Die solide Mehrheit im ­Repräsentantenhaus erweitert den Handlungsspielraum der Demokraten in den USA

Das Dilemma der Demokraten

Bei den Midterm-Wahlen haben die Demokraten eine solide Mehrheit im Repräsentantenhaus gewonnen. Aber ein demokratischer Kandidat für die Präsidentschaftswahlen 2020 zeichnet sich nicht ab.

Die US-amerikanischen Midterm-Wahlen am 6. November erbrachten ein geschichtsträchtiges Ergebnis. Dem »Center for American Women and Politics« an der Rutgers University in New Jersey zufolge werden in der nächsten Legislaturperiode von den 535 Sitzem im Kongress mindestens 125 mit Frauen besetzt sein, ein Rekord. Die überwältigende Mehrheit von ihnen sind Demokratinnen. Bei den Republikanern hingegen wurde in Nevada ein bereits verstorbener Bordellbesitzer, Dennis Hof, in das Parlament des Bundesstaats gewählt. Hof, der sich selbst als »Trump von Pahrump« bezeichnete, war bereits am 16. Oktober in seinem Bordell an einem Herzinfarkt verstorben, doch es war zu spät, seinen Namen von den Stimmzetteln zu entfernen. Der Wahlsieg des toten Bordellbesitzers wirft ein Schlaglicht auf das Problem der republikanischen Partei. Ihre Stammwähler vergreisen zusehends, die jüngeren Wählerinnen und Wähler tendieren zu den Demokraten.

Diese stellen im kommenden Jahr mindestens 102 weibliche Abgeordnete im Repräsentantenhaus, unter ihnen die gerade mal 29jährige Alexandria Ocasio-Cortez, eine »demokratische Sozialistin« aus der Bronx – sie ist die jüngste weibliche Kongressabgeordnete der US-amerikanischen Geschichte.

Die Demokraten können nun Vorladungen unter Strafandrohung ausstellen, Zeugen einbestellen und Dokumente einfordern.

Präsident Donald Trumps fremdenfeindliche Wahlkampfrhetorik wurde in vielen Wahlbezirken abgestraft. Mindestens 34 zusätzliche Sitze konnten die Demokraten im Repräsentantenhaus gewinnen, mit bislang 227 Sitzen (noch sind nicht alle Stimmen ausgezählt) haben sie eine komfortable Mehrheit in dem 435 Abgeordnete zählenden Unterhaus des Kongresses. Mit der von den Republikanern mitunter feurig beschworenen »Trump-Agenda« ist es damit höchstwahrscheinlich vorbei.

Die Republikaner scheint das nicht groß zu stören, ihr Augenmerk war stets auf den Senat gerichtet. Entsprechend gelassen zeigte sich der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell. »Die Bereiche legislativer Zusammenarbeit werden wohl eher begrenzt sein«, so McConnell in einer Stellungnahme, »daher bleibt uns im Senat mehr Zeit, weitere Richter zu nominieren.« Genau das ist seit Jahren das erklärte Ziel McConnells: die konservative Neuausrichtung des US-amerikanischen Rechtswesens. Strukturell genießen die Republikaner im Senat einen Vorteil. »Ich möchte alle daran erinnern, dass jeder Bundesstaat zwei Senatoren stellt und es sehr viele konservative Staaten gibt«, so McConnell in einem Radio-Interview vorige Woche. »Ich denke, das ist ein gutes Zeichen für die Zukunft der republikanischen Mehrheit im Senat.«

Die demokratischen Senatorinnen Claire McCaskill aus Missouri und Heidi Heitkamp aus North Dakota wurden abgewählt. Dem demokratischen Hoffnungsträger Beto O’Rourke gelang der erhoffte Sieg in Texas nicht. Obwohl er, wie die New York Times berichtete, einen gigantischen Betrag von 70 Millionen US-Dollar an Spendengeldern sammeln konnte, bekam er nur 48,3 Prozent der Wählerstimmen. Zwar hatten Umfragen zufolge viele konservative Wähler nur wenig Lust, den republikanischen Amtsinhaber Ted Cruz wiederzuwählen, aber O’Rourke schien ihnen keine Alternative. Seine eher linken Positionen waren im erzkonservativen Texas nicht populär genug.

In Florida sind die Ergebnisse der Wahlen für das Gouverneursamt und den Senatorenposten so knapp, dass nachgezählt werden muss. Bei der Senatswahl von Arizona konnte die Demokratin Kyrsten Sinema ihre republikanische Kontrahentin Martha McSally ausstechen. Wie hoch die republikanische Senatsmehrheit ausfallen wird, lässt sich aber noch nicht mit Sicherheit sagen.

Immerhin haben die Demokraten nun den Vorsitz in einigen entscheidenden Gremien – so zum Beispiel dem House Intelligence Committee, das die Aufsicht über die US-Geheimdienste hat. Vor allem haben die Demokraten nun die Möglichkeit, Vorladungen unter Strafandrohung auszustellen. Kurz: Sie können Donald Trump die kommenden zwei Jahre lang das Leben schwer machen, Zeugen vorladen und Dokumente einfordern. Das wird auch nötig sein. Denn weniger als 24 Stunden nach der Wahl feuerte ein sichtlich verunsicherter Trump seinen Justizminister und Generalstaatsanwalt Jeff Sessions, weil dieser ihn nicht vor Robert Muellers Russland-Ermittlung beschützt hat, und holte stattdessen dessen ehemaligen Stabschef, Matthew Whitaker, kommissarisch ins Amt. Dieser hat in diversen Fernsehauftritten und Radioshows im Sommer vergangenen Jahres nicht nur die Meinung vertreten hat, die Mueller-Ermittlung sei eine »Hexenjagd«, sondern auch vor laufenden Kameras erklärt, wie man sie aufhalten könne: Nicht etwa, indem man Mueller feuert, sondern indem man ihm die Mittel kürzt.

Mit der Ernennung Whitakers bewegt sich Präsident Trump in einer rechtlichen Grauzone, denn eigentlich muss der Senat den neuen Generalstaatsanwalt bestätigen; so steht es in der Verfassung. Der demokratische Repräsentantenhausabgeordnete Adam Schiff aus Los Angeles hat in einem Interview mit der NBC-Sendung »Meet the Press« am 11. November bereits gedroht, Whitaker werde dem Intelligence Committee »Rede und Antwort« stehen müssen, wenn er die Russland-Ermittlung behindere.

Mueller selbst hüllt sich wie immer in Schweigen. Die US-amerikanische Website Politico.com mutmaßt sogar, dass Mueller den Präsidenten bereits vorgeladen habe. Das ist zwar möglich, bleibt aber zunächst Spekulation. Ebenso gut ist es möglich, dass Trump überhaupt nicht aussagen wird. Sollte die Ermittlung von oberster Stelle behindert werden, könnte das demokratisch dominierte Repräsentantenhaus die Untersuchung übernehmen.

Für die Demokraten tut sich damit ein Dilemma auf: Einerseits will eine rastlose Linke die Skandale und Skandälchen der Regierung Trump nicht auf sich beruhen lassen. Andererseits dürfen die neu gewonnenen Wähler nicht vor den Kopf gestoßen werden, und diese kommen in erster Linie aus den konservativ geprägten Vorstädten im ganzen Land. Dem Präsidenten ständig nachzustellen oder gar eine Amtsenthebung anzustreben, sähen da nicht gut aus. Die Demokraten haben bereits den Blick auf die Wahlen von 2020 gerichtet. Die derzeitigen Prognosen sind eher ernüchternd. In wichtigen swing states, Staaten mit wechselnder politischer Mehrheit, wie Florida und Ohio, konnten die Demokraten nicht merklich zulegen. Und einige der großen demokratischen Hoffnungsträger für 2020 sind bei den Midterm-Wahlen gestrauchelt. In Georgia kämpft Stacey Abrams, ein ehemaliger Shootingstar der Partei, auf dem Rechtsweg um ihre Karriere, nur 25 000 Stimmen trennen sie von dem Republikaner Jack Kemp und dem Gouverneurs­amt.

In Florida sieht es ähnlich aus, der einst hochgelobte Andrew Gillum ist mit einem recount konfrontiert, einer erneuten Auszählung bei einem sehr knappen Ergebnis, ähnlich wie Al Gore im Jahr 2000. Beto O’Rourke wird un­geachtet seiner Niederlage von linken Aktivisten als Präsidentschaftskandidat gehypt. Andere Stars der Partei, beispielsweise Elizabeth Warren, müssen erst noch beweisen, dass sie eine robuste Koalition unterschiedlicher Wählergruppen zusammenbringen können. Denn der Weg ins Weiße Haus führt eben auch über konservativ geprägte swing states – und hier hat sich seit 2016 nur wenig verändert.

Zu den großen Gewinnern der Wahlnacht 2018 zählen daher vor allem die eher unscheinbaren Demokratinnen und Demokraten aus dem Mittleren Westen: beispielsweise die Senatorin Amy Klobuchar aus Minnesota, die mit 60 Prozent der Stimmen wiedergewählt wurde, oder Senator Sherrod Brown aus Ohio, dem seine Wiederwahl mit 53,2 Prozent gelang. Bislang trat die Unentschiedenheit der Demokraten – zwischen neoliberalem Pragmatismus und »demokratischem Sozialismus« – wegen der Antipathie gegen Trump in den Hintergrund. Aber nun, wo sie die Mehrheit im Repräsentantenhaus haben, könnte sich das schnell ändern. Noch ist bei den Demokraten niemand erkennbar, der auch auf den Republikanern zuneigende Wähler wirkt. Die Fronten auf bei­den Seiten haben sich verhärtet, immer weniger Wähler wechseln das Lager. So stimmte man im 36. Wahlkreis von Nevada eben lieber für einen Toten als für einen Demokraten.