Die Dortmunder Polizei durchsuchte das Kulturzentrum Langer August

Keine Zeit zum Anklopfen

Im Juli durchsuchten Beamte des Landeskriminalamtes und der Bereitschaftspolizei das Kulturzentrum Langer August in Dortmund. Was anmutete wie eine Razzia gegen Terroristen, war eine Suche nach gestohlenen Daten.

­Gegen Abend fuhren Einsatzkräfte vor dem Kulturzentrum Langer August in der Dortmunder Nordstadt vor. Ihr Ziel war der Wissenschaftsladen im dritten Stock. Im Gepäck hatten sie einen Durch­suchungsbeschluss des Amtsgerichts Köln: Unbekannte hätten die IT-Systeme der französischen Firma Ingérop an­gegriffen und Daten des Projekts Cigéo, französischer Gefängnisse, der Straßenbahn in Barcelona und des Atomkraftwerks Fessenheim auf der Seite bure.systemausfall.org veröffentlicht; die Seite sei auf einem Server verortet ­worden, der im Wissenschaftsladen Dortmund betrieben wird. Bei Cigéo handelt es sich um ein umstrittenes im Enstehen begriffenes Endlager für atomaren Abfall. Nahe dem Ort Bure sollen die Abfälle in tiefen Gesteinsschichten gelagert werden. Dagegen protestieren Umweltschützer und Umweltschützerinnen.

Dass solche Daten nicht einfach im Internet landen sollen, dafür zeigte ­Petra Liebherr, Vorstandsmitglied des Dortmunder Wissenschaftsladens, Verständnis. Die einschüchternde Razzia, bei der Polizistinnen und Polizisten teils mit Maschinenpistolen bewaffnet waren, sorgte aber für Unverständnis. »Normal wäre ein Fax oder Anruf mit der Aufforderung zur Kooperation gewesen«, sagt sie. Stattdessen wurden mehrere Türen zerstört und neben Servern auch Aktenordner sichergestellt. Die Anwältin des Wissenschaftsladens, Sabrina Kimmeskamp, kritisierte ebenfalls die Unverhältnismäßigkeit des Einsatzes: »Da es keine Durchsuchung bei den Beschuldigten selbst ist, fordert man eigentlich eine freiwillige Herausgabe des Servers. Die Polizei hat aufgefahren, als würde man die unbekannten Täter selbst stellen wollen.«

Als Täter sieht Liebherr den Wissenschaftsladen nicht: »Der Wissenschaftsladen stellt nur die Infrastruktur. Wir wissen gar nicht, was auf den Servern drauf ist.« Das bestätigt auch die zuständige Staatsanwaltschaft Köln: »Bezüglich des verfahrensgegenständ­lichen Sachverhalts ist derzeit kein Anfangsverdacht strafrechtlich relevanter Handlungen gegen Verantwortliche des Wissenschaftsladens Dortmund begründet.« Auf ein milderes Mittel zur Sicherung des Servers wollten sich die Ermittlungsbehörden dennoch nicht einlassen. Die Staatsanwaltschaft verweist auf die Rechtmäßigkeit der Durchsuchung: »Den Maßnahmen lag ein gerichtlicher Durchsuchungs­beschluss des Amtsgerichts Köln zugrunde.«

Dennoch verärgerte die Durchsuchung die Betroffenen. Da die Beamten und Beamtinnen nicht darauf gewartet hätten, dass ihnen die betreffenden Räume geöffnet werden, sei ein Schaden von ungefähr 4 000 Euro entstanden, sagt Liebherr. Hauptkostenpunkt: eine Sicherheitstür im Wissenschaftsladen. Deshalb prüfe man nun zivilrechtliche Schritte. Auch die Tatsache, dass nicht nur Räume des Wissenschaftsladens durchsucht wurden, sondern auch alle anderen Räumlich­keiten und sogar Briefkästen, sorgt für Unverständnis. Liebherr zufolge wurden sogar die Dunstabzugshauben des Lokals im Erdgeschoss durchsucht. Ob und wie man dort Server betreiben können sollte, bleibt offen.

»Wir saßen mit Freundinnen und Freunden zusammen im ersten Stock des Langen August und haben ein ­Festival nachbesprochen, als wir laute Geräusche aus dem Treppenhaus hörten. Als jemand zur Tür gehen wollte, um nachzusehen, was da los ist, flog diese schon auf und Polizisten stürmten in voller Montur in den Raum. Sie brüllten, wir sollten von den Geräten weggehen, und wollten wissen, ob das der Wissenschaftsladen sei und ob hier Server seien«, erinnert sich Lisa*, eine Betroffene der Durchsuchung. »Im Nachhinein kann ich die Maßnahmen verstehen, aber damit hatten wir ja nichts zu tun und trotzdem gehören wir zu den Leidtragenden.« Einer Person aus ihrer Freundesgruppe wurde der Laptop weggenommen und als Beweismittel sichergestellt. Die betroffene Person konnte ihn nach wenigen Tagen beim LKA abholen. Dort wurde ihr auf Nachfrage auch eröffnet, dass ihre Gruppe nicht Ziel dieser Durchsuchung ­gewesen sei und auch keiner Straftat beschuldigt werde. »Ohne diese Auskunft hätten wir nicht gewusst, ob das Folgen für uns hätte. Am Abend der Durchsuchung selbst haben wir keine Auskünfte erhalten. Ich konnte in der Folge nicht mehr richtig schlafen oder essen«, berichtet Lisa. Eine Entschuldigung oder Erklärung der Ermittlungsbehörden hat sie nicht erhalten.

In einem Nebenraum kam es außerdem zu sogenannten Zufallsfunden. Hier wurden laut Protokoll zwei Kartons aufgrund des Verdachts eines Ver­stoßes gegen das Urheberrecht und des öffentlichen Aufrufs zu Straftaten ­sichergestellt. Und zwar von der Dortmunder Polizei.

Der Umstand, dass nicht nur die Räume des Wissenschaftsladens von der Durchsuchung betroffen waren, erscheint der Staatsanwaltschaft offenbar unproblematisch: »Die Maßnahmen erstreckten sich auf diejenigen Räumlichkeiten, bezüglich derer aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte Grund zu der Annahme bestand, dass sich dort relevante Beweismittel befinden könnten. Die Rechtmäßigkeit ist anlässlich der Beschwerden einzelner Betroffener im Anschluss durch das Landgericht Köln bestätigt worden.« Eine Beschwerde gegen die Sicherstellungen im ­Wissenschaftsladen wurde vom Gericht abgelehnt, ebenso wie eine Akteneinsicht.

Neue Erkenntnisse zu den Tätern gibt es auch über drei Monate nach der ­Razzia im Langen August nicht – obwohl das Landgericht Köln in der Ablehnung der Beschwerde gegen die Durchsuchung die Existenz eines »Gefährdungspotentials für die Allgemeinheit« behauptete. Die Staatsanwaltschaft Köln antwortete auf Nachfrage lediglich: »Das Verfahren richtet sich gegen Unbekannt.«

* Name von der Redaktion geändert.