Die Sehnsucht nach dem Ernstfall

Viel ist derzeit die Rede davon, ob sich die deutsche Geschichte wiederholt, konkret, ob die gegenwärtigen Entwicklungen mit den Weimarer Verhältnissen vergleichbar sind. Das ist kein Alarmismus.
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Die erfolgreiche ARD-Serie »Babylon Berlin« schildert den Tanz auf dem Vulkan am Vorabend der großen Katastrophe – dem Zusammenbruch der Demokratie, der Machtübernahme durch extrem rechte Kräfte und allem, was an Verfolgung und Vernichtung folgte. Der Aufstieg der AfD und das globale Erstarken extrem rechter Kräfte wecken Assoziationen eines »neuen Weimars«. Ist das gerechtfertigt?

Eine Monitor-Sendung unter dem Titel »Babylon Berlin: Die Lehren von Weimar«, die am 25. Oktober vorigen Jahres ausgestrahlt wurde, erörterte diese Frage intensiv. Zu Wort kam dort auch der Münchner Historiker und Leiter des Instituts für Zeitgeschichte, Andreas Wirsching. Wirsching sah als eine verbindende Linie zwischen Weimar und Berlin die Denkfigur eines ethnisch-biologisch reinen Volkes – »diese Denkfigur ist wieder da. Ich würde sogar sagen, sie war nie ganz verschwunden in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. Sie war aber überwiegend ein intellektuelles und kein Massenphänomen.«

Mit Pegida, Chemnitz, der Gemeinsamen Erklärung 2018 und den bundesweiten Stimmgewinnen der AfD entsteht das gegenwärtige Bündnis von Elite und Mob. Nazischläger auf der Straße, eine Mischung aus »neurechten« Aufsteigerinnen und Aufsteiger und ehemaligen Rechtsaußen-CDUlerInnen, einige davon mit Adelstiteln, im Bundestag und millionenschwere Spender im Hintergrund vervollständigen das Bild, das einem so unbekannt tatsächlich nicht vorkommt.

Mit Pegida, Chemnitz, der Gemeinsamen Erklärung 2018 und den bundesweiten Stimmgewinnen der AfD entsteht das gegenwärtige Bündnis von Elite und Mob. Nazischläger auf der Straße, eine Mischung aus »neurechten« Aufsteigerinnen und Aufsteiger und ehemaligen Rechtsaußen-CDUlerInnen, einige davon mit Adelstiteln, im Bundestag und millionenschwere Spender im Hintergrund vervollständigen das Bild, das einem so unbekannt tatsächlich nicht vorkommt.

Zugleich sah Wirsching als einen Kontrapunkt zu Weimar, dass heute « in Deutschland Ämter und Mandate in den Händen von Demokraten«  seien, »die Schlüsselpositionen in Bund und Ländern, in Verwaltung und Justiz haben Fachleute inne, die sich der pluralistischen Demokratie mehr aus Überzeugung denn aus Pflicht verbunden wissen« , wie er in dem Band »Weimarer Verhältnisse?«  formulierte. Damit sprach der Historiker einen entscheidenden Faktor der »Weimarer Konstellation« an, in der die Demokratie eben nicht, wie es Anhänger der Extremismustheorie gern behaupten, zerrieben wurde zwischen rechts und links. Die gesellschaftlichen Eliten im Militär, in der Beamten – und Richterschaft, Wirtschaft und teilweise im Kulturbereich stützten oder verteidigten diese nicht nur nicht, sondern waren ihr gegenüber überwiegend feindlich gesonnen und bekämpften sie aktiv. Anhänger rechter Untergrundorganisationen begingen eine Vielzahl politischer Morde und unternahmen Putschversuche. Vor den Gerichten konnten sie, anders als Kommunisten, meist mit Milde und Verständnis wenn nicht gegenüber ihren Taten, dann zumindest gegenüber ihren Motiven rechnen. Massenpublikationen des extrem rechten Hugenberg-Medienkonzerns hetzten gegen die Republik und ihre Anhänger. Und das Militär genoss den offenen Ruf eines »Staates im Staate« . Es existierte also ein deutlich demokratiefeindliches Fundament der Gesellschaft.

Diese Rahmenbedingungen sind nicht auf die heutige Berliner Republik übertragbar. Ob es um die demokratische Überzeugung, Verfassungstreue und Loyalität bundesdeutscher Amtsträger dagegen so durchweg besser steht, wie Wirsching konstatierte, dagegen scheinen aktuell ebenfalls Zweifel angebracht zu sein. Man denke an die nahezu täglich neuen Meldungen unter dem Stichwort »NSU 2.0« über offenbar extrem rechte Polizisten in Hessen, die sich in eine lange Reihe von Skandalen über rechte Netzwerke, Positionen, Vertuschungen und Mordpläne einfügen. Die öffentliche Erregung darüber hält sich in Grenzen, die Erzählung von »Einzelfällen« dominiert weiterhin die Debatte.

Der Fall des Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen liefert ein bezeichnendes Beispiel für fragwürdige Demokratieauffassungen im Amt. Nicht erst dessen AfD-Beratungen, seine offenkundig auch einige Landesämter für Verfassungsschutz irritierende Zurückhaltung bei der Beobachtung der AfD,  seine »Korrekturbitten« an Medien sowie seine rechtsradikalen Verschwörungstheorien einer linken Videofälschung in Chemnitz und linksradikaler Kräfte in der SPD legen eine weit rechts stehende Gesinnung nahe. Schon der gesamte NSU-Komplex zeigte nicht nur die Arroganz und das Eigeninteresse bundesdeutscher Exekutivorgane gegenüber der Legislative, Kontrollinstanzen, Medien, Bürgerinnen und Bürger sowie verfassungsgemäßem Recht. Er zeigte auch, dass in den Behörden Staatsbedienstete arbeiten, die Mentalität, Ressentiments und Elemente der Ideologie der extremen Rechten teilen.

Jenseits des »Fall Maaßen« wurden in Sachsen im Sommer 2018 der LKA-Mitarbeiter mit Deutschland-Hut auf einer Pegida-Demo und dessen Kollegen im Einsatz bekannt, die Journalistinnen und Journalisten an ihrer Arbeit hinderten; zudem ein sächsischer Verfassungsschutzbeamter, der als AfD-Funktionär in Chemnitz mitmarschierte und von gleichgeschalteten Medien schwafelte. Ein BND- und Verfassungsschutz-Ausbilder, der rechtsextreme Positionen in einem Buch über eine bessere Grenzsicherung vertritt. Beamte des Berliner LKA, die sich SMS mit Codeformeln für »Heil Hitler!« zuschickten – und dafür nur einen Verweis erhielten. Zwei Beamte der Bundespolizei und ein Mitglied der Sicherheitswacht, die in Rosenheim den Hitlergruß zeigten und rassistische Parolen skandierten. Polizeibeamte, Richter, Staatsanwälte, Justizbeamte und andere Staatsbedienstete, die die AfD als Abgeordnete im Bundestag, Landtagen, Kreisen und Kommunen vertreten.

Vor allem aber die Recherchefunde von Focus und Taz über ein rechtes Netzwerk in der Bundeswehr lassen aufhorchen. Zu diesem sollen Elitesoldaten und Spezialeinsatzkräfte der Polizei gehören, die sich konspirativ auf einen »Tag X« vorbereiten, mit speziellen Trainings, Waffen, Vorräten an illegal angeeigneter Munition, Treibstoff und anderem. Aber auch von offenen Übergängen zum Rechtsterrorismus ist die Rede, weiteren Bezugnahmen zum NSU, von Todeslisten mit Namen linker und demokratischer Politikerinnen und Politiker, Engagierter, von Planungen von standrechtlichen Erschießungen; sowie von direkten Verbindungen zum sich als Flüchtling ausgebenden und etwa die Amadeu-Antonio-Stiftung observierenden Soldaten Franco A., false-flag-Terroranschlägen zur Auslösung eines Bürgerkriegs, Geheimnisverrat durch einen MAD-Offizier und Chats, in denen offenbar der Aufbau eines Staats im Staate und die Liquidierung politischer Gegner geplant wurden.

Der Fall Franco A. aus dem Jahr 2017 war zuvor nahezu völlig aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden und schien keine Konsequenzen zu haben, ein »Skandal ohne Folgen?«, wie es die Tagesschau titelte. Eine Anklage der Generalbundesanwaltschaft wegen Terrorismus wurde nicht zugelassen, da kein »hinreichender Tatverdacht« bestehe. Im November kam wieder etwas Dynamik auf, Franco A. scheint doch Teil eines größeren Netzwerks zu sein, in dem sich Prepper mit rechtsextremen Vorstellungen organisierten. Die so genannten Prepper verbindet das Warten, Hoffen und Vorbereiten auf den Ernstfall, sie teilen die Angst und zugleich eine wohlige Lust und Sehnsucht darauf, dass er eintritt, dass die Zivilisation abgelegt wird, staatliche Ordnung zusammenbricht, traditionelle Bande, Heldentum, Kampf, Kameradschaft und das Recht des Stärkeren wieder gilt – »survival oft the fittest and best prepared«. Und damit zugleich aus Sicht Einiger alte Rechnungen beglichen werden können, »Volksfeinde und Verräter« ermordet, ohne sich an geltende Gesetze halten zu müssen.

Bisher richtete sich die extreme Rechte klassisch gegen die pluralistische Demokratie, Gleichheit und Universalismus, strebte den Machterhalt in Form einer konformistischen, völkischen Rebellion an, in der sich zugleich das Aufbegehren und Unterordnen des autoritären Charakters verbinden lassen. Mit Pegida, der AfD und deren Umvolkungsideologie scheint das anti-etatistische Moment innerhalb der rechten Gruppierungen stärker geworden zu sein. Das heißt nicht, dass rechtsradikale Staatsdiener nun ihre Posten und staatliche Strukturen per se infrage stellen, aber sie scheinen nicht weiter Diener eines Staates sein zu wollen, der ihnen offenbar fremd und feindlich geworden ist. Sie stört, dass dieser Staat die »Ehe für alle« gesetzlich legitimiert, sich als Einwanderungsland anerkannt, Geflüchtete aufgenommen und sich kulturell stark in den letzten Jahren demokratisiert hat. Das, so der Tenor der konformistischen Revolte, sei nicht mehr ihr Land. Völkische Rechte fühlen sich gegenwärtig im »letzten Gefecht«, verstanden aus Notwehr, im »Abwehrkampf« gegen den drohenden Verlust ihrer vermeintlichen Lebensweise. »Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen«, sagte Gauland nach der Bundestagswahl 2017. Autoritäre Kräfte in Behörden, Militär, Wirtschaft und Kultur nehmen dies offenbar nur zu gern auf. Wenn dieses Ziel nicht auf parlamentarisch-gesetzlichem Weg erreicht werden kann, droht man bereits, es auf anderem zu versuchen. Wie Andreas Kalbitz, Vorsitzender der AfD in Brandenburg es am 23. Juni 2017 aussprach: »Die AfD ist die letzte evolutionäre Chance für dieses Land. Danach kommt nur noch Helm auf.«

Wer angesichts dieser Vernetzungen, Zusammenschlüsse und offenen Androhungen nur darauf verweist, dass sich Geschichte nicht wiederhole, verweigert sich zu sehen, was gegenwärtig auf dem Spiel steht.