Platte Buch - Der Roman »Der Wilde« von Guillermo Arriaga

Jung sein unter Wölfen

Kolumne Von

Sein älterer Bruder Carlos und Jimi Hendrix sind die Idole des in einem lebhaften Viertel von Mexiko-Stadt aufwachsenden 14jährigen Juan. Er vergöttert sie, weil sie Erfolg haben, mit Drogen hantieren und anscheinend unantastbar sind. Als der bewunderte Carlos eines Tages in einem Wassertank elend umkommt, bricht für Juan eine Welt zusammen. Die Polizei spricht von einem Unfall, der jüngere Bruder weiß es besser: Es war Mord. Besonders schlimm ist, dass er sich mitschuldig fühlt und sich fragen muss, ob er die Tat nicht hätte verhindern können. Jetzt will er die Mörder bestrafen. Ein Rachefeld­zug beginnt, auf dem der Junge zwei mehr oder weniger treue Begleiter hat: einen Wolfswelpen und seine Freundin Chelo.

In dem knapp 800seitigen Roman »Der Wilde« führt der 1958 geborene Autor Guillermo Arriaga durch die mexikanische Gesellschaft. Es geht von den Dächern des Viertels in Mexiko-Stadt, wo die Nachbarskinder ihre erste Mutprobe absolvieren, hinunter in die Unterwelt, in der sich korrupte Beamte, Menschenhändler und dubiose Kleriker tummeln.

Arriaga, der in einem der gewalttätigsten Ecken der mexikanischen Metropole aufgewachsen ist und nach einem brutalen Straßenkampf seinen Geruchssinn verloren hat, sagt, er sei ein »Jäger, der als Schriftsteller arbeitet«. Nach seinem Geschichts- und Kommunikationswissenschaftsstudium schrieb er sehr erfolgreiche Drehbücher. Von ihm stammt das Skript zum lateinamerikanischen Blockbuster »Amores Perros«. ­Arriaga ist auch als Regisseur tätig und hat eine Professur inne.

»Der Wilde«, sein bislang umfangreichster Roman, ist ein abenteuer­liches Panoptikum, das von gehäuteten Chinchillas, abgetriebenen Föten und Skeletten wimmelt. Temporeich erzählt, kreist die Geschichte des von Schuldgefühlen getriebenen Jugendlichen um die Frage, wie die Toten das Leben prägen. Eine mit­reißende Coming-of-Age-Geschichte, die in einem Milieu spielt, in dem viel zu oft viel zu jung gestorben wird.

 

Guillermo Arriaga: Der Wilde.
Aus dem Spanischen von Matthias Strobel. Klett-Cotta, Stuttgart 2018, 745 Seiten, 26 Euro