Marokko ist kein »sicheres ­Herkunftsland« für LGBTI

Mit Sicherheit verfolgt

Immer wieder gibt es Versuche, Marokko als »sicheres Herkunftsland« zu deklarieren. Homo- und Transphobie sind dort allerdings nicht nur weitverbreitet, sondern auch gesetzlich legitimiert.

Es ist noch nicht sicher. 2016 scheiterte ein erster Versuch der Bundesregierung, einige Maghreb-Staaten als »sichere Herkunftsländer« einzustufen; Anfang dieses Jahres und erneut im Oktober hatte die FDP erfolglos einen ähnlichen Gesetzentwurf eingebracht. Am 8. November 2018 mussten nun auch SPD und Union mit einem eigenen Gesetzentwurf in erster Lesung im Bundestag Kritik einstecken. Wegen der Beteiligung der Grünen und der Linken in den Landesregierungen ist die Aussicht auf Erfolg der Gesetzesvor­lage vor allem im Bundesrat begrenzt. Denn in beiden Parteien ist man nicht davon überzeugt, dass Sicherheit und Freiheit der Bevölkerung in den jewei­ligen Staaten garantiert sind. Insbesondere die Grünen hegen Zweifel daran, dass die Verkürzung von Asylverfahren von Menschen aus den »sicheren Herkunftsländern« tatsächlich zu verbesserten Abläufen der Verfahrensbürokratie führe. Außerdem würde ein Status als »sicheres Herkunftsland« nicht dazu führen, dass abgelehnte Asylsuchende einfacher oder schneller abgeschoben werden können – etwas, womit die Koalitionsparteien stellenweise argumentieren und das parteiübergreifend angestrebt wird.

»Wir sind wie ein dunkler Fleck in Marokko und zu unserer eigenen Sicherheit werden wir das vorerst auch bleiben.«
Mourad Laith*, LGBTI-Gruppe Akaliyat

Selbst wenn die Erweiterung der Liste der »sicheren Herkunftsländer« um die Maghreb-Staaten und Georgien durch die gesetzgebenden Instanzen käme, bliebe die Frage, ob das nicht rechtswidrig ist. So hatte Pro Asyl bereits Ende September darauf hingewiesen, dass eine entsprechende Einstufung dieser Länder den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts widerspricht. In ­einem maßgeblichen Beschluss zur ­Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten vom 14. Mai 1996 hatte dieses ­festgehalten, dass die Sicherheit vor Verfolgung »landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen bestehen« müsse. Für die vier Länder, um die es geht, bedarf es nicht viel Aufwand, um Informationen über die gefährdete Lage von lesbischen, schwulen, bi-, trans- und intersexuellen Per­sonen (LGBTI), also einer sehr vulnerablen Bevölkerungsgruppe, zu bekommen.

Anders als in Georgien gelten »gleichgeschlechtliche Handlungen« in den drei Maghreb-Staaten explizit als Straftatbestand und werden mit Geld- und Freiheitsstrafen geahndet. In der Bundesregierung scheint man dennoch keine Probleme zu sehen. Der CSU-Politiker Stephan Mayer, parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, ist gar davon überzeugt, dass es in diesen Ländern »keine strukturelle Gruppenverfolgung von Homosexuellen gibt«, wie er in der Bundestagsdebatte äußerte. Überdies sei es ein »wichtiges politisches Signal«, die Einstufung vorzunehmen, besonders weil diese »Länder selbst den Wunsch geäußert haben, als sicheres Herkunftsland eingestuft zu werden«. Dabei sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass Deutschland Ende Oktober ankündigte, die Zusammenarbeit mit Marokko als »Reformpartner« im Rahmen der G20-Strategie »Compact with Africa« zu vertiefen, um so deutsche Investitionen im Land zu vereinfachen.

Das »wichtige politische Signal« wird man in Marokko sicher verstehen. So wie es Mustapha Ramid, der marokkanische Minister für Menschenrechte, im Herbst 2017 verstand, Homosexuelle als Abschaum und Müll zu bezeichnen und seine Wortwahl damit zu legitimieren, dass Homosexualität in Marokko nun einmal illegal sei und seine Bemerkungen nicht an europäischen Standards gemessen werden sollten. Zwei Jahre zuvor hatte er als Justizminister noch verlauten lassen, dass Homosexuelle doch eine »Geschlechtsumwandlung« machen sollten, wenn sie das Gesetz nicht brechen wollen.

Das betreffende Gesetz ist der Paragraph 489 des Strafgesetzbuchs. Darin steht, eine »unzüchtige oder wider­natürliche Handlung mit einer Person gleichen Geschlechts« könne mit einer Haftstrafe von sechs Monaten bis zu drei Jahren sowie Geldstrafen belegt werden. Dabei sei die drohende staatliche Sanktion nicht unbedingt das größte Problem, mit dem sich LGBTI konfrontiert sähen, sagt Mourad Laith*. Der Transmann ist Mitbegründer der marokkanischen LGBTI-Gruppe Akaliyat und bei der Plattform »Dynamique Trans« aktiv.

Seiner Meinung nach ist es vielmehr der sich wechselseitig ergänzende Druck von Staat, Gesellschaft und Familie, der für die Betroffenen zu einer permanenten Herausforderung im Alltag geworden ist: »Ihre nächste soziale Umwelt lehnt sie ab, im öffentlichen Raum besteht die Gefahr der ­Gewalt durch Selbstjustiz der Bevölkerung oder das Outing in sozialen Netzwerken durch Mitmenschen.« Die Angst vor Repressalien und Sanktionen führt zu einem Leben in Heimlichkeit, das auch bedeuten kann, jegliche Form der Diskriminierung unwidersprochen zu ertragen, weil die Angst vor einer Anzeige und Festnahme zu groß ist. In jüngster Zeit wurden international kaum aufsehenerregende Fälle von Gewalt gegen LGBTI in Marokko bekannt. Laith zufolge hat dies jedoch viel damit zu tun, dass sich die »Community« diskreter verhalte, sich vorsichtig austausche. Und wenn etwas passiere, halte man sich bedeckt. Es entsteht ein verheerender Kreislauf: Der Staat legi­timiert das Verhalten der Bevölkerung, während die Szene sich immer mehr klandestin organisiert.

Am 1. Dezember ist Welt-Aids-Tag, traditionell auch ein wichtiger Tag für LGBTI-Gruppen. In Marokko arbeiten einige in Vorbereitung auf den Tag zwar mit der nichtstaatlichen HIV-Beratungsstelle ALCS zusammen, aber außerhalb des szeneinternen Kommunikationsnetzwerks wird man nichts von den kostenlosen Versorgungsangeboten erfahren. Das »politische Signal« wird auch in der LGBTI-Community wahrgenommen. Auf die Debatte in Deutschland angesprochen, äußert Laith Unverständnis: »Wie kann ein derart entwickeltes Land unser Land als ­sicher ansehen? Der Staat und die Bevölkerung spielen sich gegenseitig in die Hände. Wir sind wie ein dunkler Fleck in Marokko und zu unserer eigenen Sicherheit werden wir das vorerst auch bleiben.«

 

* Name von der Redaktion geändert.