Monika Schwarz-Friesel, Kognitionswissenschaftlerin, im Gespräch über Antisemtismus im Internet

»Verbale Gewalt ist hochgefährlich«

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Interview Von

Auch den muslimischen Antisemitismus haben Sie untersucht. Was haben Sie herausgefunden?
Dass dieser besonders virulent ist. Grundlage ist hier ebenfalls der klassische Antisemitismus. ­Juden werden als »Unmenschen«, »gierige Macht­menschen«, »Mörder«, »Verschwörer« und »Blutkultpraktizierer« imaginiert. Ihnen wird unterstellt, sie erzeugten den Antisemitismus durch ihr Verhalten. Das wird dann kombiniert mit israelbezogenen Stereo­typen wie »Unrechts- und Unterdrückerstaat« oder »Teufels- und Terrorstaat«, NS-Vergleichen, ­dämonisierenden Metaphern oder Vernichtungswünschen. »In shaa Allah kommt irgendwann der Tag, ­indem Israel komplett ausradiert wird. Drecks­land« (Rechtschreibung wie im Original), heißt es etwa in einem Kommentar. Auffällig sind dabei die vielen religiösen Verweise.

Was halten Sie von der Debatte über muslimischen Antisemitismus?
Die Debatte muss offener und vor allem rationaler geführt werden. Ohne überzogene politische Korrektheit muss der muslimische Antisemitismus unzweideutig kritisiert und bekämpft werden. Den aktuellen Judenhass als von Flüchtlingen »importiert« zu deklarieren, relativiert zum einen den Antisemitismus in der Gesamtgesellschaft und blendet zum anderen aus, dass wir seit langem ein weltweites Problem mit islamischem Antisemitismus ­haben. Dass nun viele der Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommen sind, aus Ländern stammen, in denen Israelhass Staatsdoktrin ist, intensiviert ­natürlich das Problem. Hier benötigen wir aber noch detaillierte Langzeit­studien. Als empirisch falsch erweist sich durch unsere Studie jedenfalls schon die vielzitierte Aussage, der Nahostkonflikt sei die primäre ­Ursache für muslimischen Antisemitismus. De facto basiert dieser Hass genauso auf den klassischen judeophoben Zerrbildern wie alle anderen ­Varianten der ­Judenfeindschaft.

Ein Schwerpunkt Ihrer Studie liegt auf den emotionalen Dimensionen von Antisemitismus.
Ja, denn Antisemitismus ist untrennbar an Gefühle gekoppelt. Mit einem Mittelwert von 70,3 Prozent ist Hass die in unserer Studie am häufigsten kodierte Emotion. Dabei haben wir zwischen affektivem und rationalem Hass unterschieden. Tendenziell artikulieren rechtsextreme und islamische Antisemitinnen und Antisemiten ihren Hass affektiv. Linke und der »Mitte« zuzuordnende, vor allem gebildete User äußern sich pseudorational – und verbinden das mit Abwehr- und Umdeutungsstrategien.

Woran liegt das?
Am Post-Holocaust-Bewusstsein: Durch das Wissen um Auschwitz ist es für ­humanistisch eingestellte, gebildete Menschen quasi unmöglich, den alten Judenhass bewusst als mit dem Selbstkonzept kompatibel zuzulassen. Aufgrund des Legitimationsdrucks kommt es daher zu Projektions- und Umdeutungsprozessen. So kommentierte etwa ein User im FAZ-Blog: »Ich kann beim besten Willen keine Judenfeindschaft erkennen, fürchte allerdings, dass diese gebetsmühlenhaften Vorwürfe dazu führen könnten.« Diese als Diskurs­ritual habitualisierten Leugnungs- und Abwehrstrategien prägen maßgeblich alle Debatten. Das angebliche Kritiktabu ist dabei ein Phantasma. Denn außerhalb von antisemitischer Argumentation wird etwa die Behauptung, »jede Kritik an Israel wird mit Antisemitismus gleichgesetzt«, gar nicht vorgebracht. In der Antisemitismusforschung unterscheiden wir ja sehr klar und präzise zwischen kritischen Sprechakten und antiisraelischen Hassbekundungen.

Viele Jüdinnen und Juden verlassen Frankreich wegen des dortigen Antisemitismus. Halten Sie eine solche Entwicklung auch in Deutschland für möglich?
Seit zehn Jahren konstatieren wir in der empirischen Antisemitismusforschung die Zunahme und Radikalisierung von Antisemitismen. Trotzdem herrschen in der Gesellschaft Desinteresse, Mangel an Empathie oder Bagatellisierung vor. Von Politikern werden routinemäßig Floskeln wie »Wehret den Anfängen« und »Mit aller Härte entgegentreten« produziert – doch etwas tatsächlich Durchgreifendes wird nicht unternommen. Dabei sind wir längst über die Anfänge hinaus – und haben genügend Forschungsergebnisse, um aktiv zu werden. Doch die Mehrheit der Zivilgesellschaft bleibt still, anstatt endlich ein längst überfälliges und unübersehbares Zeichen gegen Judenhass zu ­setzen. Und die Justiz fällt zum Teil durch Relativierungen und Umdeutungen auf.

Wenn Molotowcocktails auf Synagogen und Schläge auf Kippa­träger als politische Empörung interpretiert werden, setzt das natürlich ­fatale Signale. Bei diesen Tendenzen muss sich niemand wundern, wenn Deutsche jüdischen Glaubens sich ­alleingelassen fühlen und eventuell sogar ans Auswandern denken.