Wie die extreme Rechte die Urteile im NSU-Prozess kommentiert

Die Agenten vom NSU

Neonazis zeigen sich erfreut über den Ausgang des NSU-Prozesses. Verschwörungstheoretiker und Rechtspopulisten regt die Urteilsver­kündung zu neuerlichen Mutmaßungen über den türkischen Geheimdienst, die russische oder türkische Mafia oder die Hizbollah als wahre Täter an.

Zwei der im NSU-Prozess Angeklagten sind bei Neonazis besonders beliebt: Ralf Wohlleben* und André Eminger. Beide rückten in den Jahren des Gerichtsprozesses nicht von ihren rechtsextremen Ansichten ab. Vor einigen Monaten, zu Beginn seines Plädoyers, teilte Herbert Hedrich, einer der Ver­teidiger Emingers, mit: »Unser Mandant ist Nationalsozialist, der mit Haut und Haaren zu seiner politischen Überzeugung steht.« Hedrich argumentierte damals, dass das Bekenntnis zu dieser Ideologie nicht für eine Verurteilung ausreiche. Emingers Verteidiger forderten deshalb den Freispruch für ihren Mandanten. Die Bundesanwaltschaft forderte je zwölf Jahre Haft für Eminger und Wohlleben. Verurteilt wurde Eminger zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Der Haft­befehl gegen ihn wurde aufgehoben. Etwa zehn Neonazis freuten sich im Gerichtssaal über das milde Urteil für ihren Kameraden, sie applaudierten bei der Verkündung des Strafmaßes und bei der Aufhebung des Haftbefehls. ­Einem Augenzeugen zufolge war auch deutlicher Jubel aus ihrer Richtung zu vernehmen.

Das Urteil für Wohlleben löste hingegen keine Freudenstürme aus, er wurde immerhin zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Nach Abzug der Dauer der Untersuchungshaft dürfte es aber nicht allzu lange dauern, bis er wieder mit seinen Kameraden in Freiheit vereint ist. Er ist als ehemaliger stellvertretender NPD-Vorsitzender in Thüringen und Organisator von Rechts­rock-Konzerten die bekannteste Figur aus dem Nazimilieu, die in München vor Gericht stand.

T-Shirts mit dem Aufdruck »Freiheit für Wolle« wurden in den vergangenen Jahren auf fast ­jeder größeren Veranstaltung der neonazistischen Bewegung getragen und verkauft. Noch unmittelbar vor der Urteilsverkündung veröffentlichte die rechtsextreme Organisation »Gefangenenhilfe« den Song »Freiheit für Wolle«, in dem schwülstig von Wohllebens glänzenden Augen gesungen und ihm die Treue geschworen wird – »da komme, was wolle«. Dass man zusammengehört, zeigten auch die Neonazis im Gerichtssaal, wie ein Prozessbeobachter schildert: »Die Neonazis unten im Saal und diejenigen auf der Publikums­empore zeigten auch durch ihre Bekleidung ihre Zusammengehörigkeit an. Sowohl Ralf Wohlleben als auch André Eminger trugen schwarze Hemden und Hosen. Auch ihre Ehefrauen, die im Prozess als Beistände zugelassen waren und direkt bei ihren angeklagten ­Männern sitzen durften, trugen schwarze Hosen und Oberteile. Auch die ­Neonazis auf der Tribüne trugen schwarze Hemden.«

Die Partei »Der III. Weg« fasste sich auf ihrer Website kurz. Sie gab das verkündete Strafmaß wieder und bezeichnete das NSU-Verfahren als »Schau­prozess« gegen ein »NSU-Phantom«.

Auch die neonazistischen Parteien NPD und »Der III. Weg« haben sich mittlerweile zu dem Urteil geäußert. Auf der Website der NPD-Zeitung Deutsche Stimme fragt der stellvertretende Parteivorsitzende Ronny Zasowk, ob »das Ganze am Ende nicht vor allem Theater für die Öffentlichkeit war, um die wahren Hintergründe zu vertuschen«. Mit den Taten des NSU sei »die Einleitung eines neuen Verbotsver­fahrens gegen die NPD ­begründet« worden, »zahlreiche Innenminister und Chefs der Verfassungsschutzämter« hätten einen »Sündenbock« benötigt. Der Verfassungsschutz müsse abgeschafft werden, fordert Zasowk. Die Partei »Der III. Weg« fasste sich auf ihrer Website kurz. Sie gab das verkündete Strafmaß wieder und bezeichnete das Verfahren als »Schauprozess« gegen ein »NSU-Phantom«.

Von einem »Schauprozess« ist auch beim rechtsextremen Magazin Compact die Rede. Dessen Umgang mit dem Prozess und dem Urteil ist beispielhaft für die Darstellung im verschwörungstheoretischen Milieu, das sich mit dem NSU befasst. Compact will mit »Geheimakten« beweisen, dass Beate Zschäpe eine V-Frau sein könnte und dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sich nicht selbst getötet haben können. Das Urteil gegen Zschäpe ­findet das Blatt »empörend«. Mit Andreas Galau hat das Magazin einen Brandenburger AfD-Abgeordneten aufgetan, der der Meinung ist, dass an Zschäpe »ein Exempel« statuiert worden sei. Der Politiker äußert Zweifel an der Täterschaft des NSU bei den ­Morden in Kassel und Heilbronn. Auf seiner Facebook-Seite schreibt Galau ­zumindest, Zschäpe müsse wegen des Brandes in der Zwickauer Wohnung verurteilt werden, die sie mit Mundlos und Böhnhardt teilte. Bei Compact fehlt ein solcher Hinweis. Das Magazin bezweifelt auch Zschäpes Schuld an der Brandstiftung.

Das Urteil im NSU-Prozess hat auch andere Verschwörungstheoretiker zu neuen Mutmaßungen angeregt. Ganz vorne dabei ist »der Fatalist«, der das Blog »Arbeitskreis NSU« betreibt, dort seit Jahren systematisch Zweifel an ­allen Erkenntnissen im NSU-Komplex schürt und so die ohnehin bestehende Desinformation noch vergrößert. In ­einem Interview mit einem anderen Verschwörungstheoretiker behauptet er, Zschäpe sei zu ihrer Aussage erpresst worden, sie wisse tatsächlich gar nichts über die Taten, was man an ihrer Aussage gemerkt habe. Sonst ergeht sich »der Fatalist« in Beschwerden über »die Mainstream-Medien«, die die Wahrheit entweder nicht sagen wollten oder zu geringe Kenntnisse über den NSU hätten.

Auch auf der rechtsextremen Website »PI-News« kursiert eine eigene Theo­rien über den NSU: Mundlos und Böhnhardt seien »geselbstmordet« worden, Zschäpes Wissen sei ihre »Lebensversicherung«. Das Trio sei »zweifellos dienstlich geführt« worden, eigentlich gehe es um organisierte Kriminalität, genauer um den »türkischen Drogenhandel«, der für die Mordserie ver­antwortlich sei. Wie das geheimdienstliche NSU-Trio in dieses Kons­trukt passt, erklärt der Autor allerdings nicht. Dass Ausländer für die Taten verantwortlich seien, legt auch Holger Douglas auf der rechtspopulistischen Website »Tichys Einblick« nahe. In dem Beitrag werden mehrere Verschwörungstheo­rien angeschnitten: Der türkische Geheimdienst, die russische Mafia und die Hizbollah kämen demnach als Täter in Betracht. Insgesamt handele es sich beim NSU um eine Geheimdienst­operation, die verhindern solle, dass die Bevölkerung die »hohen Sicherheitsrisiken« erkennt, die »mit der Öffnung der Grenzen einhergehen«. Bei »Tichys Einblick« und »PI-News« wird mit dem NSU-Urteil also Politik im ­eigenen Sinne gemacht. Noch die absurdeste These ist gut genug, um sie in die Schreckensgeschichte von den kriminellen Ausländern und der ver­brecherischen Regierung einzupassen. Eine rassistische Mordserie gab es ­diesen Darstellungen zufolge nicht.

 

*Wohlleben verließ am Mittwochmorgen, den 18. Juli, die Justizvollzugsanstalt Stadelheim in München, wie eine Sprecherin des Gefängnisses sagte. Dies erfolgte nach Redaktionsschluss der Printausgabe am Dienstagabend.