Zum Begriff des Urfaschismus

Der Urfaschismus der Frustrierten

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Erst nach Berlusconis von der EU-Kommission erzwungenem Rücktritt 2011 verwandelte sich die faschistische Maskerade in einen Aufmarsch der Faschisten: Diejenigen, die bisher lediglich als extremistische, bisweilen folkloristische, jedenfalls nützliche Mehrheitsbeschaffer für das neoliberale Bündnis der Rechten angesehen worden waren, nutzten die Chance, in den Jahren der wirtschaftlichen Krise und der gleichzeitig rigide durchgesetzten Sparpolitik für ihre souveränistische Politik zu werben. Matteo Salvini baute die Lega ab 2013 zur nationalen rechten Partei auf und wurde bei der Parlamentswahl im März ­diesen Jahres die stärkste Kraft des rechten Parteienbündnisses. Inzwischen bestimmt er als »starker Mann« im Innenministerium das Regierungshandeln. Da er die rassistischen Positionen der Lega (Nord) schon früh propagierte, ist er der ideale Verbindungsmann zu den extremen Rechten der Casa Pound und anderen außerparlamentarischen Rechten, die auf jede Neuetikettierung als Neo- oder Postfaschisten verzichten, auch nicht verschämt Populisten oder Rechtsextreme genannt werden wollen, sondern sich selbst als Faschisten bezeichnen.

Mit der alleinigen Unterstützung der faschistischen Szene wäre Salvini der Aufstieg jedoch nicht gelungen. Auch der europäische und internationale Erfolg souveränistischer Parteien hätte vermutlich nicht ausgereicht, die Lega an die Macht zu bringen. Ausschlaggebend für den Erfolg des neuen Faschismus in Italien ist, dass die von Eco 1995 aufgezählten Elemente eines »Urfaschismus« von der liberalen, sozialdemokratischen und linksradikalen ­Opposition nicht mehr bekämpft, sondern assimiliert worden sind. Anders ist auch die Verkennung des M5S als linke Bewegung nicht zu erklären.

Die Fünf-Sterne-Themen, die der Bewegung ihren Namen gaben, richteten sich zwar zunächst auch an eine linke Wählerschaft, doch die an Konzepten der Gemeingutorientierung inter­essierten Wähler wurden bald vernachlässigt. Öffentliche, nachhaltige Infrastrukturprojekte bestimmen die ­Programmatik des M5S schon lange nicht mehr. Auch das Selbstverständnis als Anti-Berlusconi-Bewegung basierte lediglich auf einer Ablehnung der Führungsspitze des rechten Parteibündnisses. Dabei bediente der M5S gleichzeitig die von den Rechten geweckten »urfaschistischen« Instinkte: vom ersten vulgären Aufruf des M5S-Begründers Beppe Grillo zum »Vaffa-Day« (»Leck-mich-am-Arsch-Tag«) über die autoritäre Führungs- und Organisa­tionsstruktur der Bewegung bis zur chauvinistischen Migrations- und Anti-EU-Politik der Parlamentsfraktion. »Postideologisch« ist der M5S nur insofern, als er traditionelle, nostalgische Elemente des »Urfaschismus« vernachlässigen kann, die für die Lega wegen ihrer Nähe zu den außerparlamentarischen faschistischen Gruppierungen noch unverzichtbar sind. An diesen feinen Unterschieden könnte der Widerstand gegen den regierenden »Patchwork-Faschismus« (Jungle World 30/2018) ansetzen. Voraussetzung wäre allerdings, dass die oppositionellen Bewegungen sich ihrer eigenen als Linkspopulismus beschönigten Faszination für den »Urfaschismus« bewusst würden und eine radikal andere Idee des gesellschaftlichen Miteinanders entwickelten.