Ein Besuch in Athen am 10. Jahrestag des Mordes an Alexandros Grigoropoulos

Brennende Wut

Seite 2 – Hinterher aufräumen
Reportage Von


Bis spät in die Nacht erschüttern wei­tere Explosionen von Molotow-Cocktails und zu Brandbomben umgebauten Campinggaskochern das Viertel. Vom auf einem Hügel in der Nähe gelegenen Park Lofos Strefi aus beobachten einige wenige das Spektakel. Die idyllische Ruhe des kleinen Bergs hinter Exarchia wird ab und an vom Aufleuchten der Häuser und dem tiefen Knall von Explosionen durchbrochen. Feuerwehr und Polizei versuchen vergeblich, Brände auf den Straßen des Viertels zu löschen. Schläuche reißen auf dem von Glasscherben übersäten Boden. Als die Situation sich etwas beruhigt und die Po­lizei sich langsam Block für Block aus Exarchia zurückzieht, stehen noch Hunderte Menschen auf den Dächern.

Die Situation in Athen und ganz Griechenland ist verfahren. Um die Polizeigewalt zu beenden, wäre ein Umdenken im Innenministerium und im Polizeiapparat nötig. Das findet allerdings nicht statt.

Am martialischen Auftreten mancher Protestierender gibt es auch von Teilnehmenden selbst Kritik. Zu den Ausschreitungen sagt Vaggelis: »Mit Brandbomben an einen Ermordeten zu erinnern, finde ich persönlich nicht ganz richtig.« Er spart aber auch nicht mit Kritik an der Gegenseite: »Die Po­lizisten warten auf den Tag und feiern jede Verhaftung.«

In den zehn Jahren seit dem Mord an Alexandros Grigoropoulos hat die ­griechische Gesellschaft sich verändert. »Die Leute haben keine Kraft mehr. Wenn man Jahr für Jahr demonstriert und politische Konsequenzen ausbleiben, dann ist das mehr als nur eine große Enttäuschung«, meint Dimitris. ­Elisabeth fügt hinzu: »Der Charakter der Demonstrationen wandelt sich. Damals gingen wir auf die Straße, um etwas zu verändern, heute ist es eher ein Ausdruck der allgemeinen Einstellung zur Exekutive.«

Gedenkstein Alexis

Es geht auch ruhiger. Am Gedenkstein für Alexandros Grigoropoulos

Bild:
Michael Trammer

Zehn Jahre nach dem Mord und einige Jahre nach der sogenannten Eurokrise hat sich die wirtschaftliche Situation nur wenig gebessert. Die Arbeitslosenquote beträgt 19 Prozent, viele Griechinnen und Griechen haben keine Perspektive. Auch dieses Jahr ist bei den Protesten die Wut der Jugend nicht nur über die Polizeigewalt, sondern auch über die sozialen Zustände zu spüren.

Im Viertel geht am nächsten Tag das Leben wie gewohnt weiter. In der Nacht löschten Anwohnerinnen und Anwohner Barrikaden und begannen mit kleineren Aufräumarbeiten. Auf der Platia Exarchion, dem Exarchia-Platz in der Mitte des Viertels, sitzen am Mittag viele Menschen und plaudern. Am Gedenkstein für Alexandros Grigaro­poulos stellt eine ältere Dame weiße Rosen auf.

Die Situation in Athen und ganz Griechenland ist verfahren. Um die Polizeigewalt zu beenden, wäre ein Umdenken im Innenministerium und im Polizeiapparat nötig. Das findet allerdings nicht statt. »Seit der Militärdiktatur und der darauffolgenden konser­vativen Regierung hat sich am Vorgehen der Polizei nicht genug verändert«, meint Dimitris.