Kritische Astrologie - Die Opiate und ihre Macht über unser Leben

Am Jägerzaun der Schweigers

Kolumne Von

Eine großer Ruck der Erleichterung geht durch den deutschen Sportjournalismus: Endlich gibt es eine Gelegenheit, sich von dem unangenehmen und für alle Beteiligten peinlichen Themenkomplex Mesut Özil zu lösen! Mit Meldungen, bei denen der Sportler als Mensch endlich wieder im Vordergrund steht, nicht die ­große schmuddelige Politik.

Mitten im 38-Grad-Premium-Sommerloch war das plötzliche Auftauchen Jan Ullrichs am Horizont der Bericht­erstattung beziehungsweise am Horizont von Til Schweigers Jägerzaun für viele Schreibende eine unglaub­liche Erleichterung: Endlich wieder ein Thema, das runtergeht wie Eistee, mit dem man sich auskennt, zu dem man grundsätzlich nur unverfängliche Meinungen haben kann – nämlich Doping.

Stand Jan Ullrich, unser Held bei der Tour de France 1997, unter dem Einfluss leistungssteigernder Mittel, als er sich in einem nördlichen ­Vorort der Inselhauptstadt Palma, wo der gebürtige Rostocker ein ­Anwesen hat, gleich neben Til Schweiger, mit seinem aus Lindenstraße und »Keinohrhasen« bekannten Nachbarn stritt?

Und falls die ­Dopingprobe positiv ist: Wäre sein moralischer Sieg über den Bar­fuß-Langweiler und Tatort-Filmer Schweiger dadurch weniger wert? Hier war die Presse plötzlich ganz in ihrem Metier – denn einen gewalttätigen Suchtkranken zur sommerlich-amüsanten Upps-­die-Pannen-Show-Gestalt umzuschreiben, dafür gibt es feste Muster, allerdings gibt es auch Richtlinien seitens des Presserats.

Es ist damit zu rechnen, dass auch künftig zerschredderte Persönlichkeiten aus den Neunzigern wieder ein stärkeres Gewicht im Boulevardjournalismus erhalten werden. Einfach deswegen, weil man weiß, wie man mit ihnen umzugehen hat, weil es für sie bewährte Verfahren gibt – im Gegensatz zum Fall Özil, mit seinen verwirrenden politischen Implikationen. Und weil der halt auch nichts wirft! Weil es keine nachweisbaren Exzesse gibt! Überhaupt könnte eine Durchdreh- und Drogenpflicht für Prominente zu einer großen Erleichterung für zahllose Medienschaffende führen. Um den Preis, dass Journalismus dann nur mehr gedopt funktioniert.