Die sogenannten gilets jaunes protestieren in Frankreich gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise

Die gelbe Querfront

Hunderttausende beteiligten sich in ganz Frankreich an Verkehrs­blockaden gegen eine Erhöhung der Treibstoffpreise. Politiker von ganz rechts bis links unterstützen den Protest, ohne ihn zu organisieren.

Eine soziale Bewegung, die aus der Linken oder der Arbeiterbewegung stammte, würde wohl nicht gerade gelb als ihre Erkennungsfarbe auswählen. Die sogenannten gelben, unternehmerfreundlichen Gewerkschaften entstanden in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts in Frankreich – »gelb« wahrscheinlich, weil bei einem Arbeitskampf die Scheiben eines Versammlungslokals von Streikbrechern eingeworfen und dann mit gelbem Klebeband zugekleistert wurden. Ein paar Jahre lang bildeten die syndicats jaunes damals eine Massenbewegung mit ­nationalistischer und antisemitischer Grundierung und erlebten dann ihren Niedergang. Heutzutage gilt »gelb« allgemein als Schimpfwort in Gewerkschaftskreisen, als Synonym für Verräter oder Anpasser.

Gelbe Warnwesten oder gilets jaunes dienen jedoch derzeit einer Protest­bewegung als Erkennungsmerkmal, die in Frankreich starken Zulauf erhielt und am Wochenende an über 2 000 Orten Verkehrsblockaden und Spontankundgebungen abhielt. Anlass für den Unmut der Teilnehmenden ist die angekündigte Erhöhung der Besteuerung von Benzin und Diesel, die in Frankreich zwischen 2019 und 2023 schrittweise erfolgen soll. Im kommenden Jahr geht es um drei Cent pro Liter Besteuerung mehr auf Benzin und sechs Cent für Diesel, in vier Jahren sollen es zehn Cent mehr für Benzin und 19 Cent für Diesel werden. Dadurch soll der Ausstieg aus dem ökologisch besonders schädlichen Dieselverkehr gefördert werden. Nach ersten Unmutsbekundungen in der Öffentlichkeit Anfang November kündigte die Regierung eine Art Abwrackprämie von bis zu 4 000 Euro an, die Autofahrern den Umstieg auf weniger umweltverschmutzende Fahrzeuge erleichtern soll.

Seit Anfang November ballt sich ein Protest zusammen, der zunächst weitgehend in den sozialen Medien Ausdruck fand. Dort stellten unzählige Personen ihre je eigenen Videos ein. Manch einer filmte sich dabei, wie er sich etwa am Steuer seines Fahrzeuges in Rage redet und darüber fabuliert, wie man die Regierung stürzen werde. Die höchsten Klickzahlen erhielten die Videos von zwei Frauen, Jacline Mouraud und Priscillia Ludosky, die berufliche Schwierigkeiten in den Vordergrund rücken. Jacline Mouraud ist freiberufliche Hypnosetheraupeutin und beschwert sich darüber, dass ihr der Weg zur Kundschaft erschwert werde.

Früh erklärte der rechtsextreme Rassemblement National (vormals Front National) seine Unterstützung für die Steuerproteste.

Ihre Klage über teurer werdende technische Fahrzeugkontrollen, Radaranlagen und neue Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Landstraßen seit dem 1. Juli – die Zahl der Verkehrstoten sinkt allerdings – wurde sechs Millionen Mal im Internet angeklickt. Seitdem verbreitete Mouraud erkennbare Fake News im Netz, etwa das Gerücht, die Regierung plane die Einführung eines zahlungspflichtigen Fahrzeugscheins für Fahrräder. In einem Video, das ihr Prominenz verschaffte, suggeriert sie, Präsident Emmanuel Macron möge auf teure Hobbys wie den Umbau des Swimmingpools in der Präsidentenresidenz in Bregançon – für die Sommerferien der Staatsoberhäupter bestimmt – verzichten, dann sei schon genügend Geld in den Staatskassen vorhanden. Auch andernorts betätigten sich in den vergangenen Wochen reichlich Profilneurotiker und politisierende Spinner als Protagonisten von Mobilisierungsvideos.

Keine Partei oder Bewegung trat als Organisatorin der Proteste auf. Schon früh erklärten jedoch der rechtsextreme Rassemblement National (RN, Nationale Sammlung, vormals Front National) sowie die mit ihm mal verbündete, mal konkurrierende rechtsnationalis­tische Kleinpartei Debout La France (DLF, Frankreich, stehe auf) ihre Unterstützung. Zu einem späteren Zeitpunkt signalisierten auch die stärkste konservative Oppositionspartei Les Républicains (LR) sowie die linksnationalistische Wahlbewegung La France insoumise (LFI, Das unbeugsame Frankreich) Sympathie. Sie unterstützten zwar nicht die Aufrufe der »Gelben Westen« zu Verkehrsblockaden am Wochenende. Politiker von LR, unter ihnen der Parteivorsitzende Laurent Wauquiez, begaben sich jedoch zu parallel stattfindenden Kundgebungen. LFI war stärker zerstritten; die Parlamentsabgeord­nete der Bewegung, Clémentine Autain, wandte sich etwa dagegen, einen rechtsdurchwirkten Protest zu unterstützen. Der Parteivorsitzende Jean-Luc Mélenchon und mehrere Abgeordnete von LFI wünschten hingegen den Protestierenden »Erfolg«. Mélenchon begab sich zu einer Kundgebung auf der Pariser Place de la Concorde, allerdings ohne eine gelbe Neonweste. LFI wirft der Regierung vor, Treibstoffsteuern zu erhöhen, ohne Formen von Mobilität jenseits des motorisierten Individualverkehrs zu fördern. Zu Recht wiesen LFI-Abgeordnete in Talkshows etwa darauf hin, die in diesem Jahr durchgesetzte Bahnreform in Frankreich zerschlage in vielen Regionen Formen umweltfreundlicher Mobilität, statt sie zu fördern. 9 000 Schienen­kilometer sollen eingespart werden.

Über 287 000 Menschen nahmen nach Angaben von Innenminister Christophe Castaner am Samstag an mehr als 2 000 Orten an Verkehrs­blockaden und Protestkundgebungen teil. Da die meisten von ihnen nicht vorab angekündigt worden waren – nur rund 100 wurden angemeldet –, kam es an vielen Stellen zu meist leichteren Unfällen mit mehr als 400 Verletzten. Im ostfranzösischen Pont-de-Beauvoisin starb eine 63jährige Protestteilnehmerin. Eine Mutter, die ihre kranke Tochter zum Arzt fahren wollte, war an einer Blockade in Panik geraten, als Teilnehmer auf die Motorhaube ihres PKW trommelten.

Alle französischen Gewerkschaften, von den linken Basisverbänden Sud über die CGT bis hin zur rechtssozialdemokratisch geleiteten CFDT, rieten explizit von einer Teilnahme ab. Ihnen zufolge ist es falsch, die Frage sozialer Verteilungsungerechtigkeit an einer einzelnen Frage auf der Ausgabenseite festzumachen.

Vielmehr müssten die Einkommensunterschiede in Frage gestellt werden, statt auf isolierte Weise eine Steuer zu attackieren.

Am Sonntag beteiligten sich knapp 50 000 Menschen an weiteren Blockaden, am Montag wurden einige Spritdepots blockiert. In den sozialen Medien kursiert ein Aufruf, am kommenden Samstag Paris zu blockieren, »zu Fuß, auf dem Pferd oder im Auto«.