Das Briefwahlergebnis in North Carolina gibt Rätsel auf

Der falsche Briefträger

Im US-amerikanischen Bundesstaat North Carolina wurden Brief­wahlstimmen manipuliert. Die Folge könnte eine Neuwahl in dem betroffenen Distrikt sein.

Es ist eine Geschichte wie aus einem Politthriller. Im Zentrum steht der Politikberater Leslie McCrae Dowless, der dem Republikaner Mark Harris aus dem Kongresswahlbezirk North Carolina 9 zu einem Sitz im Repräsentantenhaus in Washington, D. C., verhelfen sollte. Dort wurden am 3. Januar die Mitglieder des neu gebildeten Repräsentantenhauses vereidigt, einer der 435 Abgeord­neten fehlte jedoch: Harris. Er hatte den Wahlkreis im vergangenen Jahr mit nur 905 Stimmen Vorsprung gewonnen, ein Umstand, der von Journalisten zunächst einfach nur als knappes Wahlergebnis bezeichnet wurde.

North Carolina ist bekannt für seine Barbecues, seinen Protestantismus und seine Landwirtschaft. Der neunte Wahlbezirk des Bundesstaats besteht in erster Linie aus langen Highways, Wäldern und Farmen. Seit 1963 stellen die Republikaner dort den Kongress­abgeordneten. Normalerweise interessiert sich niemand in Washington für den ländlichen Wahlkreis südöstlich der Großstadt Charlotte. Das änderte sich Ende November, als die Wahlkommission des Bundesstaats sich weigerte, das amtliche Wahlergebnis für North Carolina 9 bekanntzugeben, eigentlich eine Routineangelegenheit. Es gebe Unregelmäßigkeiten, sagte Joshua Malcolm, Kommissionsmitglied und ­Demokrat, zunächst nur.

Sofort begannen Statistiker und Datenjournalisten, die Wahlergebnisse aus North Carolina 9 genauer zu untersuchen. Ihr Befund: Obwohl in allen anderen counties der Demokrat Dan McCready einen größeren Anteil der Briefwahlstimmen gewonnen habe, sei in zwei counties, Bladen und Robeson County, eine deutlich höhere Anzahl von Briefwahlstimmen für Harris ab­gegeben worden. Zudem hätten überdurchschnittlich viele als Demokraten registrierte Wähler per Briefwahl für Harris gestimmt. In den beiden Landkreisen sei zudem die Differenz zwischen beantragten und abgegebenen Briefwahlstimmen auffällig groß.

Lokalen Fernsehsendern sagten die überwiegend älteren betroffenen Wähler, in Häusern im Wald weit weg vom nächsten Briefkasten wohnen, wie diese Auffälligkeiten zustande gekommen sein könnten. Eine Frau sei eines Tages auf ihrer Veranda erschienen und habe gesagt, sie könne bei der Briefwahl helfen, erzählte eine Wählerin. In mehreren Fällen nahmen die vermeintlichen Wahlhelferinnen offenbar sogar un­verschlossene Umschläge entgegen. Sie könnten auch Wahlzettel selbst komplettiert haben, etwa wenn ein Wähler nur den Sheriff, nicht aber den Kandidaten für das Repräsentantenhaus gewählt hatte. Das ist laut Wahlgesetz verboten. Anwälte der Demokraten legten in den folgenden Tagen und ­Wochen eidesstattliche Erklärungen von mehreren Wählerinnen und ­Wählern vor.

Koordiniert hatte die Briefwahlaktion Leslie McCrae Dowless. Er hatte als ­unabhängiger Subunternehmer für die Beraterfirma Red Dome Group, die von Harris’ Kampagne angeheuert worden war, mindestens 428 000 US-Dollar für »Graswurzelarbeit« erhalten.

Dem Online-­Magazin Buzzfeed offenbarten einige der von McCrae Dowless angestellten ­Helferinnen Details ihrer Arbeit. McCrae Dowless hatte offenbar Menschen rekrutiert, die das Geld wirklich brauchten. Er kaufte seinen Helferinnen, darunter eine Hausfrau mit Geldproblemen und eine Drogensüchtige, auch ein Auto, wenn nötig. Der Mann, der bereits 1992 wegen Betrugs verurteilt worden war, besaß Aussagen zufolge bündelweise Bargeld. Er führte offenbar gewissenhaft Buch über die Briefwahlstimmen und ließ seine Helferinnen das Ausfüllen von Briefwahlstimmen bezeugen. Im Wahlgesetz des Bundesstaats ist vorgeschrieben, dass eine weitere Person, etwa ein Verwandter, die Abgabe einer Briefwahlstimme schriftlich bezeugen muss.

Das Wahlergebnis werde sich selbst bei einigen falschen Stimmen nicht ändern, verteidigten sich Harris und die Republikaner, die sonst oft Betrug zugunsten der Demokraten vermuten. Erst verlangten sie wütend, die Demokraten sollten das Ergebnis anerkennen, zeigten sich dann aber kurzzeitig sogar offen für eine Neuwahl.

Mit einigen falschen Briefwahlstimmen für Harris und der vermuteten Vernichtung von Briefwahlstimmen von Demokraten hätte das Ergebnis sehr wohl entscheidend manipuliert werden können, äußerten sich Politikwissenschaftler. Zudem sei das nicht nötig, das Wahlgesetz lasse eine Neuwahl zu, wann immer die Wahl kompromittiert sei.

Zeugen sagten aus, McCrae Dowless habe Hunderte Briefwahlstimmen ­besessen. Die Zahlen aus Bladen und Robeson County deuten auf Unregelmäßigkeiten hin, die eine Manipulation von über 900 Stimmen bedeuten könnten. Klare Beweise gibt es aber noch nicht.

Die Wahlkommission des Bundesstaates weigerte sich seither mehrmals, Harris zum Wahlsieger zu erklären, und leitete eine Untersuchung des Falls ein. Eine geplante Anhörung fiel aber aus, weil ein Gericht die Wahlkommission Ende Dezember aufgelöst hatte. Dahinter steckt ein auch vor Bundesgerichten geführter Streit über die Wahl­gesetzgebung zwischen North Carolinas 2016 gewähltem demokratischen Gouverneur Roy Cooper und der Mehrheit der Re­publikaner im Parlament des Bundesstaats. Die Republikaner hatten bereits Jahre zuvor mit ­ihrer Mehrheit per gerrymandering die Wahlkreise zugunsten der eigenen Partei so zugeschnitten, dass ­viele als Demokraten registrierte ­Wähler in einigen wenigen Wahlkreisen konzentriert ­waren. Das Ergebnis: Bei den Midtermwahlen 2018 erhielten die Demokraten im Bundesstaat zwar insgesamt 50 Prozent der Stimmen, aber nur 23 Prozent der Sitze.

Im neunten Wahlbezirk wird es vermutlich eine Neuwahl geben, zumal sich das nun demokratisch kontrollierte Repräsentantenhaus in Washington geweigert hat, Harris zu vereidigen. Wann die Nachwahl stattfindet und wie die Untersuchung des Falles weitergeht, ist unklar.