Chris Imlers neues Album »Maschinen und Tiere«

Musik für die Überbezahlten

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Imler spielt mit den Worten, er bietet keine Geschichte, keine Parolen, keine große oder kleine Erzählung. Die Wörter werden in den Beat hineingezogen, aus dem Mund herausgezogen, es sind Spielworte und Wortspiele. Selbstverständlich kann der gebürtige Augsburger nicht ohne ein Brecht-Zitat auskommen, doch wer nun glaubt, Imler liefere gesungene Analysen des Zeitgeschehens, der irrt. Denn andauernd kommt es etwa zu Wortfügungen wie »Gestylte Gestalten/geteilte Gewalten« und ähnlichem schönen Unsinn. Wörter setzt er als Reizwörter ein, das Ergebnis, die Platte, ist ein Meisterwerk des guten Schlechte-Laune-Pop. Und nebenbei eben auch ein Beispiel für Haltung.

Imler hat die Stücke nicht in einem Rutsch geschrieben, hat nicht an einem Konzeptalbum gearbeitet. Sie entstanden vielmehr dann, wenn Imler ein paar Tage für sich hatte, in Berlin, und nicht wenige von ihnen hat er schon einmal auf der Bühne gespielt, halb- oder ganz fertig, sie hielten also gewissermaßen dem weltweiten Praxistest bereits stand. Als die Platte dann im Studio von Dirk Dresselhaus (besser bekannt als Schneider TM) fertig produziert wurde, spielte Imler das Schlagzeug ein und veränderte noch einige Texte. Zunächst stand jeder Song für sich. Er hätte die Reihenfolge auf dem ­Album auch anders festlegen können, betont er. Dass die zweite Seite der LP erst etwas weniger Druck ausübt, sei nicht beabsichtigt gewesen, aber dass mit »Nach Unten« nochmal ein lautes und dynamisches Stück kommt, ist absolut folgerichtig. Tatsächlich haben es einige Tracks gar nicht auf das fertige Album geschafft.

Dieses ist, so scheint es, ein Gipfelpunkt sowie eine Zwischenbilanz. Zugleich ist es natürlich nicht nur ein willkommener Anlass für neue Konzerte, sondern ein Ganzes. Imler schätzt das Hypnotische an der Platte, als Schlagzeuger sei man, so sagt er, automatisch der afrikanisch geprägten Musik verbunden, die über die USA nach Europa gekommen sei.

Doch obwohl viele Stücke das Potential zum durchaus chartstauglichen Hit haben, nimmt Imler diese Ansätze regelmäßig wieder zurück, singt plötzlich wie Hubert Kah, bricht den Beat, streut Störgeräusche ein. Schöne Popsongs zu schreiben, das interessiert ihn nicht. Er will eher die Tänzerinnen und Tänzer herausfordern, so wie der Satzbau Adornos die Leserinnen und Leser herausfordert.

Genau das macht das Hypnotische der Platte aus, man kann sich in diese Musik hineinwerfen, sie wird einen herumschleudern, jedoch auch auffangen, und dabei die schlechte Laune des Hörers herauskitzeln, die große Unzufriedenheit. Man »jubelt«, wie es in ­einem Song heißt, »bis man kotzt«, und wenn man gut gekotzt hat, dann kann man wieder jubeln, tanzen, feiern, getreu dem Motto dance the pain away. Genau darum geht es Imler: Für mitsingbare Songs und klare Aufforderungen sind andere ­zuständig, bei Chris Imler führen dagegen Stress und Verausgabung zur Katharsis.

Aber kann das gutgehen, auch beim wiederholten Hören? Ja, denn Imler weiß über seine Produktionsmittel Bescheid und verwendet diese angemessen. Er will nichts, was er nicht kann, sondern holt alles aus dem heraus, was er hat. Und er verfügt über ein immenses Musikwissen, zitiert Barockstücke ebenso wie er auf den No Wave verweist, leiht sich einen Move hier und kopiert einen Sound dort, doch bevor man sich wohlfühlen kann, weil man etwas erkannt hat, bevor man weiß, wie es weitergehen müsste, kommt es ganz anders.

Und so etwas braucht es gerade heutzutage, da nur geschmachtet oder beim Rave getanzt wird, da Unvorhersehbares rar ist, und da die Körper- und Selbstoptimierer nicht nur jubeln, bis sie kotzen, sondern mit ihren Selfies auch ihre Erinnerungen anscheinend allein einem Smartphone anvertrauen. Imler weckt auf und holt sie dort heraus, diese Überbezahlten. Man lässt sich gerne von ihm wecken.

 

Chris Imler: Maschinen und Tiere (­Staatsakt)