Das Medium - Der Osten kam nur im Fernsehen vor

Am Arsch der Osten

Kolumne Von

Dass es da irgendwo ziemlich weit entfernt ein geheimnisvolles Land mit dem mysteriösen Namen DDR gab, das war uns Kindern, die wir im westlichsten Westen der Bundesrepublik aufwuchsen, zwar immer klar, aber interessieren tat es uns nicht. Wir hatten mit den Niederlanden und Belgien und auch Frankreich schon genug interessante Länder um uns herum, zudem war die Erklärung der Erwachsenen, dass diese DDR zwar auch mal zu Deutschland gehörte, das aber zur Strafe für die Nazi-Verbrechen geteilt worden war, einleuchtend. Ansonsten kam diese DDR nur im Fernsehen vor, und sie sah ziemlich unglamourös aus, was aber nichts war gegen die Zeitungen, die mein Vater später ­irgendwann mitbrachte, nachdem er dorthin aufgebrochen war, um Teile des Familienschmucks herauszuschmuggeln, der aus völlig unklaren Gründen von einer alten, sicher nicht mehr lange lebenden Frau aufbewahrt wurde. In diesen Zeitungen waren seitenlange Berichte über Ereignisse, die nur mäßig interessant waren, und das sogar für eine Jugendliche, deren schon erwachsene Freunde die UZ abonniert hatten und die als Buchstabenjunkie bei Besuchen in dem ansonsten weitgehend bücher- und zeitschriftenlosen Haushalt darauf angewiesen war, die neuesten Verlautbarungen des DKP-Organs zu lesen. Dass der Sozialismus keine Chance haben würde, wenn er die Leute weiterhin totlangweilen und in scheußliche Klamotten hüllen würde, war nach nur wenigen Minuten DDR-Zeitungslektüre jedenfalls klar. So kam es dann auch, übrigens unter bemerkenswert geringer Anteilnahme der Bevölkerung dort im westlichsten Westen, wo ein ansonsten eher christdemokratischer Nachbar schon im Herbst ’89 sein Autoradio weithin hörbar anschrie: »Der Osten, der Osten, leck mich doch am Arsch mit der Osten! Und mit der Wiedervereinigung auch!«