Fußball unter Waffen
Sie kamen mit Rammböcken, Trennschleifern, Leitern, speziellen Schutzschilden und Maschinenpistolen.
Etwa 560 bestens ausgerüstete und schwer bewaffnete Polizeibeamte, darunter ein Spezialeinsatzkommando (SEK), durchsuchten in der vergangenen Woche in Berlin mehrere Wohnungen, eine davon in einem teilweise besetzten Haus in der Rigaer Straße. Wie einige von dessen Bewohnern angaben, kamen die SEK-Beamten über die Dächer der Nachbarhäuser und verschafften sich von dort aus Zugang zu dem Gebäude in der Rigaer Straße 94, über dem währenddessen ein Polizeihubschrauber kreiste.
Der Anlass für die martialisch ausgeführte Razzia liegt einige Monate zurück: Im Mai griffen mehrere Personen den Inhaber eines Spätverkaufskiosks in Kreuzberg an, der zuvor einer Frau ein Paket nicht ausgehändigt hatte, weil sie sich nicht ausweisen konnte. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung gegen sieben Verdächtige.
Die Berliner Innenbehörden setzen immer häufiger die Antiterroreinheit der Bundespolizei, BFE+, auf Demonstrationen ein, wie der Berliner Senat kürzlich auf Anfrage zugab.
Hakan Taş, der innenpolitische Sprecher der Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus, kritisierte den Polizeieinsatz: »Wenn da Kräfte mit Sturmgewehren in Häuser einrücken, stellt sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Wir sind nicht in einem Bürgerkriegsland.« Ein Polizeisprecher begründete das Vorgehen mit dem Hinweis auf die »besondere Gefahrenlage« angesichts früherer Auseinandersetzung mit Autonomen in der Rigaer Straße. Die Verhältnismäßigkeit erscheint jedoch tatsächlich fraglich, wenn man die Häufigkeit und Schwere des Delikts ins Verhältnis setzt: Im Jahr 2017 ermittelten die Berliner Behörden in ungefähr 10 000 Fällen wegen gefährlicher oder schwerer Körperverletzung. Regelmäßige Einsätze in solchen Angelegenheiten würden das SEK wohl sehr schnell überlasten. Der Anwalt eines Beschuldigten sagte dem Tagesspiegel: »Die Großrazzia wirkt wie eine Inszenierung der Innenbehörde. Der Einsatz des SEK und das Gerede von möglicher Untersuchungshaft dienen nur dazu, der Öffentlichkeit zu suggerieren, die Beschuldigten seien gefährlich.« Für gute Bilder sorgte die Polizei mit der Razzia in jedem Fall: Die Hauptstadtpresse war über den Einsatz informiert und durfte live um 6 Uhr morgens dabei sein, als die Türen in der Rigaer Straße 96 aufgebrochen wurden.
Die Razzia in Berlin war nicht der erste Anlass in jüngster Zeit, bei dem der Einsatz eines SEK fragwürdig schien. Vor dem Spiel von Dynamo Dresden in Köln am 10. November kündigte die Kölner Polizei neben dem Einsatz von Wasserwerfern, Pferden und Hunden an, das SEK aufzubieten, um einen geplanten »Fanmarsch« zum Stadion zu unterbinden. Nach Angaben der Verantwortlichen von Dynamo Dresden hatten die Kölner Behörden allerdings bereits in den Wochen zuvor einen »Fanmarsch« offiziell untersagt, weshalb die Dresdner Anhänger überhaupt nichts dergleichen geplant hatten. So wirkte die Behauptung der Polizei wie der Versuch, eine Drohkulisse aufzubauen, um den Einsatz des SEK zu rechtfertigen. Zu einem »Fanmarsch« kam es am Spieltag nicht, im Lauf der Partie wurde das SEK dennoch im Stadionbereich der Gästefans aufgestellt, obwohl genug reguläre Beamte an Ort und Stelle waren.