Nicht nur in Chemnitz zeigt die extreme Rechte, dass sie den »Systemsturz« will

Den Rechten gehts ums Ganze

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Aber eine solche ideologiekritische Zurückweisung dürfte die rechten ­Adressaten nicht beeindrucken. Denn der Verweis auf die vermeintlichen Ähnlichkeiten des »Merkel-Regimes« mit dem System der DDR verschafft deren Tun eine exklusive Legitimität. So wird der Justizbeamte, der den Haftbefehl gegen die mutmaßlichen Täter von Chemnitz rechtswidrig veröffentlichte, in einschlägigen Foren als whistleblower gefeiert. Hier drückt sich eine politische Stimmung aus, in der das Handeln der derzeitigen Regierung als reiner Willkürakt empfunden wird. Flüchtlinge gelten als Invasoren, wie nach 1989 die Treuhand als Kolonialbehörde betrachtet wurde. Beide Feind­bilder – Flüchtlinge und Treuhand – stehen zugleich für einen Ausverkauf durch »Volksverräter«. Gauland spricht im Namen jener, die diese Sichtweise zur absoluten Wahrheit erheben und – wie im Fall Chemnitz – bei jedem Gewaltverbrechen, das Migranten zugeschrieben wird, noch vor dem Bericht der Staatsanwaltschaft eigene »Fakten« präsentieren.

Es sei »normal, dass Menschen dann ausrasten«, sagte Gauland mit Blick auf die Demonstrationen, die in Chemnitz auf das Tötungsdelikt folgten. Er verschwieg, dass gerade gemäß dieser Mentalität eine besondere politische Gewichtung der Kriminalitätsopfer vorgenommen wird: Öffentlich betrauert werden jene, die von »fremder Hand« getötet wurden; die anderen Opfer ­verbleiben in der Anonymität. Diese Stimmung wird auch durch eine Politik der Angst erzeugt, die öffentlich verhandelte Probleme wie jihadistische Anschläge oder von Flüchtlingen verübte Gewalttaten gerade nicht politisch bearbeitet, sondern instrumentalisiert.

Auch wenn Seehofer mit seinen Angriffen auf die Kanzlerin bisweilen wie Gaulands Sekundant wirkt, verfolgen beide unterschiedliche Interessen. Seehofer will eine Proteststimmung, die er selbst miterzeugt hat, wieder eindämmen und in Bahnen lenken, die der CSU nutzen, vordringlich in der anstehenden Landtagswahl in Bayern. Der ehemalige Christdemokrat Gauland hingegen ist die führende Figur jener Partei rechts von der CSU, vor der Franz Josef Strauß immer gewarnt hat. Seehofer bleibt ein krachlederner Konservativer bajuwarisch-bundesrepublika­nischer Prägung. Die Angriffe von Gaulands AfD gegen die Kirchen und die Nato stellen dagegen längst einen Bruch mit der konservativen Politik der ­Unionsparteien von Adenauer und Strauß dar.

Die Polemik wider das »System Merkel« veranschaulicht auch die Erfolgs­voraussetzungen und Funktionsweise des Rechtspopulismus. Für Gauland und sein Gefolge ist das Feindbild Merkel lebenswichtig. Es ist keineswegs klar, ob die Provokationsstrategie der AfD nach dem Ende der amtierenden Regierung noch wirken würde. Und der größte Rückhalt für Merkel ist derzeit noch die parteiübergreifende Abgrenzung von der AfD. Ironischerweise hätte gerade der Wahlerfolg der deutschen Apologeten einer »illiberalen Demokratie« im vergangenen Jahr beinahe eine »Jamaika-Koalition« möglich gemacht. Die AfD hätte somit die Liberalisierung der Union unter Merkel auf die Spitze getrieben.

Seehofer und Gauland sind die prominentesten Vertreter des populistischen Protests von Regierenden und rechten Revoluzzern. Dagegen regt sich auch Widerspruch aus bürgerlichen Kreisen. Die Sonntagsausgabe der FAZ verurteilt Seehofers Bierzeltrhetorik scharf mit den Worten, man könne »keine besorgten Bürger angeln, indem man Nazis ködert«. Den AfD-Vorsitzenden Gauland bezeichnete die Zeitung als »Brandstifter im Biedermann-Sakko«. Auch klassische Konservative scheinen derzeit zu ahnen, wer da mit dem »System Merkel« sonst noch verjagt werden soll.