Homestory

Homestory #39

Den gnadenlosen Enthüllungsjournalismus zeichnet aus, dass er schnurstracks dorthin geht, wo es weh tut. Im Fall der Redaktionsräume der Jungle World befindet sich dieser Ort in der Kaffeeküche. Es ist ein weißes Schränkchen über der Spüle, das ein düsteres Geheimnis birgt. Das Grauen trägt Namen wie »For That Moment Of Peace«, »Bamboo Balance«, »Klarer Kopf« und »Flower Power«. Es lockt mit grotesken Versprechungen, »entspannt und erfrischt wie ein Tag im asiatischen Spa« beispielsweise.

Es steckt in kleinen Beutelchen, lässt sich aufbrühen und trinken. Richtig: Es geht um Tee. Oder besser gesagt: um durch und durch bizarre Teesorten.

Dieser Enthüllung wäre es beinahe ergangen wie vielen vor ihr. Sie sollte verhindert und unterdrückt werden. »Das könnte schon an unserem Image kratzen«, meldete sich ein Bedenkenträger, dem der Ruf der Zeitung offenbar über die Wahrheit geht. Dabei ist die Angst um den guten Ruf ja durchaus berechtigt. Bei wem wecken Teeausgeburten wie »Bamboo Balance« und »Flower Power« nicht Schreckensassoziationen, wem fahren nicht Horrorbilder von schwitzigen Yoga-Klitschen, homöopathischen Wunderheilpraxen und blumenbekränzten Hippie-Ringelreihen wie Blitze durchs Gehirn? Doch der Enthüllungsjournalismus hat gesiegt, die Wahrheit ist raus: In der Jungle World geschehen schlimme Teeverbrechen.

Immerhin, die Zahl der Aufgusssünder in der Redaktion ist gering. Bei einer während der aufwendigen Recherche spontan ausgeführten Becher-, Gläser- und Tassenkontrolle wurde lediglich eine Mitarbeiterin beim Konsum eines Tässchens »Klarer Kopf« ertappt. Ihren eigenen Kopf senkte die Kollegin daraufhin leicht verschämt. Es gibt also noch ein Schuldbewusstsein – und damit Hoffnung.

Auf ein Bier, eine Brause oder – beide Augen zugedrückt – eine Tasse Tee sollten Sie, liebe Leserinnen und Leser, am Erscheinungstag dieser Ausgabe in der »Schankwirtschaft Laidak« in der Boddinstraße 42/43 in Berlin vorbeischauen. Dort wird unser Autor Stefan Dietl ab 19.30 Uhr sein neues Buch »Prekäre Arbeitswelten. Von digitalen Tagelöhnern bis zur Generation Praktikum« vorstellen.