Tories und Labour streiten über den »Brexit«-Vertragsentwurf

Rebellion gegen Theresa May

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Für die »Hard Brexit«-Fraktion der Konservativen Partei geht es nicht lediglich um die Unabhängigkeit von der EU. Wie Fintan O’Toole in der New York Review of Books betonte, interpretieren sie den Ausstiegsslogan »Take back control« (die Kontrolle wieder übernehmen) auf ihre ­eigene Weise. »Ihre Brexit-Phantasie ist eine von einem ›offenen‹ und ›globalen‹ Großbritannien, los­gelöst von EU-Richtlinien, das seine Umwelt-, Gesundheits-, und Arbeitsstandards senken und das neue, goldene Zeitalter eines ­räuberischen Hyper-Kapitalismus einläuten kann.« Und eigentlich gehe es ihnen auch gar nicht um das Vereinigte Königreich, sondern um England. Die Zukunft Nordirlands – immerhin könnten dort erneut Unruhen ausbrechen – kümmere diese Aussteiger herzlich wenig.

Aber die Tory-Hardliner sind nicht das einzige Problem von Theresa May. Der von ihr ausgehandelte Vertragsentwurf muss, voraussichtlich irgendwann im Dezember, das Parlament passieren. Auch die Abgordneten der Democratic Unionist Party (DUP), der ultrakonservativen unionistischen Partei Nordirlands, auf deren Stimmen die britische Regierung im Parlament angewiesen ist, wollen gegen den Vertrag stimmen. Die DUP befürwortet den Ausstieg und will die offene Grenze zwischen dem Norden und dem Süden der irischen Insel beibehalten, lehnt aber einen Sonderstatus Nordirlands nach dem EU-Ausstieg ab. Am Montag erfolgte ein erster Akt der Rebellion. Da verweigerten die DUP-Abgeordneten Theresa Mays Regierung in Abstimmungen über ein Finanzgesetz die Unterstützung, in der letzten votierten sie sogar zusammen mit Labour-Abgeordneten.

May versucht weiterhin, ihre Verhandlungsergebnisse zu verteidigen. Auf Druck einiger EU-Gegner im Kabinett will sie diese Woche allerdings erneut nach Brüssel reisen, um dort ei­nige Details des Vertrags erneut aufzurollen, insbesondere den kontroversen Punkt der Grenze zwischen Irland und Nordirland. Aber die EU-Unterhändler zeigen kein Interesse an Neuverhandlungen, mehr als kosmetische Änderungen in dem hart ausgehandelten Vertragsentwurf sind kaum möglich. Am Sonntag soll auf einem EU-Sondergipfel der Austrittsvertrag unter Dach und Fach gebracht werden.

Falls May hofft, dass Abgeordnete der Labour-Partei sich in der Abstimmung auf ihre Seite schlagen, muss sie mit einer Enttäuschung rechnen. Während einige Labour-Abgeordnete, deren Wahlkreise mehrheitlich für den Austritt votiert haben, dem Vertragsentwurf möglicherweise zustimmen, dürfte die Mehrheit der Partei ihn ablehnen. Obwohl der Parteivorsitzende Jeremy Corbyn und sein Schattenminister für den EU-Ausstieg, Keir Starmer, einen Ausstieg aus der EU ohne Vertrag für das größte Übel halten, wollen sie nicht dem zustimmen, was die konservative Regierung mit der EU ausgehandelt hat. Corbyn betonte, dass der Entwurf seine »sechs Prüfungen« nicht bestehe, aber er träumt von einem Ausstieg, bei dem »genau die gleichen Vorteile« wie bisher erhalten blieben. Corbyn bevorzugt Neuwahlen, denn seine Partei hätte gute Chancen, diese zu gewinnen. Seiner Ansicht nach hätte er dann das Mandat, neue Verhandlungen zu führen und den Ausstieg im Sinne Labours zu gestalten. Am Montag erklärte er vor dem britischen Unternehmerverband CBI: »Wir haben einen alternativen Plan für einen vernünftigen ›Jobs-first-Brexit‹.«

Umgehend widersprach ihm der Labour-Abgeordnete Owen Smith auf Twitter: »Wir sollten aufhören, das zu sagen. Es gibt keinen ›Jobs-first-Brexit‹ zu erlangen. In all seinen Formen wird der Brexit uns Arbeitsplätze, Wachstum und Möglichkeiten kosten. Wenn der Tory-Plan nicht durchkommt, sollten wir ein #Peoplesvote und eine Chance für das UK verlangen, unseren Einfluss in der EU wiederzuerlangen.« Große Teile der Labour-Partei würden ein neues Referendum bevorzugen, insbesondere seit im Oktober in London 700 000 Menschen für ein solches »People’s Vote« demonstrierten. Auch die Stimmung auf dem jüngsten Parteitag von Labour wies in diese Richtung.

Wie auch immer, die Aufmerksamkeit richtet sich nun auf die nächste Phase der politischen Krise um den EU-Ausstieg: Wird der Austrittsvertrag das britische Parlament passieren? Vereinfacht gesagt, hat das Parlament drei Optionen. Es kann für Mays Vertragsentwurf stimmen; es kann dagegen stimmen und einen »harten« EU-Austritt ohne Vertrag erlauben; oder es könnte versuchen, ein neues Referendum abzuhalten, das ein Verbleiben in der EU ermöglichen könnte. Die Labour-Partei und viele Abgeordnete der Tories haben erklärt, sie würden keinen »harten Brexit« ohne Vertrag erlauben. Wofür sie allerdings dann stimmen werden, steht in den Sternen.