Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine erfasst die orthodoxen Kirchen

Streit unter Patriarchen

Die Russische orthodoxe Kirche hat angekündigt, den Kontakt zum Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel abzubrechen. Dieses hatte die Unabhängigkeit der Ukrainischen orthodoxen Kirche vom Moskauer Patriarchat anerkannt.

Wenn es um Kirchenspaltungen geht, bei denen teils Jahrhunderte zurück­liegende Vereinbarungen über Vollmachten und Zugehörigkeiten in Frage gestellt werden, bleiben Prognosen schwierig. Für Aufruhr in der christlichen Orthodoxie sorgte jüngst die ­Russische Orthodoxe Kirche mit ihrem Oberhaupt, Patriarch Kyrill I. Am 15. Oktober tagte die Synode in der weißrussischen Hauptstadt Minsk und ­kündigte den vollständigen Bruch mit dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel an. In seiner Radikalität erinnert dieser Schritt an die Auflösung der Sowjetunion.

Die Vorgeschichte lässt sich kurz zusammenfassen, auch wenn zahlreiche Details zur historischen Dimension der Orthodoxie in der Ukraine dabei wichtig sind. Das in Istanbul ansässige Ökumenische Patriarchat, das für sich unter den 14 orthodoxen Nationalkirchen den Status einer führenden und wegweisenden Instanz beansprucht, sprach sich unlängst zugunsten der Eigenständigkeit der Ukrainischen Orthodoxen Kirche aus. Gemeint ist damit, ­perspektivisch die drei großen orthodoxen Kirchen in der Ukraine zu ver­einigen und sie dem Einfluss des Moskauer Patriarchats zu entziehen. Noch ist die endgültige Entscheidung nicht getroffen, aber das langwierige Pro­zedere ist zumindest in Gang gesetzt. Der Ökumenische Patriarch Bartho­lomäos I. betreibt die damit unweigerlich einhergehende Umverteilung von Pfründen allerdings nicht auf Eigeninitiative. Vielmehr erhielt er im Frühjahr den Auftrag vom ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko, der wiederum Rückhalt im Parlament und bei Teilen der Orthodoxie besitzt. Auch die USA unterstützen diese Politik offen.

Poroschenkos Chancen, bei den Präsidentschaftswahlen im kommenden Frühjahr den Sieg davonzutragen, stehen derzeit äußerst schlecht. Erfolge kann er weder in der Korruptionsbekämpfung noch im ökonomischen ­Bereich vorweisen und eine Lösung im Konflikt mit Russland und den abtrünnigen sogenannten Volksrepubliken im Donbass ist auch nicht in Sicht. Seit ­geraumer Zeit weisen er und andere Politiker auf die Gefahr hin, die von der dem Moskauer Patriarchat unterstehenden Ukrainischen Orthodoxen Kirche ausgehe, die mit etwa 12 000 registrierten Gemeinden die weitaus größte orthodoxe Kirchenvereinigung des Landes darstellt. Das Kiewer Patri­archat verfügt nur über rund 5 000 Gemeinden und ist eher im Westen der Ukraine stark. Dazu kommt die Ukrainische Autokephale Kirche mit gerade einmal etwas mehr als 1 000 Gemeinden. Im Frühjahr entschied sich Poroschenko, die Religionsfrage offensiv anzugehen. »Armee, Sprache und Glauben« lautet sein Wahlkampfslogan. Dass ihm das einen entscheidenden Stimmzuwachs einbringen wird, ist fraglich.

Was die säkulare ukrainische Regierung mit politischen Argumenten rechtfertigt, versuchen hohe Geistliche mit Neuinterpretationen alter Dokumente der Orthodoxie zu begründen. Ein Synodalbrief aus dem Jahr 1686 ­garantiert dem Moskauer Patriarchat in Kiew gewisse Rechte, die in der bislang üblichen Lesart als Unterordnung der Kiewer Orthodoxie unter Moskau galt. Diese Sichtweise wurde revidiert. Nun heißt es, Moskau habe bestenfalls die Genehmigung für eine vorübergehende Verwaltungsaufsicht erhalten. Dabei ist die einzige kanonische orthodoxe Kirche in der Ukraine, nämlich die des Moskauer Patriarchats unter Metropolit Onufrij, der Zentrale zwar geistlich verbunden, bildet aber seit Jahrzehnten de facto eine eigenständige Kircheneinheit ohne konkrete Verpflichtungen gegenüber dem Moskauer Patriarchat. Onufrij steht einer Ver­änderung des Status quo kritisch gegenüber.
Zar Peter der Große hatte die Institution des Patriarchen in Russland ab­geschafft. Erst nach der Revolution 1917 ließen ausgerechnet die Bolschewiki die alte Tradition wieder aufleben. In der Ukraine wurde 1921 die autokephale Kirche gegründet, die vom Ökumenischen Patriarchat in Konstantinopel jedoch nie anerkannt wurde. Zurzeit ist sie als Juniorpartner bei einem möglichen Vereinigungsprozess mit der erst nach der ukrainischen Unabhängigkeit gegründeten orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats im Gespräch.

Hier spielt Patriarch Philaret seine Rolle, auf dessen Betreiben das Kiewer Patriarchat 1992 entstand und dem er seit 1995 vorsteht. Der mittlerweile 89jährige, der mit bürgerlichem Namen Michail Denissenko heißt, entstammt einer Bergarbeiterfamilie im Donbass und legte zu Sowjetzeiten eine vorbildliche Kirchenkarriere hin. Nach dem Tod des Moskauer Patriarchen Pimen 1990 rechnete er fest damit, dessen Nachfolge anzutreten, unterlag in einer geheimen ­Abstimmung jedoch seinem Konkurrenten Aleksij. ­Danach versuchte er vergeblich, die Anerkennung des Kiewer Patriarchats voranzutreiben. Immerhin erklärte Patriarch Bartholomäos I. kürzlich einen 1997 von Moskau gegen ihn ­verhängten Kirchenbann für ungültig. Philaret, der den »Euromaidan« aktiv unterstützte, wurden Verbindungen zur Mafia nachgesagt. Er pflegt enge Kontakte zu ukrainischen Nationalisten.

Seit geraumer Zeit weist Ukraines Präsident Petro Poroschenko auf die Gefahr hin, die von der dem moskauer Patriarchat zugeordneten Ukrainischen orthodoxen Kirche ausgehe.

Philaret, der den Traum vom Patriarchenamt immer noch nicht aufgegeben hat, könnte zum Haupthindernis für eine Vereinigung der Ukrainischen Orthodoxen Kirche werden. Bereits ­Anfang der neunziger Jahre war er bei vielen Geistlichen umstritten und ­unbeliebt, das scheint immer noch der Fall zu sein. Metropolit Makarij von der autokephalen Kirche jedenfalls klagte über Philarets Umgangsformen und Rücksichtslosigkeit. Zudem existiert noch nicht einmal im Ansatz ein von allen möglichen Beteiligten ­akzeptiertes Regelwerk für einen Vereinigungsprozess. Über die Bereitschaft des zum Moskauer Patriarchat zählenden Klerus und gemeiner Gläubiger, einer vereinigten Kirche beizutreten, liegen keine gesicherten Erkenntnisse vor. Ein massenhafter freiwilliger Übertritt scheint wenig wahrscheinlich und noch ist nicht absehbar, zu welchen Maßnahmen die Regierung greifen wird. Denkbar ist, dass sie bestehende Nutzungsrechte für Kirchengebäude entzieht.

Größter Profiteur einer neu geschaffenen Ukrainischen Orthodoxen Kirche wäre das Patriarchat von Konstantinopel. Mit klaren schriftlichen Aus­sagen halten sich Kirchenobere zwar zurück, was fast schon als Geheimniskrämerei gewertet werden darf. Aber ihr Kalkül läuft wohl darauf hinaus, mit der Ukraine so weit wie möglich den eigenen Einflussbereich auszuweiten und damit auch die Anzahl der dem Ökumenischen Patriarchat unterstehenden Gemeinden erheblich zu erhöhen. Für Patriarch Kyrill wäre das eine herbe Niederlage. Aber die russisch-orthodoxe Kirche scheute sich in der Vergangenheit nicht, der orthodoxen Konkurrenz aus Istanbul in die Quere zu kommen.