Quinn Slobodian, US-amerikanischer Historiker, im Gespräch über das Verhältnis von Rechtspopulisten zu Neoliberalen

»Ende der Neunziger kamen Neoliberale auf die Idee, die EU sei von Sozialisten übernommen worden«

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Interview Von

Wie fügt sich Donald Trump mit seiner Politik in dieses Bild ein?
Das ist aus meiner Sicht etwas ganz anderes. Wenn es um Handelspolitik geht, sollte man nicht auf Trump selbst schauen, sondern auf den US-Handelsbeauftragten Robert Lighthizer, der über enorme Macht verfügt, aber aus irgendeinem Grund wenig beachtet wird. Er war bereits unter Reagan stellvertretender Handelsbeauftragter, was insofern bezeichnend ist, als der US-amerikanische Präsident Ronald Rea­gan Mitte der achtziger Jahre gegenüber Japan teilweise ganz ähnlich agierte wie heute Trump gegenüber China. Damals hieß das »aggressiver Unilateralismus« – stark vereinfacht: Die USA forderten zum Beispiel Japan auf, doch bitteschön nicht so viele Autos auszuführen, sich also in freiwilliger Exporteinschränkung zu üben. Und Japan leistete dem Folge, um Amerika bei Laune zu halten. Ebenso griffen die USA auf Paragraph 301 ihres Handelsgesetzes zurück, um sich per Exekutivgewalt über das damals noch bestehende GATT (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) hinwegzusetzen und US-amerikanische Produkte vor »unfairen« Handelspraktiken zu schützen. Man muss also nicht bis in die dreißiger Jahre zurückgehen, um in den USA Parallelen zu Trumps Vorgehen zu finden, die gab es auch in den achtziger Jahren unter Reagan. Das sollte man als Erstes festhalten.

Zweitens verfolgt Trump eine Politik des Sowohl-als-auch, nicht des Entweder-oder. Es vergeht kein Tag, an dem er nicht die WTO als Institution in Frage stellt und zugleich seine Regierung eine Beschwerde bei ihr einlegt. Dass Trump die WTO rundweg ablehnt, stimmt einfach nicht. Er nutzt sie zum eigenen Vorteil, während er gleichzeitig ihre Legitimität in Zweifel zieht.

Worin besteht der Unterschied zwischen rechten Euroskeptikern und Trump?
Ihre schiere Größe ermöglicht den USA politische Maßnahmen gegen den Status quo, die anderen Ländern schlichtweg nicht offenstehen. Trump wird sein erratisches Verhalten nicht nur deshalb gestattet, weil es der US-Ökonomie zurzeit so gut geht, dass er viel Spielraum für destruktive wirtschaftspolitische Eingriffe hat, sondern auch wegen der Abhängigkeit eines Landes wie China von den USA, das sich entsprechend viel gefallen lässt, bevor ein reales Problem entsteht. Bei einem Treffen mit europäischen Vertretern meinten die Chinesen kürzlich sinngemäß: »Vielleicht hat Amerika recht, wir sollten die WTO reformieren und die geistigen Eigentumsrechte stärken.« Reagan verfolgte einen harten Kurs gegenüber Japan, um aus dem GATT die WTO zu machen, was damals den USA zugutekam. Vermutlich zielt Trumps harter Kurs gegenüber China heute auf eine neue WTO, die ebenfalls den USA zugutekommt. In diesem Fall würden wir nicht die Zerstörung des internationalen Systems erleben, sondern lediglich seine Reform zugunsten US-amerikanischer Wirtschaftsinteressen, was kaum überraschen könnte.

Manche Beobachter argumentieren, Trumps zum Handelskrieg treibende Politik sei weniger irrwitzig, als es scheint, wenn man sie als Präventivmaßnahme gegen eine absehbare Entwicklung versteht: Da die USA ihre hegemoniale Rolle in der Weltordnung mehr und mehr verlören und China ihren Platz einnehmen wolle, bereite sich die Trump-Regierung – auch wenn es im Moment nicht so scheinen mag – in Wirklichkeit auf eine Situation vor, die sich ihrer Kontrolle entzieht, und versuche, die USA entsprechend zu positionieren.
Genau so sieht es meines Erachtens jemand wie Trumps Handelsbeauftragter Lighthizer. Er führte damals den Kampf gegen Japan, und ­Japan kapitulierte, weil es nicht groß genug ist, um auf irgendeiner Ebene wirtschaftlich eigenständig zu sein – es kann keine ausreichende Nachfrage für seine eigenen Produkte schaffen. China dagegen kann das. Eben diese Angst hat es mit seiner Vision »China 2025« heraufbeschworen – dass es ­seine eigenen Verbraucher schaffen kann und folglich nicht mehr auf die US-amerikanischen angewiesen wäre, wie es bis heute der Fall ist. In dieser Hinsicht bin ich fest davon überzeugt, dass der aggressive Kurs der US-Re­gierung auf einer bestimmten realistischen Ebene durchaus Sinn ergibt, denn sie will verhindern, dass China diesen Weg verfolgt – ein Versuch der Eindämmung. Unternehmen wie Foxconn, die gewöhnlich in China produzieren, sollen nach Wisconsin geholt werden, um die chinesische und die US-amerikanische Produktion zu verzahnen. Gelingt eine solche Rückver­lagerung von Produktionsketten in die USA, dann lässt sich vielleicht eine Art von wechselseitiger Abhängigkeit herstellen, die schwer zu umgehen ist. Darin bestünde die größte Ironie: Der aggressive Wirtschaftsnationalismus würde dann in Wirklichkeit dazu dienen, eine stärkere Verflechtung zu erzeugen.

Würden Sie Trumps Politik als neoliberal bezeichnen?
Es empfiehlt sich vermutlich, die Diskussion über Trump von der Diskussion über die Entwicklungslinien des Neoliberalismus zu trennen, denn meines Erachtens agiert Trump in einem anderen Vorstellungshorizont. Wenn wir von Hayek und Co. seit den dreißiger Jahren bis heute ausgehen, dann haben neoliberale Intellektuelle – zumindest ihrem Selbstverständnis nach – das Ziel von Wirtschaftspolitik immer in einer Entpolitisierung gesehen. Das unterscheidet sich deutlich von Trumps Taktik, die gerade auf Politisierung zielt. Er sagt ausdrücklich, dass ökonomische Entscheidungen immer politisch sind, dass es so etwas wie »die Weltwirtschaft« oder »die Globalisierung«, die uns dazu zwingen würde, dies oder jenes zu tun, gar nicht gibt: Amerika hat bestimmte Interessen und Amerika wird sich über das, was »die Weltwirtschaft« sagt, hinwegsetzen. Trump führt in die politische Ökonomie wieder die Politik ein, und zwar in einer Weise, die der Hauptlinie des globalen neoliberalen Projekts zuwiderläuft.

Darin besteht eine seltsame Übereinstimmung mit linken Kritiken. Denn auch Linke erklären seit Jahrzehnten, dass wir die Politik in die politische Ökonomie (wirtschaftliche Fragen, Entscheidungen) zurückbringen müssen. Auch sie meinen, es gebe gar keine Entpolitisierung, alles, was apolitisch scheint, sei in Wirklichkeit politisch.

Wie hat sich diese »seltsame Übereinstimmung« im US-Wahlkampf gezeigt?
2016 stand Amerika an einem Scheideweg: Die Politik konnte durch das Programm von Bernie Sanders oder durch das von Donald Trump wieder Eingang in die politische Ökonomie finden. Beide standen für eine Repolitisierung der Wirtschaft, wenn auch natürlich mit unterschiedlichen Vorstellungen über gesellschaftliche Ziele, die menschliche Natur, das gute Leben und so weiter. Es war dann zwar leider Trump, der die bisherige Entpolitisierung erfolgreich in Frage gestellt hat, aber das hat eine Öffnung bewirkt, die auch Anhängern einer anderen Politik die Möglichkeit bietet, ihre Vorstellungen überzeugend zu präsentieren. Darin besteht nun die Herausforderung.

Und wie könnte eine gesellschaftliche Veränderung in dieser Situation aussehen?
Was ist heute die umfassendste Ebene, auf der man über Politik nachdenken kann? Das Jahr 2016 war so elektrisierend, weil der Wahlkampf von Bernie Sanders mit sehr großen Begriffen gearbeitet hat. Was immer man über die Frage der Machbarkeit denkt, die Größenordnung, in der über eine mögliche Veränderung der USA nachgedacht wurde, war enorm. Und aus diesen traumartigen Hoffnungen sind wir in die ständige Panik herabgestürzt, die die Hektik der Schlagzeilen erzeugt. Gerade jetzt kommt es darauf an, aus dieser Hektik herauszutreten und grundsätzlicher zu denken. Wir müssen historisch denken. Wir müssen uns darüber klar werden, aus welchen Traditionen wir schöpfen, welche Ziele und Werte aus den letzten 100 oder 200 Jahren uns etwas bedeuten.

Und darüber, was einer neuen Bewegung Orientierung geben könnte. Dabei kann es kein Einlenken gegenüber der Rechten geben, keine Sündenbockkampagnen gegen Migranten und keine Übernahme einer Sprache der ethnischen Ausgrenzung, wie wir es bei manchen Versuchen, sogenannte linkspopulistische Bewegungen aufzubauen, beobachten konnten. Der demos hat sich erweitert, und zwar in einer vormals undenkbaren Weise. Unsere Lehre aus der Geschichte muss lauten, dass nichts unvermeidbar, aber fast alles möglich ist. Die Geschichte der Demokratie ist noch nicht zu Ende.
 

Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch:
Felix Kurz