Mexiko, die USA und Kanada haben den Nordamerikanischen Freihandelsvertrag neu verhandelt

USMCA reimt sich auf Nafta

Kanada, Mexiko und die USA haben ein neues Freihandelsabkommen ausgehandelt. Dieses entpuppt sich als der alte Vertrag mit minimalen Änderungen und sperrigerem Akronym.

Sichtlich zufrieden stellte US-Präsident Donald Trump am 1. Oktober das United States-Mexico-Canada Agreement (USMCA) im Weißen Haus vor. Er konnte verkünden, ein weiteres Wahlversprechens eingelöst zu haben. Die Pressekonferenz leitete er mit einer der ­zentralen Aussagen seines Präsidentschaftswahlkampfs ein: »Nafta war wahrscheinlich der schlechteste jemals abgeschlossene Handelsvertrag.«

Am 1. Januar 1994 war das Nord­amerikanische Freihandelsabkommen (Nafta) in Kraft getreten, das nahezu alle Zollbarrieren zwischen Kanada, Mexiko und den USA aufhob und die ­nationalen Märkte öffnete. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 24,8 Billionen US-Dollar im Jahr 2017 bildeten die Nafta-Staaten den größten Wirtschaftsraum der Welt. Trump macht Nafta für die Verlagerung von Millionen Industriearbeitsplätzen aus den USA nach Mexiko verantwortlich. In dem Vertrag sieht er den wesentlichen Grund für das Außenhandelsdefizit mit Kanada und Mexiko. Im Wahlkampf 2016 warb Trump damit, das Abkommen neu zu verhandeln um bessere Konditionen für die USA durchzusetzen, und notfalls aus ihm auszusteigen.

Im August 2017 begannen die Verhandlungen zwischen den drei Staaten, die von Beginn an unter keinem guten Stern standen. So zeitigten die ersten Verhandlungsrunden kaum Fortschritte und wurden von gegenseitigen ver­balen Attacken und Anschuldigungen überschattet. Nach der dritten Verhandlungsrunde Ende Oktober 2017 in Kanada kommentierte der kanadische Kolumnist John Ibbitson in The Globe and Mail, dass »die Amerikaner für die Giftigkeit, die sie in die Gespräche brachten, des Mordes angeklagt werden sollten«. Auch in den USA selbst wurde das Verhalten der US-Delegation kritisiert. Manche Republikaner fürchteten einen Angriff auf den Freihandel und damit Einbußen für die US-Wirtschaft. John Murphy, der stellvertretende Vorsitzende der US-Handelskammer, ­kritisierte, dass »einige Vorschläge der Vereinigten Staaten wenig oder gar ­keine Unterstützung von Seiten der US-Wirtschafts- und der Landwirtschaftsvertreter haben«.

Auch im ersten Halbjahr 2018 wurden keine wesentlichen Fortschritte, geschweige denn Einigungen bekannt. Dann kündigten Mexiko und die USA an, ab Juni Gespräche unter Ausschluss Kanadas zu führen. Das bevorstehende Ende der Amtszeit des mexikanischen Präsidenten Enrique Peña Nieto am 30. November sowie die am 6. November stattfindenden Zwischenwahlen in den USA schienen die Beteiligten unter Druck zu setzen. Um die vorgesehene 60tägige Revisionszeit von Verträgen und Gesetzesvorhaben für die mexi­kanische Justiz und den US-Kongress noch vor den anstehenden beziehungsweise möglichen politischen Veränderungen einhalten zu können, galt der 30. September nun als Stichtag für eine Übereinkunft.

Nach fünf Wochen Verhandlungen gaben Mexiko und die USA am 27. August bekannt, eine Einigung erzielt zu haben. Im Oval Office stellte Trump das USMCA vor. Es handelt sich letztlich um eine leichte Modifizierung von Nafta, nicht um einen neu ausgearbeiteten Vertrag. Gut 95 Prozent des Vertragswerks bleiben gänzlich unberührt, darunter die Kernparagraphen. Nafta hat seit Inkrafttreten zu einem Zusammenwachsen der nordamerikanischen Nationalökonomien geführt. Das Handelsvolumen der Mitgliedsstaaten ­untereinander hat sich in den vergangenen 24 Jahren vervierfacht. Die USA sind mit großem Abstand der wichtigste Handelspartner Kanadas und ­Mexikos und diese wiederum zählen mit der EU und China zu den wichtigsten der USA.

In einigen Bereichen sieht die Neuauflage des Abkommens jedoch wesentliche Neuerungen vor. Der Vertrag ­enthält nun eine Auslaufklausel. Seine Laufzeit ist auf 16 Jahre festgelegt. Alle sechs Jahre findet eine Revision durch alle Vertragspartner statt, nach der diese einer Verlängerung um weitere 16 Jahre zustimmen können. Die zum Teil harsch kritisierten Investorenschutzregelungen, die Unternehmen Klagen gegen ausländische Regierungen bei Gewinnausfall ermöglichen, wurden auf die Branchen Öl, Gas, Energie, Telekommunikation und Infrastruktur ­eingeschränkt. In Mexiko wurde dies als Durchsetzung der Interessen der US-amerikanischen Energiewirtschaft gewertet. Peña Nieto hatte während ­seiner Amtszeit die Telekommunikations- und Energiewirtschaft dereguliert und bei der Teilprivatisierung des staatlichen Ölkonzerns Pemex, des zweitgrößten Unternehmens Lateinamerikas, auf ausländische Investitionen gehofft.

Die meisten Neuerungen betreffen die Automobilindustrie. Bislang mussten 62,5 Prozent der Teile eines Kraftfahrzeugs in Nordamerika produziert werden, um im Nafta-Raum Zollfreiheit zu genießen. Dieser Wert wird auf 75 Prozent angehoben. Des Weiteren müssen mindestens 40 Prozent der Bestandteile von Arbeitern produziert werden, die mindestens 16 US-Dollar die Stunde verdienen. Dies dürfte die Produktionsvorteile in Nordmexiko weitgehend aufheben. Dort liegt der Durchschnittslohn bei 2,30 US-Dollar die Stunde, der mexikanische Mindestlohn beträgt umgerechnet vier US-Dollar pro Tag. In einem Anhang zu ­USMCA halten sich die USA vor, generell Einfuhrzölle auf Kfz und Kfz-Teile in Höhe von 25 Prozent zu erheben, Kanada und Mexiko erhalten in diesem Fall aber ein zollfreies Kontingent von 2,6 Millionen PKW pro Jahr. Pickup-Fahrzeuge aus den beiden Ländern sind völlig freigestellt, bei Autoteilen garantieren die USA Mexiko 108 Milliarden US-Dollar jährlich als zollfreie Exporte, Kanada 32,4 Milliarden.

In The Economist wird der Gesamtvertrag als »ökonomischer Logik widersprechend«  bewertet und die Situation als »Zwangsjacke für die mexikanische Automobilindustrie« bezeichnet. Die Neuerungen richten sich wohl auch gegen asiatische und deutsche Autohersteller, die Nordmexiko als Montage­stätten für den US-amerikanischen Markt nutzen. Der Leiter des Außenwirtschaftsbereichs des Deutschen ­Industrie- und Handelskammertags, Volker Treier, kommentierte: »Das neue Abkommen verlangt höhere Wertschöpfungsanteile in Nordamerika, ­gerade im Automobilbereich, und geht damit zulasten globaler Wertschöpfungsketten und auch von Produktionsstandorten in Deutschland.«

Nach der Einigung mit Mexiko begannen die Gespräche zwischen Kanada und den USA. Nach harten Verhandlungen kamen die Beteiligten ­wenige Minuten vor Ablauf der Verhandlungsfrist zu einer Übereinkunft. Die kana­dische Regierung unter Premierminister Justin Trudeau stimmte den Neuaushandlungen zwischen Mexiko und den USA zu. Diese werden insbesondere die kanadische Automobilindustrie betreffen, die diejenige mit dem vierthöchsten Exportvolumen weltweit ist, noch vor der Mexikos. Des Weiteren wird die Lebensmittelindustrie der USA künftig erleichterten Zugang zum kanadischen Markt erhalten. Der Zollfreibetrag für kanadische Konsumenten wird von 20 auf 150 US-Dollar erhöht und die bislang hohe Besteuerung importierter Milchprodukte gesenkt. Für zu erwartende Verluste kanadischer Milchbauern verspricht die Regierung Ausgleichszahlungen. Kanada wiederum konnte sich in der Verlängerung der Urheberrechte kanadischer Künstler um 20 Jahre auf 70 Jahre bis nach dem Tod durchsetzen. Außerdem erreichte ­Kanada, dass die unabhängigen Schiedsgerichte für Handelsfragen nicht ab­geschafft werden. Dies hatten die USA gefordert.

Die Neuerungen richten sich wohl auch gegen asiatische und deutsche Autohersteller, die Nordmexiko als montagestätten für den US-amerikanischen markt nutzen.

Das neue Abkommen mit dem umständlichen Namen USMCA – um sich vom für die USA schmachvollen Vorgängervertrag abzuheben, so Trump – muss noch von den nationalen Parlamenten ratifiziert werden. Sollten die Demokraten die Zwischenwahlen gewinnen, könnten sie ihre Zustimmung verweigern. Auch die Zustimmung wirtschaftsliberaler Republikaner ist nicht gewiss. Aus Mexiko ist kein ­Widerstand zu erwarten. Der designierte linke Präsident Andrés Manuel López Obrador war früher ein Kritiker von Nafta. Durch einen Vertrauten war er jedoch bei den Verhandlungen ver­treten und nannte die Übereinkunft »eine Wohltat«.

Gewerkschaften und die politische Linke in den drei Ländern beurteilen die Einigung mehrheitlich relativ nüchtern: Sie stelle zumindest keine Verschlechterung des miserablen ­Status quo dar. Begrüßt wird, dass de facto ein hoher Mindestlohn für die mexikanische Automobilindustrie festgelegt wurde und dass Mexiko die ­Gewerkschaftsfreiheit im Land besser schützen will. Mexikos Gewerkschaften sind äußert zersplittert, viele von ­ihnen sind korporative, gelbe sowie Scheingewerkschaften, mit denen ­Arbeitgeber Tarifverträge abschließen und so indirekt gegen linke Gewerkschaften vorgehen. Jonathan Kissam von der Elektronikergewerkschaft UE aus den USA konstatiert: »Wir werden keinen guten Handelsvertrag haben, bis Arbeiter mehr politische Macht in allen drei Ländern haben.«