischen Erfahrungen von Liebe, Tod und Trauer, ohne Berührungsängste vor Kitsch, Pathos, Sehnsucht.

Mikesch drehte eine Vielzahl an Spiel- und Dokumentarfilmen – nicht nur mit Schroeter und Rosa von Praunheim. Im dritten Raum stehen ein »White Cube« und eine »Black Box«; in ersterem läuft Mikeschs Fotofilm »Execution. A Study of Mary« von 1979 und in letzterem ihre neue Arbeit »L. A. Tango«. An den Wänden hängen Mikeschs spätere autobiographische Arbeiten: großformatige Bilder eines Schlachthofs nahe ihrer Heimatstadt Judenburg, daneben Porträts, die in Vorbereitung auf ihren Film »Fieber« entstanden sind, in dem Eva Mattes eine Fotografin spielt, die anhand von Fotos ihrem Vater nachspürt. Diese Fotos wiederum sind echte Kriegsbilder, die Mikeschs syrischer Vater in Marokko machte; sie sind ebenfalls ausgestellt. Mikeschs Leidenschaft für die Fotografie zeigt sich darin, wie sie sich des Metiers bedient, das von Negativglasplatten über Film bis zur ­digitalen Cloud auch die Evolution fotografischer Medien reflektiert.

Mikesch und Schroeter haben immer schon fotografiert. Mit »Mondo Lux – Die Bildwelten des Werner Schroeter« machte Elfi Mikesch Schroeters Fotografien einem größerem Publikum bekannt. Seinen künstlerischen Arbeiten neben dem Film widmet sich ein weiterer Raum. Dort hängen Skizzen zu Theaterinszenierungen, neben großformatigen Fotografien seiner Liebschaften, die Schroeter in teils inszenierten Settings mit Kleinbild- oder Wegwerfkameras knipste. Manchmal sind es auch bloß Momentaufnahmen und Schnappschüsse, die aber an Einblick ins Schroeter’sche »tragische Weltempfinden« den kunstvoll gefertigten in nichts nachstehen.

 

Als Kind gepeinigt von anderen, später konfrontiert mit vielen früh beendeten Leben von Gefährten und schließlich selbst krank, waren dem Künstler Beziehungen, Liebe, Trauer und Tod zentrale Themen seines auf große Gesten und Gefühle angelegten Werks. Seine Arbeiten, ob Film, Theater oder Foto, kreisen um solche archaischen Erfahrungen, ohne Berührungsängste vor Kitsch, Pathos, Sehnsucht.

Schroeters Humor dabei ist oft sarkastisch oder ironisch. Seiner ersten großen Liebe, Holger Misch­witzky, stellt Schroeter in »Mondo Lux« die Frage, was denn der Unterschied zwischen ihm und einem Tumor sei, nur um selbst zu antworten: »Der Tumor ist in mir, heißt Mireille und lebt um meinen Kehlkopf herum wie eine etwas eingeschnappte Crevette. Mireille ist in mir und du sitzt neben mir.«

Mischwitzky ist kein Ästhet wie Schroeter, ist nicht poetisch wie Mikesch, aber ein schwuler Aktivist der ersten Stunde, der das gesellschaftliche Abseits als kreative Chance begriff. »Man muss es annehmen. Und das Annehmen ist keine Qual, sondern eine innere Disziplin – keine preußische. Das ist das Einsehen der eigenen Schwäche und aus ihr eine Stärke zu machen. Das ist Erzeugen von Energie auf einem schwankenden Terrain, aber diese Energie ist nur positiv.« Auch wenn Werner Schroeter hier vom Krebs­leiden als kreativem Anschub spricht, klingt es, als spräche er auch im Namen schwuler Männer vom Außenseitertum. Von der Gesellschaft als parasitärer Fremdkörper markiert, transformierten viele politische Schwule und Lesben ihre Position als Außenseiter in eine Sonderstellung, von der aus sie eloquent und nonchalant zurückschlagen konnten.

»Kunst ist ein anregendes Material, so wie Freundschaft, Kunst ist Freundschaft.« Werner Schroeter

Dabei half den an den Rand Gedrängten auch die Kunstszene, die von jeher offen für schwule Subkultur war. Holger Mischwitzky wurde politischer Filmemacher, motivierte seine schwulen und lesbischen Freunde, es ihm gleichzutun. Außerdem schuf er sich ein Alter Ego, das Aussätziges zu Auffälligem machte, das durch Provokationen Blicke auf sich und damit auf die Randgestalten der ­Gesellschaft zog. Das Krankhafte im »gesunden Volkskörper« bekam mit dieser Kunstfigur Rosa von Praunheim eine fernsehtaugliche Gestalt und Stimme.

Auch dank Praunheims Schaffen ist die Lage von LGBTIQ heute eine andere. Wohl auch deshalb wirkt sein Ausstellungsraum trotz gegenteiliger Absichten und bei aller Schrägheit und betonter Unkonventionalität ebenso museal wie die vorangegangenen – darüber hinaus ist es beinahe ein Mitmachspektakel. In der Mitte steht ein roter Tisch, an dem sich ein touristisches Ehepaar festgesessen hat und amüsiert in Praunheims ausgelegten lyrischen Frivolitäten blättert. Auf der Leinwand reibt sich der »King of Porn« seinen Schwanz hart. Eine Rentnerin schaut zu, nestelt in der Handtasche. Dass ein Drops partout nicht aus der Tic-Tac-Schachtel kommen will, verstört sie mehr als die Erek­tion im Film. An der Wand prangen Demoschilder mit Parolen und politischen Forderungen, sie wirken im Kontext wie Relikte vergangener Tage. Um einen herum knallt es von den Wänden in bunten Farben, ein pinkes Mausoleum steht hinten rechts, bestückt mit Werbespots, Filmausschnitten aller Art, die meistens nacktes Männerfleisch zeigen.

Wenn sich das aufmerksame Auge an das Gewimmel gewöhnt hat, kann es durchaus einen Eindruck davon gewinnen, wie stark Praunheim auf Mikesch und Schroeter einwirkte. »Er hat mich ange­stoßen, so dass ich endlich meiner späteren Bestimmung zugeführt wurde. Das war eine Offenbarung, sonst hätte ich mich mit Freunden zu Tode gesoffen. Holger gab vielen Menschen den Anstoß zur Kreativität, auch Elfi Mikesch. Er stieß viele Menschen in eine Richtung, in der sie ihr Talent aktiv auslebten und nicht passiv vor sich hin jammerten.

Holger konnte motivieren, konnte Kraft geben, einen Tritt in den Arsch, salopp gesagt«, sagt Werner Schroeter über seinen Freund. Die beiden lernten sich auf dem Inter­nationalen Festival des experimentellen Films im belgischen Knokke kennen, wo Schroeter mit ­einem Katzenfilm aufschlug. Für kurze Zeit waren sie ein Liebespaar.

Auch Elfi Mikesch berichtet von der nie versiegenden Kraftquelle Praunheim. Rosa stünde niemals still, er schreibe jeden Tag Gedichte und Tagebuch. Vor allem seine dokumen­tarischen Arbeiten bildeten durch ihre Fülle einen Querschnitt durch die Gesellschaft Deutschlands seit dem deutschen Herbst, stellt Mikesch fest. Ihre erste Arbeit mit Praunheim war ihr gemeinsames Fotobuch »Oh Muvie« von 1969, dessen Titel sich Elfi Mikesch eine Weile als Pseudonym lieh. Für Praunheims Film »Leidenschaften« reisten sie ein Jahr später um die halbe Welt.

Praunheims Wandlung vom provokativen Posterboy zur großmütterlichen Tunte bewirkte bei ihm die Herausbildung eines gouvernantenhaften Charmes, in dessen Bann Menschen aller Couleur gerne geraten, egal ob Freund oder Kollege. Sein Doku-Drama »Härte«, ein Porträt über Andreas Marquardt, zeugt von Praunheims Gabe, Menschen Dinge zu entlocken, wenn darin Marquardt, ein ehemaliger Zuhälter und gestandener Ex-Knacki, von dem jahrelangem sexuellen Missbrauch durch seine Mutter erzählt. Mikesch führte Kamera und zusammen schufen sie anhand der Erin­nerungen des Manns karge, theaterhafte Räume.

Mikesch begann nach ihrem Fotofilm ebenfalls eine erfolgreiche Laufbahn im Film. Sie präsentierte Anfang der achtziger Jahre unter anderem ihre Arbeiten »Was soll’n wir denn machen ohne den Tod« und »Macumba« im Forum der Berlinale. Mit »Gendernauts – Eine ­Reise durch die Geschlechter« gelangen ihr und der Regisseurin Monika Treut 1999 ein weltweiter Erfolg innerhalb der LGBTIQ-Szene.

Mikeschs Fähigkeit, mit Licht und Schatten Lust und Leid mensch­licher Körper zu zeigen, prädestinierte sie sowohl für Treuts Dokumentarfilm »Gendernauts« als auch für Schroeters fiktionalen Camp-Hit »Der Rosenkönig«. Ersterer besticht durch ­Mikeschs Interesse am Gesicht: Sie schwärmte einmal in einem Interview von dem Moment, wenn nach zehn Minuten Dreh ein Gesicht sich öffnet und das Bild eines Menschen freigebe.

Ihre Auffassung des dokumentarischen Filmbildes als vor allem sozial hergestelltes wird da besonders deutlich, wo trans- und intergeschlechtliche Protagonistinnen und Protagonisten für die Kamera ihr Innerstes preisgeben.

In »Der Rosenkönig« wiederum taucht sie alles in weiches dunkles Licht, das Männerkörper sanft und kindlich erscheinen lässt. Dramatisches Schwarz umhüllt sowohl das Liebespaar als auch die tragische Gestalt der Magdalena Montezuma. Hier wie auch in anderen Zusammenarbeiten harmonieren Schroeter und Mikesch, weil sie die Liebe zum kunstvoll verdichteten Bild teilen.

Was alle drei Künstler eint, ist das soziale Moment des Filmemachens: Mikeschs Gedanke vom sozial hergestellten Bild, Praunheims agitatorische Rolle innerhalb der Film­szene gepaart mit seinem Willen, gesellschaftliche Diversität filmisch ­abzubilden, und schließlich Schroeters ganze Filmproduktion zur damaligen Zeit. Seine Arbeitsweise hing unmittelbar mit seiner Lebensweise zusammen und war Abbild seines sozialen Umfelds. »Ich wollte mich gern ausdrücken mit den ­Leuten, mit denen ich zusammen gelebt habe, und das war das Inter­essante für mich. Meine Filme sind das Abfallprodukt meiner Liebes­geschichten.«

In Berlin diente ein gemeinsames Haus den Freunden als Wohn- und Arbeitsstätte. Werner Schroeter war sich jener Energien bewusst, die Künstlerfreundschaften unter Spannung setzen. Zwischen den gegen­seitigen materiellen und emotionalen Abhängigkeiten innerhalb der Film­entouragen und den individualistischen Freiheitsbestrebungen der einzelnen Beteiligten entstand ein Widerspruch, den Schroeter durch völlige Hingabe auflöste, indem er alles seinem Schaffensgeist einverleibte, Leben, Wohnen, Liebe, Freunde.

So wie Rosa von Praunheim Elfi Mikesch und Werner Schroeter künstlerisch wachküsste, so weckte Schroeter schlummerndes Talent in einer jungen Frau namens Erika ­Kluge. Er machte sie sich zur Freundin und Muse und taufte sie Magdalena Montezuma. Sie lebten gemeinsam in München, liebten, litten und arbeiteten zusammen.

Der markante Star mit dem tragischen Blick spielte anfangs in allen Filmen Schroeters, wo dann Mikesch, Fassbinder und Ulrike Ottinger sie entdeckten. Wenn sie nicht filmten, war Magdalena Montezuma Schroeters rechte Hand, wie er schildert: »Sie führte die Korrespondenz mit Kopierwerken, Filmkunstkinos, Goethe-Instituten und Verleihern. Ich konnte es nicht und war auch zu faul, ich hab lieber gefickt.« Ihre ­Lebensgemeinschaft war wild, poetisch, platonisch. Für Schroeter war sie »die Protagonistin an sich, Ausdruck meiner Seele« und »einzig­artig wie die erste Liebe«. Nachdem Magdalena Montezuma 1984 an Krebs gestorben war, fand Schroeter in seinem Divenreigen keine vergleichbare Muse mehr. Lediglich Isabelle Huppert konnte in ihm wieder ähnliche künstlerische Energien wecken. 2010 erlag Werner Schroeter wie so viele seiner Lieben auch dem Krebs. Magdalena Montezuma ist ein Teil von Schroeters Raum in der Ausstellung gewidmet.

Wenn man einen der drei hier ausgestellten Künstler ausreichend kennt, gibt die Ausstellung detailreichen Einblick in die Künstlerfreundschaften. Denn auf Zusammen­arbeiten und Anzeichen der Freundschaft geht die Ausstellung nicht konkret ein. Auch die räumliche Trennung der Künstler und ihrer Werke erschwert den Fokus auf Verbindendes und Freundschaftliches. Wem alle drei unbekannt sind, dem offenbart sich zumindest, dass im Deutschland der Siebziger neben Fassbinder drei andere homosexuelle Filmemacher desselben Dunstkreises (Schroeter und Fassbinder waren trotz aller Konkurrenz enge Freunde) den »Neuen deutschen Film« ­beeinflussten, und das sogar, ohne den Weg durch die Akademie gegangen zu sein.

»Kunst ist ein anregendes Material, so wie Freundschaft, Kunst ist Freundschaft«, sagt Schroeter in »Mondo Lux«. Praunheim, Schroeter und Mikesch war Freundschaft Antrieb ihres Schaffens, und im Laufe von beinahe fünf Jahrzehnten entstand ein gemeinsames Lebenswerk, dessen künstlerische Höhepunkte Freundschaft und Liebe transzendieren, bis der Umkehrschluss eintritt, dass Freundschaft Kunst ist, ganz ohne Abfallprodukte.

 

Elfi Mikesch, Rosa von Praunheim, Werner Schroeter: Abfallprodukte der Liebe. ­Akademie der Künste, Berlin. Bis 12. August