Die Ermittlungen in der Cum-­Ex-Affäre kommen für Friedrich Merz ungelegen

Der Kandidat und die Krake

Die deutschen Behörden ermitteln zurzeit wegen sogenannter Cum-Ex-Geschäfte gegen Finanzunternehmen. Der Skandal um erschlichene Steuerrückerstattungen kommt für Friedrich Merz, der für den CDU-­Parteivorsitz kandidieren will, äußerst ungelegen.

»Razzia wegen Cum-Ex-Geschäften« – das ist sicher nicht die Schlagzeile, mit der jemand in Verbindung gebracht werden will, der den Parteivorsitz der CDU anstrebt. Doch Friedrich Merz ­befindet sich zurzeit in dieser Lage: Vergangene Woche durchsuchte die Polizei Büros der Investmentfirma Blackrock, bei der der Mann mit den großen parteipolitischen Ambitionen seit 2016 im Aufsichtsrat sitzt. Weswegen sie ermittelt, teilte die Staatsanwaltschaft bislang nicht mit. Das Unternehmen selbst gab an, dass es um »Cum-Ex-Transaktionen im Zeitraum 2007 bis 2011« gehe.

Bei sogenannten Cum-Ex-Geschäften handelt es sich um ausgeklügelte Steuertricks, mit denen in den vergangenen Jahren zahlreiche Investoren und Banken Milliardenbeträge verdienten. Dabei werden große Aktienpakete hin und her transferiert, um sich Kapitalertragsteuern erstatten zu lassen, die man gar nicht bezahlt hat. Cum-Cum-Geschäfte funktionieren ähnlich, basieren aber vor allem darauf, dass ausländische Investoren kurzzeitig Aktienpakete nach Deutschland transferieren, um hierzulande Steuerrückerstattungen zu erhalten. Dem Bundesfinanzministerium zu­folge entgingen dem deutschen Staat dadurch etwa fünf Milliarden Euro an Steuern. Eine Recherche verschiedener deutscher und internationaler Medien kam jedoch zu dem Ergebnis, dass in über zehn europäischen Staaten ein Schaden von insgesamt 55 Milliarden Euro entstanden sei, davon 31,8 Milliarden in Deutschland. Vieles weist darauf hin, dass der deutsche Staat zu spät und zu zögerlich reagierte, um die verschiedenen Steuerschlupflöcher zu schließen. Auch sollen die deutschen Behörden andere europäische Staaten nicht rechtzeitig gewarnt haben.

Blackrock gilt als zu mächtig, zu amerikanisch – und schürt Angst, im inter­nationalen Wettbewerb zu kurz zu kommen, weil Ausländer sich an der deutschen Wirtschaft vergreifen.

Gerhard Schick, der finanzpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfrak­tion und Vorsitzender des Cum-Ex-Untersuchungsausschusses, kritisierte in einer aktuellen Stunde des Bundestags in der vergangenen Woche nicht nur die Bundesregierung, sondern auch Merz persönlich. In einem offenen Brief forderte er diesen auf, Auskunft über berufliche Tätigkeiten zu geben, bei denen er möglicherweise mit Cum-Ex-Geschäften in Berührung gekommen sei. So ist Merz seit 2005 in der Düsseldorfer Niederlassung der US-amerikanischen Anwaltskanzlei Mayer Brown tätig, diese wirbt Schick zufolge »um Kunden, die in der Vergangenheit solche Geschäfte gemacht haben«. Auch gegen die Düsseldorfer Privatbank HSBC Trinkaus & Burkhardt AG, bei der Merz seit 2010 im Aufsichtsrat sitzt, ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Cum-Ex-Geschäften.

Die Ermittlungen gegen Blackrock sind da vergleichsweise harmlos. Der Süddeutschen Zeitung zufolge sind »keine Beschäftigten von Blackrock verdächtigt, bei Cum-Ex mitgemacht zu haben«. Auch Merz persönlich wird bisher nichts vorgeworfen. Dennoch sagte Gerhard Schick der Taz: »Selbst wenn Blackrock und jeder der Blackrock-Mitarbeiter den Buchstaben des Gesetzes millimetergenau eingehalten haben sollten, steht dieser Investmentfonds für eine gigantische Zusammenballung finanzieller Macht, die schon wegen ihrer Größe politisch relevant ist.«

Blackrock wurde 1988 vom amerikanischen Investmentbanker Larry Fink gegründet und ist heutzutage einer der größten Vermögensverwalter der Welt. Die Firma verwaltet 6,3 Billionen Dollar Anlagekapital und ist an mehr als 17 000 Unternehmen beteiligt. Bei nahezu allen großen Konzernen Europas und der USA ist Blackrock einflussreicher Aktionär.

Das Unternehmen entspricht nicht dem Klischee der »Wall-Street-Zockerbude«, denn es konzentriert sich vor allem auf risikoarme Anlagen. Es kam beim Bankencrash 2008 glimpflich davon – und mit der Krise schlug die große Stunde für Blackrock: Als Experten für die Analyse großer Investmentportfolios wurden Mitarbeiter der Firma von großen Banken wie JP Morgan oder UBS angeheuert, die auf riesigen Mengen an minderwertigen bis wertlosen Wertpapieren saßen. Die US-amerikanische Notenbank Federal Reserve Board beauftragte Blackrock damit, den Vermögenswert der bankrotten Bank Bear Stearns zu analysieren und bis zu deren Verkauf zu verwalten. Bei der Konsolidierung der griechischen Privatbanken erhielt Blackrock 2012 ein lukratives Beratungsmandat von der Europäischen Zentralbank.

 

Vor allem aber konnte Blackrock im Zuge der Krise zu niedrigen Preisen Unternehmensteile von Konkurrenten erwerben, die dringend Geld brauchten. So kaufte Blackrock 2009 die Unternehmensverwaltungssparte der britischen Bank Barclays. Dazu gehörte das Unternehmen I-Shares, der Weltmarktführer für passiv gemanagte Indexfonds. Das sind Aktienfonds, die versuchen, Aktienindizes wie etwa den Dax in ihrem Portfolio möglichst genau abzubilden. Anders als ein hochbezahlter Fondsmanager, der versucht, besonders erfolgversprechende Aktien auszusuchen, kauft ein Indexfonds einfach Anteile an allen Dax-Unternehmen.

Das ist billiger, sicherer und sogar meistens erfolgreicher als die Vorgehensweise bei individuell gemanagten Aktienfonds. Durch den Erwerb von I-Shares ist Blackrock seit 2009 an allen großen deutschen Konzernen beteiligt und wurde zum größten Aktionär der deutschen Wirtschaft.

Um I-Shares geht es vermutlich bei den Cum-Ex-Ermittlungen. Zum einen hatte Barclays mit I-Shares erwiesenermaßen Cum-Ex-Geschäfte betrieben, Blackrock könnte sich also juris­tische Altlasten eingekauft haben. Außerdem könnten durch I-Shares aus­gegebene oder verliehene Indexfonds von anderen für Cum-Ex-Geschäfte ­genutzt worden sein. Blackrock wird auch aus anderen Gründen kritisiert: Ein häufig erhobener Vorwurf lautet, es nutze seine enorme Finanzmacht, um den Wettbewerb auszuhebeln und politische Macht auszuüben. Blackrock ist inzwischen bei allen 30 Dax-Konzernen jeweils einer der drei größten Aktionäre. Der Tagesspiegel schrieb, wer eine Erklärung dafür suche, dass gegen diese Eigentumskonzentration nichts unternommen werde, treffe »auf ein erstaunliches Phänomen«: »Blackrock ist selbst eine politische Macht. Die Arme der Geldkrake reichen bis in die Regierungen.«

Tatsächlich stellt Blackrock oft ehemalige Politiker ein, um eine bessere Verbindung zu Regierungen herzustellen. Als Merz im Frühjahr 2016 in den Aufsichtsrat von Blackrock ging, schrieb die Firma, er solle eine »weiter gefasste Beraterrolle einnehmen, in der er die Beziehungen mit wesentlichen Kunden, Regulierern und Regulierungsbehörden in Deutschland für Blackrock fördern wird«.

Merz selbst sieht die Vorwürfe, er sei ein Lobbyist des Unternehmens, bisher gelassen. Er verteidigt Blackrock, die Firma sei »kein Private-Equity, keine Heuschrecke« – womit Investment­unternehmen gemeint sind, die angeschlagene Firmen aufkaufen, sie umfassend sanieren, was meist zu vielen Entlassungen führt, und mit Gewinn verkaufen. Tatsächlich tritt Blackrock als Aktionär in den Dax-Unternehmen eher passiv auf. Weil Blackrock vor allem Indexfonds betreibt, hat die Firma langfristige Interessen. Der Vermögensverwalter Blackrock dürfte versuchen, darauf zu achten, dass die Unternehmen, in die er investiert, langfristig profitabel bleiben. Im Kapitalismus ist das kein Skandal.

Dass die Verbindung zu Blackrock Merz dennoch belasten könnte, obwohl er seine dortige Tätigkeit erst nach der Zeit der fraglichen Cum-Ex-Geschäfte aufnahm, lässt sich vielleicht mit der besonderen Rolle erklären, die solche und ähnliche Unternehmen in der öffentlichen Diskussion in Deutschland spielen: Blackrock gilt als zu groß, zu mächtig, zu amerikanisch, zu sehr »Finanzkapital« – und schürt die Angst, im internationalen Wettbewerb zu kurz zu kommen, weil eine ausländische Macht sich an der deutschen Wirtschaft vergreife. Ähnliche Ängste stecken hinter dem Bild von den »Heuschrecken«, von denen sich Merz distanzieren will. »Heuschrecke« ist ein mehr als unpassender Begriff, denn er verbreitet die Legende vom verantwortungslosen Finanzkapital, das allein aus Profitgier die produktive deutsche Wirtschaft ausplündere.

Eine ­Legende ist das nicht etwa, weil das Gegenteil wahr wäre – selbstverständlich arbeiten Finanzkonzerne allein profitorientiert und kennen keinerlei soziale Verpflichtung. Die Lüge besteht vielmehr darin, was als das Gegenteil der »Heuschrecke« gilt: der lokal verwurzelte deutsche Unternehmer, der sich seiner sozialen Verantwortung für seine Angestellten bewusst sei und nicht etwa für seinen Profit sorge, sondern für ehrliche Arbeit. Dabei sollte klar sein, dass das deutsche Kapital nie auch nur die geringste Hilfe von außen benötigte, um sich für Sozialabbau, verschärfte Prekarisierung und niedrigere Löhne starkzumachen.