Die polnische Gedenkpolitik unter der nationalkonservativen Regierung der PiS

Gedenken im Umbruch

Seite 2 – Neugestaltung in Sobibór


Die Gedenkstätte in Sobibór ist schon einen Schritt weiter und folgt mit ihrer umfassenden Neugestaltung deutlich dem Beispiel Bełżec. Wie dort standen bei der Ausschreibung, die unmittelbar nach der Angliederung der Gedenkstätte an das staatliche Museum in Majdanek 2012 erfolgte, der Schutz der Massengräber, ein zeitgemäßes Gedenken und eine Verbindung von Gedenk- und Informationsort im Vordergrund. Bis 1993 war hier noch von durch die »Hitleristen« ermordeten sowjetischen Kriegsgefangenen die Rede; auf dem ehemaligen Lagergelände befand sich seit den siebziger Jahren eine Kindertagesstätte. 1993 wurde das Kita-Gebäude dann als Museumsgebäude in die Gedenkstätte eingegliedert. Ansonsten teilte das Gelände in Sobibór lange Zeit das Schicksal der anderen Tötungsorte der »Aktion Reinhardt«, es war weitgehend vergessen. Die Massengräber blieben ungeschützt und an einigen Stellen kamen Knochen zum Vorschein.

Seit 2017 ist das Gelände für Besucher komplett gesperrt. Ein Wachschutz sorgt dafür, dass niemand den weiträumig abgesperrten Bereich betritt. Sind die oftmals weitgereisten Besucher zu hartnäckig, erzählt ihnen ein Wachmann manchmal etwas von Minenfeldern im Wald. Das Museum wurde bereits 2012 durch eine Freiluftausstellung ersetzt und das Gebäude abgerissen, seitdem arbeitet das Personal in blauen Containern.

In jahrelangen archäolo­gischen Untersuchungen unter der Leitung von Wojciech Mazurek, zuletzt auf eigene Faust, wurden nicht nur die Massengräber lokalisiert, sondern 2014 sogar die Fundamente des Gaskammergebäudes entdeckt. Diese werden in der neuen Gedenkstätte, deren Entwürfe immer wieder den neuen Untersuchungsergebnissen angepasst wurden, ihren Platz finden, ebenso Elemente aus den sechziger Jahren.

Der Bereich der Massengräber ist bereits geschützt und von einer Schicht weißer Kiesel bedeckt. Die dortigen Arbeiten fanden – wie auch in Bełżec – unter ständiger Aufsicht orthodoxer Rabbiner statt. Wenn die Bauarbeiten abgeschlossen sein werden, wird nur eine kleine Lücke in der Mauer den Blick auf die Gräber freigeben. Die 1965 dort aufgestellte Skulptur einer Mutter mit Kind, die derzeit von Absperrband umgeben neben den Bürocontainern steht, soll in Zukunft hinter dem geplanten Museum am früheren Ort der Entkleidungs­baracken ihren Platz finden.
Die Ausmaße der neuen Gedenkstätte sind an die des Lagers angelehnt. Über 25 Hektar gehören zum Gelände. In Entfernung zu größeren Städten und nahe der ukrainischen und weißrussischen Grenze plant man hier in größeren Dimensionen, wie auch der Parkplatz im Entwurf zeigt. »Die Besucherzahlen wuchsen kontinuierlich. Im Jahr 2016 waren es bereits über 30 000«, berichtet Tomasz Oleksy-Zborowski, der Leiter der Gedenkstätte.

Anders als beispielsweise in Auschwitz kamen bisher über 90 Prozent der Besucher in Sobibór aus Polen. Viele davon waren ­Gäste eines wenige Kilometer entfernten Ferienparks. Oleksy-Zborowski geht davon aus, dass mit der Umgestaltung und Neuorganisation der Gedenkstätte auch mehr Besuchergruppen aus dem Ausland nach Sobibór kommen werden.

Die ganze Region soll touristisch aufgewertet werden. »Bis vor einigen Jahren war der Kreis Włodawa die ärmste Region der Europäischen Union«, so Oleksy-Zborowski. Mittlerweile werden in der nahen Kleinstadt auch mit EU-Unterstützung die Synagogen saniert und Włodawa wirbt in Erinnerung an die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg mit dem Slogan »Stadt der drei Kulturen«.

In Sobibór sind in erster Linie Polen, Israel, die Slowakei und die Niederlande an der Neugestaltung der Gedenk­stätte beteiligt. Nach sechs Jahren polnischer Anfragen und vergeblicher ­Debatten im Bundestag hat die Bundes­regierung immerhin 900 000 Euro für die neue Ausstellung des Museums zugesagt. Noch 2013 hatte Cornelia Pieper (FDP) als Staatsministerin im Auswärtigen Amt das mangelnde Engagement Deutschlands damit begründet, dass in Sobibór angeblich keine deutschen Juden ermordet worden seien. Anders als Auschwitz mit seinem internationalen Symbolcharakter spielten die Orte des Massenmords der »­Aktion Reinhardt« für den deutschen Staat bisher keine große Rolle. Der Wandel der Gedenkstätten an diesen Orten könnte sie stärker in den inter­nationalen Fokus rücken – und vielleicht auch die Debatten über die deutsche Verantwortung wieder anregen.