George Grosz war ein Graphiker, den Linke heutzutage gern vergessen

Ganz groß

»Dreimal wurde Grosz angeklagt, wegen Beleidigung der Reichswehr, Angriffs auf die öffentliche Moral und Gotteslästerung«, schreibt das Bröhan-Museum für Jugendstil, Art Deco und Funktionalismus zur Eröffnung der Ausstellung »George Grosz in Berlin«. In der heutzutage gängigen Jugendsprache wäre er wohl ein ­»Ehrenmann«, zu Lebzeiten hätte nur der Name »Oberdada« zur Verfügung gestanden, der damals aber bereits von Johannes Baader benutzt wurde.

Mehr als 200 Ausstellungsstücke zeigt das Museum zurzeit – darunter neben Zeichnung, Gemälden und Fotografien auch die weniger bekannten Arbeiten, nämlich Kostüm- und Bühnenbildarbeiten des Künstlers, der vor allem durch seine politischen Karikaturen zur Zeit der ­Weimarer Republik bekannt wurde.

Nach dem Reichstagsbrand 1933 wurde Grosz als erster prominenter Künstler ausgebürgert, seine Bilder galten als »entartete Kunst«.

Dabei sollen die Zeit und das Wirken des gebürtigen Berliners in der Stadt beleuchtet werden. Grosz, der bürgerlich Georg Groß hieß, wollte angesichts des im Ersten Weltkrieg in Deutschland grassierenden Hasses auf England allerdings keinen ­deutschen Namen mehr tragen und ­änderte diesen 1916. Nachdem er mehrmals dem Soldatendienst entkommen war, gründete er mit ­Richard Huelsenbeck, dem Pionier des Dadaismus, gegen Ende des Kriegs den ersten Berliner Zirkel der Kunstbewegung Dada. Im Vergleich zu den Begründern aus Zürich, die sich eher auf die Kunst konzentrierten, gaben sich die Berliner Vertreter deutlich politischer.
Die Gruppe organisierte auch die Erste Internationale Dada-Messe in Berlin, die 1920 neben ihren Veranstaltern auch Größen wie Max Ernst und Otto Dix präsentierte.

In Folge der Ausstellung kam es auch zur eingangs erwähnten ersten Anklage gegen Grosz, der damals in seinen späten Zwanzigern war: Das Reichswehrministerium verklagte ihn mit Verweis auf seine Mappe »Gott mit uns« wegen Beleidigung der Reichswehr. In dieser Arbeit zielte er mit neun Zeichnungen auf die Dummheit und Brutalität des deutschen Militärs, das im Namen der Herrschenden die Arbeiterklasse unterdrückte. Zu sehen sind skizzenhafte Darstellungen, beispielsweise von Offizieren, die Kommunisten ermorden, während zwei Unternehmer im Vordergrund zu Abend essen. »Die Kommunisten fallen – und die ­Devisen steigen«, nannte Grosz diese Karikatur. Das Gericht verurteilt ihn zu einer Geldstrafe von 300 Reichsmark und ordnete die Vernichtung der Mappe an. Doch nicht alle Exemplare wurden zerstört: Teile der Mappe, die sonst im Museum of Modern Art (MoMA) in New York City aufbewahrt werden, können nun im Bröhan-Museum angeschaut werden.

Die Arbeit zeigt anschaulich das Verhältnis des Berliner »Propagandada«, wie er in der Szene genannt wurde, zum Kampf der Arbeiterklasse und der Novemberrevolution in Deutschland. Grosz stand auf der Seite des Proletariats. Während des Spartakusaufstands wurde er verhaftet, konnte jedoch entkommen. 1919 trat er in die KPD ein. Sein Verhältnis zu der Partei war jedoch ambivalent: Als er 1922 nach Russland reiste und Lenin und Trotzki traf, änderte er seine Meinung zum Parteikommunismus und verließ ein Jahr später in Deutschland die Partei wieder. Dem Marxismus blieb er allerdings treu. Auch in der Ausstellung in ­Berlin finden sich darauf dezente Hinweise: So befindet sich dort ein ­lithographischer Druck aus dem Jahr 1924, der einen Boxkampf zwischen einem Arbeiter und einem Uniformierten zeigt. Am unteren Rand wird die Arbeiterschaft explizit aufgefordert: »Wählt Kommunisten!«

Doch auch seine Bewunderung für die Vereinigten Staaten von Amerika zeigt sich in den Ausstellungsstücken. Großstadtzeichnungen, die Grosz liebte, gibt es auch von US-amerikanischen Städten: So zeichnete er Ende der zwanziger Jahre Bilder von New York City, ohne je dort gewesen zu sein. In ihnen stellte er die Metropole im für ihn typischen skizzenhaften Stil mit dadaistischem Einfluss dar – versehen mit großen Stars and Stripes im Hintergrund. Als er dann 1932 einen kurzen Lehrauftrag in der Stadt bekam, entschloss er sich zur Emigration. An seine Familie schrieb er einen illustrierten Brief, um die Kinder zur Übersiedlung zu bewegen – auch diesen dokumentiert die Ausstellung.

Die Emigration zeugte von weiser Voraussicht: Kurz nach dem Reichstagsbrand Ende Februar 1933 wurde Grosz als erster prominenter Künstler ausgebürgert. Sein Atelier wurde durchsucht, seine Bilder wurden als »entartete Kunst« deklariert. Von der Arbeiterklasse war der Künstler, der Hitler schon früh als große Gefahr sah, enttäuscht. Dass diese sich nicht gegen die Nationalsozialisten vereinigt und sie bekämpft hatte, warf er ihr noch lange vor.

Insgesamt schafft es die Retrospektive, einen breit gefächerten Überblick über Grosz’ Schaffen zu geben. Der Zeit des Berliner Dada wird zwar am meisten Raum zugebilligt, jedoch werden auch andere Teile ­seines Werks ins Licht gesetzt. Die immanenten Widersprüche in diesem Werk werden erfreulicherweise nicht kaschiert. Für alle, die nicht schon eingehend Grosz’ Biographie studiert haben, gibt es Überraschungen zu sehen. Die Bilder seines Spätwerks nämlich weichen stark von seinen frühen skizzenhaften Karikaturen ab. Auch aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen überarbeitete Grosz seinen Stil und brachte deutlich mehr Farbe ins Spiel. Die teilweise sehr großen Ölgemälde stecken ­voller Details und je länger man sie beobachtet, desto mehr Einzelheiten kommen in ihnen zum Vorschein. Dazu braucht man allerdings auch starke Nerven: Grosz zeichnete und malte apokalyptische Szenarien, Tod und Elend sind hier allgegenwärtige Motive. Bei genauerer Betrachtung verwandeln sich unscheinbare Flächen in Leichenberge oder in explodierende Menschen mit umher­fliegenden Eingeweiden. Grosz’ Kriegserfahrungen wirken hier nach; dass er sie so drastisch zeigt, ist auch als Mahnung zu verstehen.

Leider erliegt die Ausstellung teilweise ihrer eigenen Interpretation des Künstlers. Die »desillusionierte Weltsicht«, die Grosz unterstellt wird, stellt seine Beobachtungen und Kritiken unterschiedslos in eine Reihe und vereinfacht sie so: Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg, Spanischer Bürgerkrieg und Kalter Krieg. Überall dort lauerte die verallgemeinerte »Grausamkeit«. Tatsächlich ist eine Art Totalitarismustheorie in manchen seiner Werke aus den dreißiger Jahren durchaus präsent. In einem Druck wird ein Mensch mit zwei Körperhälften dargestellt: Auf der einen Seite ein Bauer mit Hammer und Getreidezweig in der Hand, auf der anderen Seite ein Soldat mit Messer und Flinte. Die Ausstellungsmacher sprechen davon, dass Grosz »auch Faschismus im Kommunismus« gesehen habe. So klar und deutlich machen es seine Werke allerdings auch wieder nicht. Seine ­Abscheu vor dem Faschismus und die Angst vor dessen Wiederkehr ­bestimmte auch noch im Spätwerk seine Arbeiten. Ein besonders eindrucksvolles Gemälde von 1945 stellt die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs in Deutschland dar – sein Titel: »So Smells Defeat«.

Trotz der kleineren Mängel ist die Ausstellung durchaus empfehlenswert, da sie Grosz’ Leben historisch schlüssig darstellt und so einen Einblick gibt in einen Teil der Geschichte der deutschen Linken, auf die sich, zu Unrecht, heutzutage niemand mehr bezieht.

Die Ausstellung »George Grosz in Berlin« im Bröhan-Museum Berlin läuft noch bis zum 6. Januar 2019